Von Dubai nach Hamburg. Bauingenieur Michael Winter (Stephan Kampwirth) hat seinen Job verloren. Jetzt will er gemeinsam mit Ehefrau Friederike (Katharina Schüttler) und der achtjährigen Tochter Selma (Bella Bading) einen Neuanfang. Durch die Vermittlung seines knorrigen Schwiegervaters Heinrich (Hermann Beyer) findet er samt Familie ein neues Zuhause in St. Pauli, in der Schmuckstraße, inmitten der ehemaligen Chinatown der Elbmetropole. Noch ahnt er nicht, dass auf der Wohnung, in der vor vielen Jahren die geheimnisvolle Chinesin Ouyang starb, ein Fluch zu liegen scheint. Friederike rutscht immer mehr in die Schizophrenie ab, unter der sie schon seit Jahren leidet. Auch die kleine Selma zeigt erste Anzeichen der Krankheit. Michael lässt nichts unversucht, seine Familie zu retten. Als seine Frau und Heinrich spurlos verschwinden, wird die Lage dramatisch. Und dann kommt der Familienvater einem Geheimnis auf die Spur, das bis ins Jahr 1944 zurückreicht.
Es geht um ein dunkles Familiengeheimnis, das die beiden Drehbuchautoren Stefan Gieren und Georg Tiefenbach in ihrem ersten Spielfilm verarbeitet haben und das auf ein historisches Ereignis zurückgeht. „Am frühen Morgen des 13. Mai 1944 durchsuchten 200 Personen, Gestapo-Beamte, aber auch Ordnungspolizei, die chinesischen Stätten und Lokale. Sie verhafteten alle chinesischen Männer mit dem Ziel, die Chinesen in Fuhlsbüttel zu internieren und einzusperren“, sagt der Historiker Lars Amenda, mit dem die Autoren bei ihren Recherchen zusammengearbeitet haben. Der Fernsehfilm „Tian – Das Geheimnis der Schmuckstraße“ spielt in eben jener Straße, in der die Chinesen vor allem in den Kellerwohnungen gelebt und in Restaurants und kleinen Läden gearbeitet haben. Die Nazis lösten das Chinesenviertel auf. Der Titel „Tian“ bedeutet Himmel, ist ein chinesisches Schriftzeichen, auf das die Familie in ihrer neuen Wohnung stößt.
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Der Film läuft in der „Nordlichter“-Reihe, in der der NDR seit Jahren Nachwuchs-Förderung betreibt. Ein Thema oder Genre wird dabei vorgegeben. In dieser Staffel, die drei Filme umfasst, war dies Mystery. Neben „Jenseits des Spiegels“ und „Wo kein Schatten fällt“ ist „Tian – Das Geheimnis der Schmuckstraße“ zu sehen. „Auf den Stoff bin ich gestoßen, als ich mit ‚Raju‘ beim Shanghai-Filmfestival war. Damals hat mich die Gästebetreuerin darauf gebracht, dass wir in Hamburg ein Chinesenviertel hatten. Ich als Hamburger hatte davon nie gehört“, sagt Drehbuchautor Stefan Gieren, der 2012 gemeinsam mit Max Zähle mit „Raju“ für den Oscar in der Kategorie Bester Kurzfilm nominiert war. „Wenn man dazu ein bisschen recherchiert, kommt man am Historiker Lars Amenda nicht vorbei. Er hat alles an einschlägiger Forschung zum Chinesenviertel geleistet“, sagt Gieren, der nicht nur gemeinsam mit Georg Tiefenbach das Buch zum Film geschrieben, sondern ihn auch produziert hat.
Regisseur Schipporeit nimmt den historischen Hintergrund und inszeniert die Geschichte mit typischen Mystery-Elementen. Das wird schon in der Eröffnungsszene deutlich: Man sieht ein vergilbtes Bild an der Wand, die Kamera zieht auf, ein altes Wohnzimmer kommt zum Vorschein, die Kamera schleicht sich spannungsheischend durch die Wohnung, dann Richtung Türe, die öffnet sich, Heinrich, Friederike und Selma stehen da und betreten ihre neue Wohnung. Geschichte trifft auf Gegenwart, Realität auf Mystery. Knarzende Türen, zerborstene Spiegel, schrille Schreie und andere Schockmomente – nichts wird ausgelassen. Wesentlich zum Effekt trägt die Musik von Florian Tessloff bei, die die Spannung vorantreibt. Nicht alle Elemente der Inszenierung sind gelungen: Geisterhaus, Schizophrenie, Schatten der Vergangenheit – der Film will viel, zuweilen auch zu viel. Das Ende ist dann überraschend, erdet ein wenig, auch wenn ihm ein melodramatischer Touch nicht abzusprechen ist.
Doch wohl dem, der bei seinem Langfilmdebüt mit so einem exquisiten Ensemble arbeiten kann: Stephan Kampwirth, Katharina Schüttler, Hermann Beyer. Mit ihrem versierten Spiel tragen sie den Film, rücken die politische und zeitgeschichtliche Dimension in den Vordergrund, die Mystery-Elemente werden mehr und mehr zum Beiwerk. „Tian – Das Geheimnis der Schmuckstraße“ ist dadurch mehr als ein klassischer Geisterhaus-Thriller. Dafür fehlt ihm die Originalität in der Umsetzung. Aber durch die Verbindung mit historischen Fakten erhält der Film eine Dimension, die ihn sehenswert macht. Und Bella Bading (ihre Mutter ist in einer kleinen Rolle zu sehen), die kleine Schwester der schon wesentlich bekannteren Emma Bading, gefällt in der Rolle der Selma. Sie, die bereits in Filmen wie „Kein Entkommen“ oder „Tschick“ mitgespielt hat, wird man demnächst noch öfter sehen.