Das ZDF hat in den letzten Jahren sowohl auf seinem Samstags-Krimiplatz als auch im Rahmen des „Fernsehfilms der Woche“ am Montag einige großartige Krimireihen eingeführt. Die Qualität der einzelnen Filme mag unterschiedlich sein, aber Zeitverschwendung sind sie so gut wie nie. Mit einer Ausnahme: In den Taunuskrimis nach den Romanen von Nele Neuhaus – den Auftakt machte 2013 „Schneewittchen muss sterben“ – ist der Wurm drin. Den Filmen fehlt es an innerer wie äußerer Spannung, die Geschichten wirken zum Teil bemüht unübersichtlich und brauchen oft einen langen Anlauf. Die Inszenierungen waren bislang ebenfalls nicht weiter bemerkenswert. Größtes Manko sind jedoch die beiden Hauptdarsteller: Auch im vierten Film, „Tiefe Wunden“, passiert viel zu wenig zwischen Tim Bergmann und Felicitas Woll; von der in solchen Fällen gern beschworenen Chemie ist nichts zu spüren.
Dabei hätte die Handlung großes Fernsehen verdient gehabt: Vordergründig müssen Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff eine Mordserie an mehreren alten Herrschaften aufklären, aber hintergründig geht es um ein Verbrechen, das im letzten Kriegsjahr in Ostpreußen begangen worden ist. Die Details der damaligen Ereignisse gibt das Drehbuch (wie zuletzt von Anna Tebbe) erst nach und nach preis. Das gehört zum Muster solcher Geschichten und steigert in der Regel die Spannung. Hier jedoch nur bedingt: Die Informationen werden in Form von runtergeleierten Tagebucheinträgen vermittelt. Trotzdem hätte der Film funktionieren können, doch selbst dem routinierten Marcus O. Rosenmüller („Wunderkinder“) gelingt es nicht, aus dem interessanten Stoff auch einen fesselnden Krimi zu machen. Das liegt nicht zuletzt am viel zu großen Personal: „Tiefe Wunden“ hat gleich ein halbes Dutzend namhafter Gastschauspieler zu bieten, die jedoch keine Zeit haben, ihren Figuren Tiefe zu verleihen.
Foto: ZDF / Johannes Krieg
Im Zentrum steht eine Familie, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus Ostpreußen in den Taunus geflohen ist und dort nach dem Krieg einen Weltkonzern aufgebaut hat. Das Ermittlerduo platzt mit der Nachricht von der Ermordung eines alten Bekannten mitten in die Feierlichkeiten zum Geburtstag der Matriarchin, Vera Kaltensee. Sie wird neunzig, und diese Zahl sorgt für die erste offenkundige Unglaubwürdigkeit: Nicole Heesters ist gerade mal Mitte siebzig. Den preußischen Landadel hingegen glaubt man ihr sofort, auch Manfred Zapatka ist als ihr Sohn trefflich besetzt. Die Nebendarsteller dagegen huschen quasi nur durchs Bild: Barnaby Metschurat als gefeuerter Sekretär der Matriarchin, der ihre Biografie schreiben will; Uwe Bohm, dessen Rolle bis kurz vor Schluss komplett unklar bleibt; Gudrun Landgrebe als Verlegerin und schließlich Dieter Hallervorden als Karikatur eines Frank Zappa hörenden Altenheimbewohners. Mit einem an unselige „Didi“-Zeiten erinnernden Auftritt macht der Mime seine zuletzt großartigen Leistungen („Sein letztes Rennen“) fast wieder zunichte.
Im Grunde ist es allein die Geschichte, die „Tiefe Wunden“ aller Kritik zum Trotz eine gewisse Faszination verleiht. Bei den drei Leichen findet sich eine mit Blut geschriebene Zahl: 16145. Angesichts des Alters der hochbetagten Toten liegt es eigentlich nahe, dass es sich dabei um ein Datum handelt, aber das Ermittlerduo braucht eine Weile, bis es diese Nuss geknackt hat; was man sogar verstehen kann, schließlich würden die meisten Menschen „16.1.45“ schreiben. Wie sehr der Film sein Potenzial verschenkt, zeigt der ausbleibende Gänsehauteffekt, als sich herausstellt, dass das erste Opfer, ein Auschwitz-Überlebender namens Goldberg, keineswegs Jude war, sondern Mitglied der Waffen-SS.
Weil die Lösung des Rätsels wohl nur im ehemaligen Ostpreußen zu finden ist, beendet Pia Kirchhoff gegen Ende des Films ihren Status als hübsche Mitläuferin und reist inoffiziell nach Polen, wo es zum einigermaßen packenden Finale kommt. In dessen Verlauf hat sie allerdings wie durch ein Wunder plötzlich eine Pistole in der Hand, obwohl sie ihr Dienstwaffe vor Antritt der Reise abgegeben hat. Ebenfalls unbeantwortet bleibt die Frage, warum die Rachegelüste fast 70 Jahre köcheln mussten, bevor die uralte Rechnung beglichen werden konnte. Andere Details, die man längst kapiert hat, lässt das Drehbuch dagegen gern noch mal durch das Ermittlerduo erklären. Und dass der Kommissar auf eine verschlossene Tür schießt, obwohl er dahinter ein Opfer vermutet, ist einigermaßen absurd. Darüber hinaus zeigt auch dieser Film, warum Nichtraucher nicht Raucher spielen sollten.