Hildegard hat es schwer in der Familie. Sie ist aufgeweckt, wissensbegierig, eigenwillig – und passt so gar nicht in einen Malocherhaushalt der 50er Jahre. Mit ihren Fragen steht sie nicht nur dem Existenzkampf ihrer Eltern im Weg, sie erschüttert auch deren kleinbürgerlich-proletarischen Grundfeste und stellt das Leben der rheinländischen Arbeiterfamilie in Frage.
Foto: WDR / Thomas Kost
„Teufelsbraten“ zeigt, wie ein Kind durch die harte Schule des Lebens gehen muss. Der Zweiteiler entstand nach dem autobiografischen Roman „Das verborgene Wort“ von Ulla Hahn. Auch die Schriftstellerin musste kämpfen, um in den grauen, frauenfeindlichen 50er Jahren ein bisschen Bildung für sich zu ergattern. „Für mich war der frühe Besuch des Kindergartens mit seinen liebevollen katholischen Schwestern die erste Befreiung aus der engen Häuslichkeit“, sagt sie. „Ohne meine Schutzengel, wie ich die Ordensschwestern, Lehrer und den Pastor gerne nenne, wäre ich vielleicht Kinderschwester geworden.“ Durch die Fürsprache ihrer Mentoren aber gab es für sie wie auch die Filmheldin Hildegard, die sich später Hilla nennt, doch noch ein bildungspolitisches und berufliches Happy End.
Die Filmerzählung erstreckt sich über ein Jahrzehnt. Zu Beginn, wo das verträumte Mädchen mit ihrem Großvater am Rheinufer „Buchsteine“ sammelt, ist Hildegard fünf. Am Ende, wenn sie sichtlich bewegt die Treppe zum Gymnasium hinauf schreitet, ist sie sechzehn. In den Jahren dazwischen begreift Hildegard mehr und mehr, dass nur Sprache und Literatur sie aus dem einengenden katholisch-rheinisch geprägten Elternhaus herausführen werden. Bildung ist für sie mehr als nur ein Wert an sich, sie ist zugleich Mittel zum Zweck, sie ist Medium für das Anderssein und Ausdruck der wachsenden Entfremdung zwischen Eltern und Tochter.
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Weiteres Medium ist die Sprache. In Hildegards Familie sprechen alle, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist – breites rheinisches Platt. Als das Mädchen auf die Realschule geht, wird ihr das erstmals bewusst. Es schämt sich ihrer Herkunft und ihres Dialekts. Die Sprache ist der augenfälligste Faktor im Emanzipationsprozess der Heldin. Deshalb war es nötig, um den Sprung aus der Enge des Elternhauses zu verdeutlichen zu, in Teil 1 von „Teufelsbraten“ sehr stark auf Dialekt zu setzen. Diese realistische Stärke des Films wird viele Zuschauer hart ankommen. Da kann man nur raten, sich langsam einzuhören und sich einzulassen „auf die Schwingungen der kölschen Sprooch und zu versuchen, ihren Rhythmus und ihre Melodie zu erfahren“, so wie es Ulrich Noethen als Aufgabe für die Schauspieler beschreibt
Bleibt es zunächst Harald Schmidt vorbehalten, mit einer kuriosen Loriot-Nummer als „Wäschemann“ für ein wenig Entlastung von jenem freudlosen Existenzkampf zu sorgen, kommt der zweite Teil den Sehgewohnheiten und dem Unterhaltungsbedürfnis des Zuschauers sehr viel näher. Der Sprung ins Teenageralter bringt dann sehr viel mehr Farbe in den durchgängig ästhetisch beeindruckenden Film von Hermine Huntgeburth. Friedrich Schiller ist Hillas Held. Nach der Realschule heißt es dann aber Schreibmaschine statt Schiller. Unter der gestrengen Aufsicht einer verknöcherten Sekretärin, die Corinna Harfouch glänzend zwischen verkniffener Jungfer und sadistischer Furie spielt, droht die Heldin in der Lehre zum ersten Mal, ihr Gleichgewicht zu verlieren … Hilla als Teenager wird überragend gespielt von Anna Fischer. Die Berlinerin gehört seit „Liebeskind“ und der Serie „KDD – Kriminaldauerdienst“ zu den ganz großen Hoffnungen. Starke Unterstützung bekommt sie von Ulrich Noethen, Margarita Broich, Peter Franke und Barbara Nüsse. (Text-Stand: 12.3.2008)