Ein blutdurchtränkter Kapuzenpulli und eine verschwundene 16Jährige beunruhigen Ellen Berlinger (Heike Makatsch), die mittlerweile in Mainz lebt, und ihren Kollegen Martin Rascher (Sebastian Blomberg). Der Kommissar sieht einen Zusammenhang mit einer unaufgeklärten Mordserie an Jugendlichen, die ihn seit Jahren nicht mehr loslässt. Berlinger hat hingegen bald eine ganz andere Befürchtung. Denn nicht nur das Mädchen, Marie Blixen (Aniya Wendel), ist nach einer Schulfete spurlos verschwunden, auch Jonas (Luis Kurecki), der 13jährige Sohn ihrer Cousine Maja (Jule Böwe), ist nicht zu erreichen. Ist er tatsächlich mit einem Freund auf einer Wochenendfahrt, bei dem keiner ein Handy dabei hat? Zeugen haben gesehen, dass der als etwas sonderlich geltende Junge mit Marie auf der Party kurz gesprochen und sie ihm daraufhin eine Ohrfeige gegeben hat. Und das blutige Sweatshirt scheint eher nicht dem vermissten Mädchen zu gehören. Also könnte der Junge auch ein Opfer sein. In Frage käme er aber auch als möglicher Täter … Doch dann geht endlich die längst erwartete Lösegeld-Forderung bei Maries wohlhabenden Eltern (Schupp, Morgeneyer) ein.
Foto: SWR / Julia Terjung
„Zeit der Frösche“ ist der zweite SWR-„Tatort“ mit Heike Makatsch als Kommissarin Ellen Berlinger. Die allein erziehende Mutter bleibt eine „Problemfigur“, wenngleich die persönliche Geschichte dieser Frau, Anfang 40, weniger im Mittelpunkt steht als im Auftaktfilm „Fünf Minuten Himmel“. Ihre konfliktträchtige Vita, die Existenz ihrer Tochter Nina, die bei ihrer Mutter aufgewachsen ist und derzeit in Berlin studiert, wird allenfalls kurz angeschnitten. Den Rest sieht man: Ellen hat sich nach dem Tod ihrer Mutter von Freiburg nach Mainz versetzen lassen, wo sie nun versucht, ihr Leben als Kommissarin und Mutter einer zweijährigen Tochter in den Griff zu bekommen. Nicht zuletzt mit der tatkräftigen Unterstützung ihrer Cousine, die sich öfter um ihre kleine Greta kümmert, während Ellen einen recht engen Kontakt zu dem leicht autistisch veranlagten Jonas aufgebaut hat. Dass nun ausgerechnet er, Ellens kleiner Seelenverwandter in punkto Eigensinn & zwischenmenschliche Scheu, in den Fall verstrickt ist, setzt die Heldin auch dieses Mal wieder extrem unter Druck. Die inneren Nöte und die persönliche Involviertheit in den Fall machen die Stärken dieser Figur aus. Diese gebrochene „Heldin“ wurde Heike Makatsch quasi auf den „Leib“ geschrieben. So ungewöhnlich der bisherige Lebensweg für eine Kommissarin auch sein mag, dank Makatsch, dank ihrer ausdrucksstarken Physiognomie – dieser Blick, diese Augen – gibt es für den Zuschauer wenig Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Ellen Berlingers Biografie.
Makatsch zur Seite gestellt wurde ein weiterer Ausnahmeschauspieler: Sebastian Blomberg verkörpert einen Kommissar, der noch weitaus empathischer ist als seine Kollegin; er braucht keine persönliche Bindung, um ganz im Mitgefühl aufzugehen. Während Berlinger in einer prekären Situation auf folterähnliche Methoden verfällt, ist er, „der Unerlöste“, wie Blomberg seine Figur beschreibt, ein hochintegrer Charakter, „kein kalter, distanzierter Ermittlungs-Automat“. Eine Figur mit Tiefe und (narrativem) Potenzial. Sollte der „Tatort“ aus Mainz fortgesetzt werden, wäre es klug, weiterhin auf dieses sensible Seelenduo zu setzen – und Blombergs Rascher noch stärker in den Fokus zu rücken. Die Fortsetzung der verhinderten Liaison mit dem Erzieher Bassi, gespielt von Lucas Prisor, wäre möglich, um noch etwas mehr von der verschlossenen Kommissarin privat zu erfahren („Ich mag dich, aber ich bin zu verkorkst für dich“), doch nicht unbedingt nötig. Vielleicht wollen die Verantwortlichen aber auch die für die Heldin so bestimmende Bindungsunfähigkeit weiterhin stark betonen; da wäre dann ein anderer Mann vielleicht eine „vielsagendere“ Lösung. Ohnehin wirkt – bei genauem Hinsehen – der Erzieher mit Lover-Ambitionen wie ein dramaturgischer Gehilfe: Mal muss der locker-coole Bassi als Babysitter einspringen, mal fragt er die Heldin über ihr Leben aus, damit die vergesslichen Zuschauer oder die, die „Fünf Minuten Himmel“ nicht gesehen haben, auch im Bilde sind. Andererseits sind die Szenen mit Makatsch & Prisor eine willkommene Abwechslung zur Molltonfärbung der Geschichte von Marco Wiersch (fünf „Bloch“-Filme) und ihrer kongenialen Inszenierung durch Markus Imboden („Mörder auf Amrum“).
Foto: SWR / Julia Terjung
Wer bei diesem Krimi-Drama polizeilich-kriminalistischen Realismus einfordert, der steht auf verlorenem Posten. Befangener als die Heldin kann man als Kommissarin kaum sein; aber gerade das macht einen Großteil der emotionalen Dramatik aus. Auch die finale Tatort-Begehung mit dem Nachstellen der Tat ist vor allem spannungsästhetisch ein großer Moment. Ergeben sich also gerade aus diesem vermeintlichen Glaubwürdigkeitsmanko besondere (af-fektive) Qualitäten für den Film, so besitzt „Zeit der Frösche“ doch eine Reihe kleiner dramaturgischer Stolpersteine, vor allem was die Logik der Narration angeht. Da wird in der Handlung vieles hingedreht, aber es passt nicht richtig zusammen: zwei Kids, die mit einer Mutter zwei Tage verreisen und nicht per Handy erreichbar sind; ein Familienvater, der (weil man es für die Geschichte braucht) außerhäusig übernachtet; ein blutiges Sweatshirt, das in einem Altkleidercontainer landet und einen Tag später (an einem Samstag) bereits entdeckt wird. Und wie gut, dass die Heldin nachts Besuch von ihrem Verehrer bekommen hat, wo sie doch Minuten später zum nächtlichen Einsatz muss… Darüber hinaus wirkt der Krimiplot mit seinen ausgespielten falschen Fährten ziemlich grob und wenig elegant. Dagegen sind die emotionalen Zwischentöne sehr gut getroffen: beispielsweise der Hinweis auf die menschlich bedenklichen Methoden der Polizei, das professionelle Hinweggehen über die Gefühle verzweifelter Eltern, alles im Namen einer erfolgreichen Täterüberführung. Gut funktioniert neben dem Drama der Kommissare die Psycho-Logik des mathematisch hochbegabten, wissbegierigen („Weißt du, wie Liebe gemacht wird“) und emotional zurückgebliebenen Jungen. Überzeugend ist auch sein Darsteller: Luis August Kurecki („Familie mit Hindernissen“), Jahrgang 2006, der bereits mit sieben in dem Ausnahmedrama „Weiter als der Ozean“ einen Jungen mit Psychotherapie-Erfahrung spielte. Und die konkrete Auflösung des Krimifalls ist zwar dramaturgisch clever und – was den Gefühlshaushalt des Zuschauers angeht – rücksichtsvoll, aber psychologisch in Bezug auf die Charaktere und ihr Verhalten im Verlauf der Handlung (beispielsweise in den Befragungen), da bekommt man auch wieder den Eindruck, dass hier etwas hingebogen werden musste. (Text-Stand: 12.3.2018)