Tatort – Züri brännt

Schuler, Zuercher, Brunner/Langenegger, Andereggen. Von wegen beschauliche Schweiz

Foto: SRF / Sava Hlavacek
Foto Volker Bergmeister

Hop, Schwyz, hop – mit reichlich Frauenpower wartet der neue Schweizer “Tatort: Züri brännt“ auf: Zwei neue Ermittlerinnen, die sich fetzen, eine neue Staatsanwältin, die karrieregeil ist, und mit Viviane Andereggen eine Regisseurin, die bereits mit dem preisgekrönten Krimidrama „Rufmord“ bewiesen hat, dass sie das Genre beherrscht. Dazu kommt ein Autoren-Duo, das auch schon für ein Highlight der Reihe verantwortlich war. Ein starker Einstand zum Neustart der Eidgenossen mit einer cleveren, komplexen Geschichte, die auf den Zeitebenen spielt, viel Aufmerksamkeit erfordert, aber bis zum Finale fesselt.

Die Beiträge der Eidgenossen zur Vorzeige-Krimireihe „Tatort“ waren in den letzten Jahren so eine Art Wundertüte. Einige Male gab es aus Luzern echte Überraschungen wie dem Fasnacht-Krimi „Schmutziger Donnerstag“, aber meist holperte es arg bei den Schweizern und auch gute Quoten gehörten dem Titel des ersten Falls entsprechend eher in die Kategorie „Wunschdenken“. Jetzt startet man einen neuen Anlauf: neuer Ort (Zürich), neues Team, neue Regisseurin und ein Erfolgsduo bei den Autoren. Denn Stefan Brunner (Netflix-Serie „Freud“) und Romanautor Lorenz Langenegger („Jahr ohne Winter“) arbeiteten auch schon bei dem mit Abstand besten Schweizer „Tatort“ der letzten Jahre zusammen: „Die Musik stirbt zuletzt“.

Es geht nach Zürich. Und – wie es in Schwyzerdeutsch heißt und der Titel ausdrückt – „Züri brännt“. 1980 gab es große Krawalle in der größten Stadt des Landes, die Jugend revoltierte, weil genug Geld für die Renovierung des Opernhauses da war, aber keine Kohle für ein autonomes Jugendzentrum. Mit Originalbildern beginnt der erste Schweizer „Tatort“ in neuem Gewand. Hier die Polizei, da die Demonstranten, unterlegt mit Punkmusik. Kurz darauf radelt die neue Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler) mit dem Fahrrad zu einem Tatort, nimmt einen Weg, auf dem vor vierzig Jahren die Krawalle stattfanden. Regisseurin Viviane Andereggen lässt auf der Strecke Originalbilder von damals und die der radelnden Kommissarin ineinander übergehen. Die trifft am Fundort einer Brandleiche mit Kopfschusswunde erstmals auf ihre Kollegin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher).

Tatort – Züri bränntFoto: SRF / Sava Hlavacek
Macht sich Sorgen um ihren besten Freund: Tessa Ott (Carol Schuler) und Charlie Locher (Peter Jecklin)

Zwischen den beiden Frauen geht es frostig zu – und das soll in den kommenden 88 Minuten so bleiben. Ein buddhistisches Rückentattoo und das Kärtchen einer Psychotherapie in der Tasche des Toten bringen die Ermittlerinnen unter Aufsicht von Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig) weiter. Es wird eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit der Opernhauskrawalle. Damals war auch Peter Herzog (Roland Koch), der Vorgesetzte der Kommissarinnen, als Bereitschaftspolizist mitten im Geschehen. Der erhält bei einer Feier anlässlich seiner bevorstehenden Pensionierung ein ungewöhnliches Geschenk per Kurier: „Jetzt ist die Frage, Bombe oder Pizza?“, witzelt er. Weder noch, es ist ein Totenschädel. Der – so ergeben die Untersuchungen – gehört Eva Baumann, einer jungen Polizistin, die seit 1980 verschwunden ist. Übrigens ebenso wie die flippige Ava Koch, die den Jungs auf der Straße den Kopf verdrehte. Zu ihnen gehörte auch Tessa Otts drogenabhängiger Freund Charlie (Peter Jecklin), bei dem sie derzeit wohnt. Es stellt sich heraus, dass Eva und Ava (Julia Buchmann) ein und dieselbe Person ist und damals als verdeckte Ermittlerin in die Szene eingeschleusst wurde. So müssen Grandjean und Ott ihr Ermittlungspuzzle Stück für Stück zusammensetzen. Es gilt, mehr als nur einen Mord aufzuklären.

„Ich lasse mich gern von anderen Kunstrichtungen wie der Musik, der bildenden Kunst, der Literatur für meine Filme inspirieren. Insbesondere habe ich mich mit dem westeuropäischen Blick auf Frauen beschäftigt und mir besonders französische, italienische und spanische Filme angeschaut. In diesen Kulturen empfinde ich den Blick auf Frauen oftmals wohlwollender, freier, weiblicher und vielfältiger“. (Viviane Andereggen, Regisseurin)

Tatort – Züri bränntFoto: SRF / Sava Hlavacek
Ziemlich desillusioniert von ihrem Job: Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher)

Stefan Brunner und Lorenz Langenegger erzählen vor realem Polit-Hintergrund eine fiktionale Geschichte der 1980er Jahre, als die Jugend für ihre Ideale kämpfte. Sie lassen zwei junge Kommissarinnen darauf los, die diese Zeit aus der Distanz betrachten können (anders als beispielsweise Bremens „Tatort“-Ermittlerin Inga Lürsen, die mal mit ihrer alten Revoluzzer-Zeit konfrontiert wurde). Den Autoren ist eine clevere, dicht erzählte Geschichte auf mehreren Zeitebenen gelungen, die viel Aufmerksamkeit erfordert, aber bis zum Finale fesselt.

Regisseurin Viviane Andereggen ist ein Glücksgriff. Der in Berlin lebenden Schweizerin gelang mit „Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut“ ein vielbeachteter Debütfilm (Regiepreis Metropolis in der Kategorie Nachwuchs 2016). Auch mit dem Drama „Rufmord“ beeindruckte sie, war für den Grimme und den Deutschen Fernsehpreis nominiert, gewann im Vorjahr den Hamburger Krimipreis. So bringt sie fürs Genre gute Voraussetzungen mit, die sie zu nutzen weiß. Sie setzt das Buch in starke Bilder und emotionale Momente um. Sie ist nah an den Figuren und versteht es geschickt, mit den Zeitebenen zu spielen. Originalaufnahmen von 1980, fiktionale Rückblenden und die Gegenwart gehen fließend ineinander über (Schnitt: Constantin von Seld). Hinzu kommt das Spiel mit verschiedenen Identitäten und Charakteren, die sich innerhalb der letzten 40 Jahre enorm gewandelt haben. „Die Bewegten von früher sind die Etablierten von heute“, sagt Herzog, der sich damals auf der Seite der „Guten“ wähnte.

Tatort – Züri bränntFoto: SRF / Sava Hlavacek
Endlich ein starker Einstand des Schweizer „Tatort“. Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler). Wiederbelebung eines Stücks Zeitgeschichte. Und wann raufen sich die beiden Kommissarinnen zusammen?

Mit reichlich Frauenpower vollzieht der Schweizer „Tatort“ den Wechsel. Gleich drei Frauen versuchen den Mord aufzuklären. Da ist Isabelle Grandjean, Arbeiterkind, welsche Polizistin, die jahrelang als Juristin in Den Haag am Staatsgerichtshof arbeitete, seit fünf Jahren in Zürich ermittelt und Peter Herzog auf dem Chefsessel gerne beerben möchte. Sie ist taff, zielstrebig und auch hart: „Ich bin mir vorgekommen wie Milosevic, sie ist gut, deine Madame Den Haag“, sagt Charlie Locher zu seiner Freundin Tessa, nachdem er von Isabelle verhört wurde. Da ist die Tessa Ott, Fallanalytikerin ohne große Erfahrung, sie stammt aus einer alteingesessenen Zürcher Familie und verdankt ihre Stelle Vitamin B – genauer gesagt: der Staatsanwältin Anita Wegenast. Die ist karrieregeil und clever, will gerne Bundesrichterin werden, braucht dazu Tessas einflussreiche Familie. Drei Frauen, drei eigenwillige Charaktere. Das schafft Spannung, Reibung und Konflikte. Daraus bezieht das Krimidrama seine Energie.

Stefan Brunner und Lorenz Langenegger lassen die beiden Ermittlerinnen aufeinander los, nie handgreiflich, aber stets verbal attackierend: „Sackgasse, in der Psychotherapie werden solche Symbole eingesetzt“, sagt Tessa, als man das Kärtchen mit dem Verkehrszeichen, das der Tote bei sich hatte, untersucht. Isabelle kontert trocken: „Unser Opfer ist also ein depressiver Buddhist“. „Korrekt, ehrgeizig, ich glaube, die hat Angst vor mir“, beschreibt Tessa ihre Kollegin. Die stellt bald schon ihrem Chef ein Ultimatum: „Sie oder ich!“  Nun, so einen Satz hat man schon des öfteren gehört. Ermittler-Duos kennt man in allen Formen: Zwei, die sich mögen, zwei, die sich gleichgültig sind, zwei, die sich hassen. Hier geht der Trend klar zu Letzterem, aber das wird nicht in Schwarzweiß-Mustern erzählt. Es sind clevere, mutige Frauen, die das Terrain abstecken und sich gegenseitig abtasten. Und schließlich ist es gut, wenn nicht beim ersten Einsatz gleich das Pulver verschossen wird. Denn diese Konstellation hat ein enormes Entwicklungspotential: Beide Figuren sind brüchig und verletzlich.

Komplex und spannend ist der neue Schweizer „Tatort: Züri brännt“, der die Frage aufwirft, wie die Vergangenheit unsere Gegenwart beeinflusst und wie schwer es ist, sich von der eigenen Vergangenheit zu lösen. Neben der starken Geschichte sind es aber vor allem die beiden Ermittler-Figuren, die diesen Krimi sehenswert machen. Ihre Vitas, Persönlichkeiten und Konflikte stehen im Mittelpunkt. Und ihre Gegensätze: Arm gegen reich, cool gegen ehrgeizig, Bauch- gegen Kopfmensch. Anna Pieri Zuercher  (Schweizer Fernsehfilmpreis 2019 als beste Darstellerin für die TV-Serie „Doppelleben“) und Carol Schuler (Grimme-Preis für die Netflix-Serie „Skylines“) machen mit ihren frischen, engagierten und vielschichtigen Figuren Lust auf mehr. Fall zwei ist bereits abgedreht. (Text-Stand: 2.10.2020)

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Reihe

ARD Degeto, SRF

Mit Carol Schuler, Anna Pieri Zuercher, Rachel Braunschweig, Aaron Arens, Roland Koch, Peter Jecklin, Igor Kovac, Julia Buchmann, Karin Pfammatter, Michael Goldberg, Christop Oswald

Kamera: Martin Langer

Szenenbild: Monica Rottmeyer

Schnitt: Constantin von Seld

Musik: Fabian Römer

Redaktion: Urs Fize, Lilian Räber, Gabruella Degara (alle SRF), Birgit Titze (ARD Degeto)

Produktionsfirma: Zodiac Pictures

Produktion: Lukas Hobi, Reto Schaerli

Drehbuch: Stefan Brunner, Lorenz Langenegger

Regie: Viviane Andereggen

Quote: 7,45 Mio. Zuschauer (21,6% MA)

EA: 18.10.2020 20:15 Uhr | ARD

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