Der Titel darf durchaus als Warnung verstanden werden: Diese Serie ist bis zum Bersten mit Testosteron aufgepumpt. Bei der ARD ist man ganz aus dem Häuschen, schwärmt im besten PR-Stil von einem „furiosen Trip“ auf Basis eines „kreativen und innovativen Regiekonzepts“, außerdem sei die Serie „sensationell besetzt“. Das immerhin ist nicht ganz verkehrt, selbst wenn die Besetzung erwartbar ist, weil viele Mitwirkende aus dem Ramadan-Clan stammen, allen voran Frederick Lau, im Leben wie auch bei vielen gemeinsamen Projekten ein guter Kumpel von Kida Khodr Ramadan. Die Handlung wiederum wirkt, als hätte der frühe Quentin Tarantino eine für die damalige Zeit rasant geschnittene Serie für den damals noch gar nicht existierenden Streamingdienst Netflix inszeniert. In seinem Erstlingswerk „Reservoir Dogs – Wilde Hunde“ (1992) bringen sich die Mitglieder einer Bande nach einem misslungen Raubzug gegenseitig um. Die Handlung von Ramadans Serie – er hatte die Idee, war maßgeblich am Drehbuch beteiligt und hat gemeinsam mit Olivia Retzer Regie geführt – erinnert aber eher an „Hundstage“ (1975). In dem Al-Pacino-Klassiker von Sidney Lumet läuft ein Banküberfall komplett aus dem Ruder; das ist in „Testo“ nicht anders.
Dabei war der Plan ganz einfach: Keko (Ramadan), Devise: „Lieber tot als Knast“, will während eines Freigangs gemeinsam mit vier Freunden aus Kindheitstagen eine Bank ausrauben. Rein, raus, ruckzuck: Nach wenigen Minuten wären sie wieder draußen und hätten ausgesorgt; aber dann entdeckt Pepsi (Stipe Erceg) die Schließfächer. Während er ein Fach nach dem anderen öffnet, alarmiert eine Angestellte die Polizei, das Gebäude ist im Nu umstellt, und nun beginnt die für alle Beteiligten drinnen wie draußen zermürbende Zeit des Wartens. Roland Suso Richter hat aus einem derartigen Stoff vor gut zehn Jahren nach einem Drehbuch von Holger Karsten Schmidt den Hochspannungs-Thriller „Ein todsicherer Plan“ (2014) gemacht, aber dieses Niveau erreicht „Testo“ nicht, selbst wenn die dramaturgische Konstruktion sehr interessant ist. Die sieben Folgen à fünfzehn bis zwanzig Minuten sind größtenteils episodisch konzipiert: mit einer Einführung, die zum Beispiel einen kurzen Rückblick in die Kindheit der Gang gewährt, einer Wendung in der Mitte, weil regelmäßig unerwartete Gäste auftauchen, und einem kleinen Knüller zum Schluss.
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Die Serie ist in der Tat rasant, hat aber ein entscheidendes Manko: Werden typische Antagonisten zu zentralen Figuren, brauchen sie innere Konflikte, so wie Sonny Wortzig aus „Hundstage“; sonst bleiben sie eindimensional. Dieser Tiefgang fehlt „Testo“, weil die Figuren konsequent den Etiketten entsprechen, die ihnen bei der Vorstellung zu Beginn verpasst werden. Barro zum Beispiel, gespielt von Veysel Gelin, der ebenso wie der Rapper-Kollege Mortel Jovete (als fünfter im Bunde) einige Songs beigesteuert hat, gilt als „unberechenbarer Pitbull“, und so verhält er sich auch; Dialoge brauchte Gelin nicht zu lernen, denn wenn Barro auf Lautstärke umschaltet, ist er kaum zu verstehen. Es wird generell viel gebrüllt, geschrien und gekreischt. Die Gangster wirken ohnehin, als würden sie jeden Tag zum Frühstück „Scarface“ (1983, ebenfalls mit Pacino) anschauen. Das Etikett von Stulle (Lau) lautet „bipolar und guter Gangster“: Er rastet regelmäßig aus, was allerdings auch für alle anderen gilt, wird aber plötzlich zum Familienmenschen, als sich eine Kundin als Tante entpuppt. Jeanette Hain spielt die krebskranke Filialleiterin, die nichts mehr zu verlieren hat und bereit ist, sich zu opfern, wenn dafür die Geiseln überleben. Auf der Straße streiten sich derweil eine Streifenpolizistin (Nicolette Krebitz) und ein zwar suspendierter, aber von Keko als Verhandlungspartner angeforderter Kollege (Ronald Zehrfeld) um die Einsatzleitung. In einer etwas skurrilen Rolle wirkt außerdem Katharina Thalbach als Polizeipräsidentin mit.
Wie in „Reservoir Dogs“ gibt es einen Toten, der nur scheinbar tot ist, wie dort entpuppt sich ein Krimineller als Polizeispitzel, zwischendurch gerät immer wieder mal eine der Geiseln in Panik, was zu noch mehr Geschrei führt. Am Ende verlassen alle Überlebenden dank einer cleveren Idee Kekos unerkannt die Bank, aber es folgen noch zwei Epiloge. Der erste wirkt wie eine Hommage an „Zwei Banditen“ mit Paul Newman und Robert Redford (besser bekannt als „Butch Cassidy and the Sundance Kid“, 1969), der zweite ist eher überflüssig und ziemlich grotesk. Im ARD-Interview sagt Ramadan, dass er gern drauf verzichtet hätte, aber Koregisseurin Retzer hat sich durchgesetzt. Die beiden haben sich beim Schnitt zu „Asbest“ (2023) kennengelernt. Ramadans Serie über einen talentierten Kicker, der nicht bei den Profis, sondern im Gefängnis landet, war mit über neun Millionen Abrufen ein Überraschungserfolg in der ARD-Mediathek; kein Wunder, dass man ihm bei der Gestaltung von „Testo“ freie Hand gelassen hat. Die Gestaltung der chronologisch und trotz einer Länge von rund 110 Minuten in nur 14 Tagen gedrehten Serie ist für öffentlich-rechtliche Verhältnisse tatsächlich ungewöhnlich. Die zusätzlich durch die sehr präsente Thriller-Musik (Clemens Bacher) angetriebene Kameraführung (Armin Franzen) ist sehr dynamisch, „Testo“ wirkt nie wie ein Kammerspiel, obwohl sich die meisten Szenen in der Bankfiliale abspielen. Für Abwechslung sorgt neben vielen Perspektivwechseln auch ein ständiger Wechsel der optischen Anmutung, weil Ramadan und Retzer neben den Bildern der Führungskamera immer wieder Aufnahmen wie aus einer Überwachungskamera sowie auf einer dritten Ebene überbelichtet wirkende grobkörnige Bilder einstreuen. (Text-Stand: 10.1.2024)