Die Geschichte ist ebenso schlicht wie ihr Titel und schon oft erzählt worden: „Tödliche Gier“ handelt von einem Mann, der über sich hinauswachsen muss, um seine Familie vor hartgesottenen Verbrechern zu retten. Thorsten Näter (Buch und Regie) verdeutlicht allerdings schon mit seinem Prolog, dass er keinen Thriller von der Stange machen wollte: Während Pastor Bahnert (Harald Krassnitzer) am Buß- und Bettag aus einer Predigt zitiert, die der protestantische Theologe Helmut Gollwitzer am selben Feiertag des Jahres 1938 gehalten hat, und davon spricht, dass viele Menschen angesichts all’ der Grausamkeit in der Welt an Gott zweifeln, zeigen die Bilder zwischendurch, wie vier Männer aus einem Hamburger Gefängnis ausbrechen. Auf der Tonspur ist allerdings weiter der Pfarrer zu hören, auch die Musik orientiert sich an der Kirchenszene. Diese Idee verleiht der drei Minuten langen Einführung einen außerordentlichen Reiz, zumal die sanften Klänge überhaupt nicht zu den brutalen Taten der Häftlinge passen. Mit dieser Ouvertüre klärt Näter nicht nur die Fronten – hier das Gute, personifiziert durch den Priester, dort das skrupellos Böse –, er gibt auch die Richtung vor: Mit der Devise „Liebt eure Feinde“ aus der Predigt werden der Pfarrer und seine Familie nicht heil aus der Sache rauskommen. Geschickt erhöht Näter die Fallhöhe: Bahnerts Sohn hält den Vater für einen Feigling, seine Tochter lehnt seine ganze Lebenshaltung ab, und einer der hartgesottenen Verbrecher verhöhnt ihn, weil ihn sein Gott offenbar im Stich gelassen habe; prompt offenbart Bahnert Seiten, die er bis dahin vermutlich selbst nicht kannte.
Foto: ZDF / Hans-Joachim Pfeiffer
Der weitere Verlauf der Handlung erinnert an die ARD-Provinzkrimireihen „Nord bei Nordwest“ und „Harter Brocken“: Das Grauen bricht in eine Idylle ein. Dass Näter ausgerechnet einen Pfarrer zur Hauptfigur erkoren hat, verstärkt den Reiz seiner Geschichte noch. Das gilt auch für den Vorwand, den er sich ausgedacht hat, um die beiden Welten aufeinander prallen zu lassen: Einer der Ausbrecher, Dombrowski (Thomas Lawinky), hat vor Jahren die millionenschwere Beute aus einem Diamantenraub in einer leerstehenden Kirche deponiert. Im Gefängnis hat der Dieb drei Häftlinge überredet, ihm bei der Flucht zu helfen und die Beute zu holen. Clever sorgt Näter dafür, dass aus dem Plan nichts wird: Dombrowski ist während des Ausbruchs verletzt worden und stirbt, als die Gangster ihr Ziel erreichen. Außerdem ist das damals in Folge von Sturmschäden leerstehende Gotteshaus mittlerweile renoviert worden; ohne genaue Kenntnis des Verstecks ist die Suche ein aussichtsloses Unterfangen. Also nehmen die Verbrecher die Frau des Pastors (Ann-Kathrin Kramer) und die beiden Teenager-Kinder Svenja (Sofie Eifertinger) und Marius (Johannes Geller) als Geiseln und zwingen auf diese Weise Bahnert, bei der Suche zu helfen.
Wie in vielen Filmen dieser Art wähnt sich das Ehepaar den Verbrechern intellektuell überlegen und versucht, die Eindringlinge gegeneinander auszuspielen. Deren Charaktere orientieren sich ebenfalls an bekannten Mustern. Als erstes versucht Bahnert sein Glück bei Wiesner (Thomas Sarbacher), weil er ihn für den einzigen hält, mit dem man vernünftig reden kann, muss aber bald erkennen, dass der Kopf der Bande womöglich der Schlimmste von allen ist. Pottek (Dirk Borchardt) ist ein Soziopath mit kurzer Zündschnur, und der junge Vollmer (Leonard Carow) bekämpft seine psychische Labilität mit Tabletten. Geschickt kaschiert Näter die Überschaubarkeit der Geschichte durch kleine Ereignisse: Vollmer hat Svenjas Tagebuch entdeckt und liest laut daraus vor; so erfährt Bahnert, dass seine Frau über eine Trennung nachdenkt. Ein Fluchtversuch von Marius verhindert, dass der Film ein reines Kammerspiel bleibt. Außerdem haben die Dorfbewohner mittlerweile mitbekommen, dass in der Kirche irgendwas nicht stimmt, aber der Dorfpolizist (Josef Heynert) nimmt die Hinweise nicht ernst.
Foto: ZDF / Hans-Joachim Pfeiffer
Thorsten Näter ist mit mehreren Produktionen pro Jahr, oft nach eigenem Drehbuch, ein sehr fleißiger Regisseur. Dass dabei nicht immer alles gelingt, ist fast zwangsläufig; seine Beiträge zur ARD-Reihe „Der Bozen-Krimi“ (mit Sarbacher als Mafia-Gegenspieler der Heldin) waren oft nur mäßig spannend. Andererseits dreht er immer wieder Filme, die von Anfang bis Ende fesseln, etwa „Jenseits der Angst“ (2019), ein vorzüglich gestalteter Thriller mit Anja Kling als Modedesignerin, die vom Gatten in den Wahn getrieben wird; oder „Verhängnisvolle Nähe“ (2014, beide ZDF), gleichfalls mit Kling, diesmal als Kommissarin, die den eigenen Mann für einen Serienmörder hält. Näters wichtigster Mitarbeiter ist Achim Hasse, der seit über zwanzig Jahren seine Bildgestaltung besorgt. In „Tödliche Nähe“ hat er die Kirche in ein fast überirdisch schönes Licht getaucht, während die Nächte bedrohlich blauschwarz sind. Axel Donner ist nicht so oft beteiligt wie Hasse, hat aber auch die Musik zu „Verhängnisvolle Nähe“ und „Jenseits der Angst“ geschrieben und sorgt mit seinen im Hintergrund lauernden Kompositionen, die sich zwischendurch auch mal beim klassischen Psychothriller bedienen, für zusätzliche Spannung. Das erfahrene Ensemble ist ohnehin sehenswert, selbst wenn Borchardt Typen wie den aggressiven Pattek vermutlich schon öfter gespielt hat, als ihm lieb ist. Das Schauspielerehepaar Krassnitzer/Kramer stand zwar nach seinem ersten gemeinsamen Film (1998) schon oft zusammen vor der Kamera, aber ausschließlich in Komödien oder leichten Dramen. Kennengelernt haben sich die beiden während der Dreharbeiten für den Sat.1-Thriller „Hurenmord“. Auch damals hat Krassnitzer einen Priester verkörpert.