Kommunikation ist nicht ihre Stärke. Helena und Thomas Kettner wohnen auf dem Land, in der Nähe von München – und doch ganz weit weg vom Großstadtleben. Das Ehepaar unterhält einen Biohof. Viel Arbeit, viel Alltag und die immergleichen Dorfrituale – 14 Ehejahre ging das gut. Jetzt scheint Helena eine Seite bei sich zu entdecken, die sie bisher nicht kannte: der sehr viel jüngere David, ein russischer Diplomatensohn, entfacht in ihr Leidenschaft – und nichts als Leidenschaft. Mit Thomas das Leben zu genießen, wird immer schwieriger. Sie belauern sich, sie belügen sich. Sie reden nicht miteinander, sie klären nichts, obwohl der Betrogene längst etwas ahnt. Die Situation spitzt sich zu, als der Ehemann den Liebhaber zur Rede stellt. „Ein Gespräch unter Männern?“, fragt David ironisch. „Was ist das für ein Verhältnis mit Helena?“, will der aufgebrachte Thomas wissen. „Wir ficken.“ Zwei verhängnisvolle Worte. Und danach wieder die vertraute Sprachlosigkeit…
„Tödliche Versuchung“ erzählt vom Ende einer Ehe, vom „Point of no Return“, von der Vertreibung aus dem Paradies. Das Land und die Natur, das Dorf und die Art und Weise, wie hier gelebt und geliebt, gehandelt und geschwiegen wird, geben dieser Geschichte ihren Nährboden. Und die dramatische Grundidee ist ebenso einfach wie effektiv: „Was passiert mit einem ganz normalen Menschen, wenn er sich durch eine unbedachte Handlung immer tiefer in Schuld verstrickt, wenn eine Lüge eine andere gebiert, wenn ein Fehler andere, weit schrecklichere nach sich zieht?“, bringt Autorin Claudia Kaufmann die Fragestellung der Geschichte auf den Punkt. Die Antwort gibt der Film eindrucksvoll und – in Hinblick auf das Genre – unmissverständlich: Hier wird nicht der Krimi gesucht, sondern das Drama einer Ehe, ein Dilemma, bei dem beide, Mann und Frau, wider Willen schuldig werden. Dramaturgisch ist das äußerst wirkungsvoll: Man übernimmt die Perspektive der Hauptfiguren, fiebert wahlweise mit der Bäuerin oder dem von Schuld zerfressenen Bauern mit. Jedes Auto, das auf dem Hof vorfährt, wird zur (körperlichen) Bedrohung – auch für den Zuschauer.
Julia Koschitz über ihre weibliche Hauptfigur:
„Helena wird im Laufe der Geschichte nicht nur vor die Frage gestellt, ob sie ihren Mann noch lieben kann, sondern ob sie ihn überhaupt kennt. Die Fremdheit ist so stark, dass Liebe erst einmal kein Motiv für ihre Entscheidung ist. In erster Linie möchte sie die Familie und das Leben, das sie sich aufgebaut haben, schützen. Sie kämpft mit allen Mitteln für diese heile Welt und versucht ebenso mit allen Mitteln zu retten, was nicht mehr zu retten ist.“
Marcus Mittermeier, den gebürtigen Niederbayern, der sich auch als Regisseur mit dem Überraschungshit „Muxmäuschenstill“ (2004) einen Namen gemacht hat, sah man selten so überzeugend: klein sein Spiel der Andeutungen und doch klar und markant in seiner männlichen Verunsicherung. Und über Julia Koschitz lässt sich ohnehin nur schwärmen. Ihr markanter Kurzhaarschnitt und ihre reduzierte Art zu spielen, bringt die auf Konzentration bedachte Ästhetik von „Tödliche Versuchung“ – der Titel ist mit Abstand das Banalste an diesem Film – auf den Punkt. Das Spiel ihrer großen Augen, perfekt für vielschichtige Komödien wie „Der letzte schöne Herbsttag“ oder „Männer ticken, Frauen anders“, macht sich auch im Beziehungsdrama gut. Der wilden Leidenschaft folgt die große Leere im Blick.
Regisseur Johannes Fabrick über Bert Hellingers Familienaufstellung:
„Irgendwann kam mir der Gedanke, dass die Aufstellungen auch ein brauchbares Werkzeug für die Inszenierungsarbeit sein könnten. Die Schauspieler können so erstmals in ihre Rollen schlüpfen und – was das eigentlich Wertvolle ist – die Dynamik des Systems innerhalb der Geschichte am eigenen Leib spüren. Das wirkt meist stärker als viele Worte.“
Weiterhin wirken in „Tödliche Versuchung“ geradezu archaische Kräfte. Biblische Mythen, sexuelle Metaphern und traumhaft schöne Bilder als hoch sinnliche Projektionsflächen transzendieren das vermeintlich bodenständige ländliche Szenario. So wird der Weiher immer wieder zum Stimmungsbarometer der Beziehung. Ein Ort des virtuellen Wohlbehagens und des erhofften Glücks. Der Weiher bleibt Sehnsuchtsort, in dem das Paar sich vornehmlich nebeneinander bewegt. Ein Ort, der die körperliche Unsicherheit (später: die sexuelle Entfremdung) des Paares widerspiegelt. Nur ein einziger Kuss – dabei liegt der Weiher vor der Haustür. Das Paradies bleibt ungenutzt. Auch wenn es das Paar nicht wahrhaben will. Das ästhetische Konzept, das die Zwischentöne der Geschichte erzählt und von Regisseur Johannes Fabrick aufs Stimmigste aus der „vorfilmischen Realität“ entwickelt wurde, ist meisterlich. Die Bilder, das Licht, die bizarren Wolken-Wasser-Formationen, die schöne Einsamkeit, diese (trügerische?) Ruhe als Sinnbild der Verdrängung – da will man Standbild rufen und doch bewegt sich das Gesehene unaufhaltsam und mit tragischer Gewissheit fort.