Die Szenerie erinnert an Filme über totalitäre Regime wie etwa Michael Radfords George-Orwell-Adaption „1984“ (1984): Die Personen tragen keine Namen, sondern Nummern. Ihre Kleidung ist uniform. Immerhin gibt es eine Möglichkeit, sich von der Masse abzuheben: Wer seine Aufgabe besonders gut löst, erhält ein Abzeichen. Aber wer sind diese Gestalten, die sich emotionslos und geduldig in Reih’ und Glied bewegen? Warum trachten sie mit ihrem ganzen Streben danach, den Menschen das Leben schwer zu machen? Da ist zum Beispiel der Sänger Mat (Roel Dirven), ein sympathischer junger Amerikaner mit holländischen Wurzeln, der sich dank seiner früheren Mitgliedschaft in einer Boyband einer gewissen Prominenz erfreut. Als er zu seiner Freundin (Paula Kalenberg) nach Berlin zieht, geht es für ihn jedoch rapide bergab, denn nun ist das Paar zu dritt: Nacht für Nacht gesellt sich ein ungebetener Gast ins Doppelbett und flüstert Mat ein, er sei wertlos, seine Lieder seien bedeutungslos, und das Zusammenziehen mit Susa sei ein großer Fehler, weil sie nun erkennen werde, was er für ein Versager sei. Als Mat schreiend aufwacht, tröstet Susa sie ihn, es sei doch nur ein Albtraum gewesen, aber der Gast ist immer noch da. Er wird ihm fortan nicht mehr von der Seite weichen und erst dann Ruhe geben, wenn Mats Leben bloß noch ein Scherbenhaufen ist, denn das ist sein Job: F32.1-2011/01 (Nora Tschirner) ist eine mittelschwere Depression.
Foto: TNT Comedy / UFA
Wenn zum Lob und Preis einer TV-Serie diverse Kinofilme genannt werden – das Spektrum reicht von Terry Gilliams Dystopie „Brazil“ (1985) bis zur Komödie „Being John Malkovich“ von Charlie Kaufman (Buch) und Spike Jonze (Regie, 1999) –, dürfte es sich um eine außergewöhnliche Produktion handeln, und das ist „The Mopes“ in der Tat: So etwas gab es vermutlich noch nie. Die Idee, einem Menschen einen unsichtbaren Gefährten zur Seite zu stellen, ist natürlich spätestens seit dem liebenswerten Klassiker „Mein Freund Harvey“ (1950, mit James Stewart) nicht neu, und dass diese nur für die Hauptfigur manifesten Begleiter für allerlei kuriose Situationen sorgen, haben sich ebenfalls bereits viele Komödien zunutze gemacht. Auch in „The Mopes“ (ein „Mope“ ist jemand, der Trübsal bläst) gibt es einige Szenen dieser Art, wenn Mat seine Peinigerin lautstark verflucht und Susa sich angesprochen fühlt, weil außer ihr sonst niemand da ist; oder wenn er mit einer Stehlampe auf F32.1-2011/01 losgeht und auf diese Weise ein Hotelzimmer verwüstet. Ungewöhnlich sind allerdings die durch und durch sinistren Motive des Nachtmahrs: Mats ganz persönliche Nemesis bearbeitet den bemitleidenswerten jungen Mann nach allen Regeln des Mobbings. Dass der sie sehen kann, ist allerdings nicht vorgesehen, und das bleibt nicht die einzige Diskrepanz: Die Depression beginnt, Gefühle für ihr Opfer zu empfinden.
Monika, die menschgewordene Erkrankung. Allein wegen dieser Idee wäre es wahrscheinlich sehr unterhaltsam, mal einen Tag im Kopf von Drehbuchautorin Ipek Zübert zu verbringen. Der The Mopes zugrunde liegende Gedanke, psychische Probleme so ernst zu nehmen, dass man sie optisch menschengroß wahrnehmen kann, ist toll im Sinne von: durchgeknallt toll. Nur Dramaturgie und Umsetzung kommen da nicht ganz mit. (…) Unten, in der Zentrale für psychische Erkrankungen, funktioniert die Dramedy-Balance ganz gut: überdrehtes Funktionieren im Kollektiv, seelischer Zusammenbruch als Individuum. (Süddeutsche Zeitung)
Man hätte Tschirner ein Umfeld gewünscht, dass den Mut besitzt, auch mit dem Humor dahin zu zielen, wo es nun mal grimmig wird – anstatt pädagogisch zu problematisieren. Ihr Verdienst ist es, ihre Rolle dennoch stoisch mit subtiler Komik auszustatten. Allein damit wahrt sie nicht nur die Würde der Serie, sondern auch die der Krankheit. (FAZ)
Anstatt sich vollkommen auf dieses skurrile Konzept einzulassen, rücken die Autoren Tschirners Opfer ins erzählerische Zentrum. Der aus dem holländischen GZSZ-Vorbild bekannte Schönling Roel Dirven verkörpert den Musiker zwar sehr ansehnlich, bringt aber eine völlig andere Stimmung in die Serie. Und veranschaulicht so, wie schwierig es ist, die richtige Balance zwischen Slapstick und Seelenpein zu finden. (TV-Spielfilm)
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Mindestens so clever wie Ipek Züberts Konzept war die Idee, die weibliche Hauptrolle mit Nora Tschirner zu besetzen, denn auf diese Weise genießt F32.1-2011/01 trotz ihrer düsteren Handlungen von vornherein einen Sympathiebonus. Als sie dann auch noch wankelmütig wird, schwingt sich die sechsteilige Serie auf eine neue Ebene, denn es zeigt sich, dass in der Zentrale für psychische Erkrankungen auch andere aus der Reihe tanzen. Eine entsprechende Selbsthilfegruppe trifft sich regelmäßig heimlich im Backsteingewölbe des Hauptquartiers, um ihre Erfahrungen auszutauschen: Ein Narzissmus (David Bredin), eine Panikstörung (Kathrin Angerer), eine Melancholie (Anna Brüggemann) sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung (Matthias Matschke) sind ebenfalls in ihren Grundfesten erschüttert. Außerdem stellen sie sich mit Namen vor. Auch F32.1-2011/01, bereits mit vielen Abzeichen dekoriert, zieht es mittlerweile vor, sich Monika zu nennen; diesen Namen hat Mats aufgeweckte Nichte Elle (Sue Moosbauer) ihr gegeben.
Es hat dem Ehepaar Ipek (Buch) und Christian Zübert (Regie) garantiert großen Spaß gemacht, die Grundidee auszuschmücken und immer weiterzuspinnen. Gleichzeitig haben sie es geschickt vermieden, die Geschichte zu überfrachten. Die Folgen dauern jeweils nur knapp dreißig Minuten, weshalb die Serie sehr dicht erzählt ist. Die Drehbücher konzentrieren sich zunächst auf die Demontage des Musikers. Diese Ebene entspricht mit ihrer Mischung aus klamaukigen Slapstickeinlagen und Beziehungsgesprächen noch am ehesten den Dramedy-Konventionen: Als Susa ihn vor die Tür setzt, zieht Mat zur großen Schwester (Gina Henkel), deren Lebensgefährtin (Adina Vetter) angesichts der zunehmenden Verwahrlosung des Mitbewohners allerdings immer ungehaltener wird. Zu den witzigsten Momenten gehören ein satirischer Besuch bei einem von Monika genüsslich parodierten Therapeuten (Sebastian Schwarz) sowie eine Sexwette, bei der sie mit miesen Tricks für einen Coitus interruptus sorgt.
Origineller sind dennoch die Szenen in der perfekt organisierten Zentrale, zumal Kostüm- und Szenenbild hier für viele kleine Überraschungen sorgen; die allgegenwärtig eingeblendeten Statistiken und Fallbeschreibungen zum Beispiel lassen sich gar nicht angemessen würdigen. Erkrankungen, die Gefühle für ihre Klienten entwickeln und daher den reibungsloses Ablauf stören, müssen damit rechnen, ins „Schwarze Loch“ zu kommen; ein Schicksal, dass nun auch Monika droht, als sie von einem missgünstigen Kollegen denunziert wird. Dass Nora Tschirner, die sich bei den Gesprächen mit Mat eines grotesken Hollywood-Nazi-Akzents bedient, öffentlich über ihre eigene Depression gesprochen hat, beschert der Handlung einen zusätzlichen Subtext. Als Schauspielerin, die wie nur wenige hierzulande über eine nuancierte Comedy-Mimik verfügt, ist sie ohnehin die perfekte Besetzung für diese Rolle.