„Des is a Stiegnhaus, ka Laufhaus“ nörgelt der alte Fiala, als Annie Breuers (Martina Ebm) Kinder Lena (Ariana Stöckle) und Tino (Leopold Pallua) mal wieder die Treppe des alten Mietshauses in der Wiener Vorstadt herunterrennen. Das ist das geringste Problem für die alleinerziehende Mutter: Annie ist nicht die Stabilste, leidet an einem organischen Psychosyndrom. Das schränkt ihr Handeln im Alltag stark ein. Zudem hat sie Panikattacken. So versucht Lenas leiblicher Papa Richard (Hanno Koffler) das Sorgerecht einzuklagen, obwohl er zuvor wenig Interesse am Vatersein gezeigt hatte. Doch die Kinder setzen – als sich das Jugendamt ankündigt – alle Hebel in Bewegung, um zu zeigen, dass ihre Mutter sehr wohl für sie sorgen kann. Dabei werden sie von den Bewohnern des Hauses tatkräftig unterstützt.
Foto: MDR, ORF / Anjeza Cikopan o
Es ist kein ehrenwertes Haus, es ist ein lebendiges Haus, das Autor und Regisseur Rupert Henning (fünf Wien-„Tatorte“) hier liebevoll zeigt. Hinter jeder Tür gibt es etwas zu entdecken. Hier leben Menschen, die aus der Kurve geflogen sind: Ein WG-Student zieht sich Pilze rein und kann sein Zimmer nicht mehr verlassen, ein grantelnder Rentner pflegt seine von Schlaganfällen ans Bett gefesselte Frau, die rothaarige Teenagerin Elke sitzt meist vor der Wohnungstüre, weil sie es drinnen nicht aushält, und Annie, die zentrale Figur, hat psychische Probleme, leidet unter Panikattacken und Wahnvorstellungen. Jeder für sich ist gebeutelt, aber der Zusammenhalt und das Verständnis füreinander kann ihnen das Leben ein wenig leichter machen. Diese in den behandelten Themen (psychische Gesundheit, Überforderung, Einsamkeit, alleinerziehende Eltern) zwar realitätsnahe, aber ansonsten eher märchenhafte Geschichte erzählt Henning als unterhaltsames, gut getimtes und kurzweiliges Plädoyer für das Miteinander in einer Gesellschaft, in der sich die Menschen immer mehr zurückziehen und voneinander entfremden. Es geht um Familie, Krankheit und Gemeinschaft – quer durch die Generation, unabhängig von der sozialen Herkunft. Stofflich kein leichtes Unterfangen. Doch Henning gelingt eine tragikomische Gratwanderung, ein Film, der Hoffnung machen will und der seine Figuren ernst nimmt. Mit fein dosiertem Humor nähert er sich dem schwierigen Thema und nimmt seine Figuren, auch wenn diese – wie die studentische WG – leicht überzeichnet wirken, durchweg ernst. Fast alle Charaktere durchlaufen eine Wandlung.
Martina Ebm, die man unter anderem aus „Vorstadtweiber“ kennt, spielt diese komplexe Figur in ihrer Überforderung und Zerbrechlichkeit, aber auch Stärke und Empathie, mit viel Einfühlungsvermögen. Kameramann Josef A. Mittendorfer findet nachvollziehbare Bilder für Annies Krankheit und ihre psychischen Probleme, lässt die Zuschauer so eintauchen in die komplizierte Innenwelt der alleinerziehenden Frau: Bei Stress hört sie Sirenen, wenn sie aufstehen soll, umgibt eine schlammige Brühe ihr Bett, auf der Straße fühlt sie sich umzingelt und hilflos. Sie ist ein „Tiefwassertaucher unterm Dach“. Das Gewässer, in dem sie umher taucht, sind die Emotionen, ein „Ozean zwischenmenschlicher Gefühle“, wie es Henning formuliert. Die Welt um sie herum gibt ihr den Halt, den sie durch ihrer Krankheit, durch die Sorge um ihre Kinder, durch Jobsuche und finanzielle Engpässe zu verlieren droht.
Foto: MDR, ORF / Anjeza Cikopano
Rupert Henning will mit dieser so herzerwärmenden Figur Mut machen, den Lebenswillen nicht zu verlieren, kleine Schritte zu gehen – und auf Mitgefühl & Hilfe zu vertrauen. Henning begleitet diese Annie mit hoher Sensibilität, erzählt um sie herum kleine feine Lebensgeschichten der bunt zusammengewürfelten Bewohnerschaft von Generation-Z-WG bis Pensionisten. Mal locker und leicht, mal sensibel und bewegend ist diese Tragikomödie mit märchenhaften Zügen und einem klaren Anliegen: ein Appell an Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung. Da darf es auch mal ein bisschen mehr Happy End sein!

