Mord in der Rocker-Szene – und für Faber wird die Lüft dünner…
Ein Geländewagen brettert mit voller Wucht und Absicht in einen Motorradfahrer. Bei einem anschließenden Schusswechsel wird der angefahrene Mann aus der Rockerszene erschossen, auch ein Passant stirbt. Ist es ein Zufall, dass der Präsident (Jürgen Maurer) der in Dortmund gefürchteten „Miners“ ausgerechnet heute aus der Haft entlassen wurde? Bei einer Art Antrittsbesuch bei den Rockern hält sich Faber (Jörg Hartmann) für seine Verhältnisse zurück, hat aber dennoch sofort ein Messer am Hals. Derweil wartet Pröll (Milan Peschel), der Herr von der Dienstaufsicht auf dem Kommissariat. Die Dienstaufsichtsbeschwerde von Kossik (Stefan Konarske) könnte seinem Chef den Kopf kosten. Dieser provoziert Pröll fröhlich weiter, spürt aber, dass die Luft für ihn dünner wird: Was werden wohl „seine“ Frauen aussagen? Nora Dalay (Aylin Tezel) will sich heraushalten aus dem Alpha-Männchen-Streit und Bönisch (Anna Schudt) verhält sich zwar seit jeher kollegial, aber als Faber wieder seine schrägen Touren fährt und gegen die Team-Regeln verstößt, zeigt sie ihm die rote Karte. Der Mord wird derweil mit einem Doppelmord gerächt. Und der Fall beginnt jetzt erst richtig.
Foto: WDR / Thomas Kost
Autor Jürgen Werner zum Konfliktpotenzial der Geschichte:
„Unter den Rockern herrscht Krieg, die Jungen beißen die Alten weg, Brutalität geht vor Ehrenkodex. Und im Präsidium möchte der junge Kollege Kossik den ollen Faber am liebsten mit einem Tritt in den Hintern aus dem Team drängen.“
Männer mit Bizeps & Wut im Bauch, Frauen als Stimmen der Vernunft
Drehbuchautor Jürgen Werner hat reichlich Testosteron in die neunte Episode vom „Tatort“ Dortmund gepumpt. Eine Rocker-Gemeinschaft, in der man sich nicht mehr vertraut und entsprechend brutal über die Stränge schlägt. Eine alles beherrschende Mafia, die die Männer in Leder ihrer Geschäftsfelder beraubt und sie zum Handeln zwingt. Und die Hahnenkämpfe gehen bei der Polizei weiter: Kossik gegen Faber – das Privatduell geht in die vorvorletzte Runde. Stefan Konarske wird 2017 aus der Reihe aussteigen. Für seinen Abgang wird sich Autor Werner, der acht der dann elf Episoden geschrieben hat, sicher etwas Ungewöhnliches einfallen lassen; der seelische Niedergang des Anti-Zynikers Kossik jedenfalls ist seit einiger Zeit DAS Thema dieser sensiblen Figur. Die Frauen dagegen sind die klugen Pragmatikerinnen auch in „Zahltag. Bönisch und Dalay sind die Stimme der Vernunft; beide fühlen sich wie „Babysitter“ für zwei Männer, deren Egos noch immer auf Sandkastenhöhe streiten. Manchmal aber hat dieses Macho-Gehabe auch sein Gutes. Wäre Faber nicht Faber, also kein Kamikaze-Bulle (den Hartmann mit Physis & extremer Präzision verkörpert), würde er beispielsweise nicht mit einer solchen Dreistigkeit immer wieder bei dem Präsidenten der „Miners“ (stark in seinem cool-minimalistischen Spiel nach innen: Maurer) auftauchen, ihn provozieren & herausfordern – dann brächte er die Ermittlungen nicht voran und könnte den Zuschauer nicht überraschen mit solchen intensiven Konfrontationen, ausgetragen fast nur über Blick und Körperhaltung. Und das, was Faber so von sich gibt, ist ja auch nicht ohne.
Foto: WDR / Thomas Kost
Klassische Krimi-Reihe & horizontales Erzählen in kreativer Eintracht
Es ist in den ttv-Kritiken schon desöfteren gesagt worden: Das Konzept vom WDR-„Tatort“ aus Dortmund findet eine ideale Verbindung zwischen dem traditionsreichen und hierzulande beim Fernsehzuschauer alter Prägung gut funktionierenden Reihen-Krimi und dem horizontalen Erzählen, wie es vor allem das jüngere Publikum aus den amerikanischen, britischen oder skandinavischen Serien kennt. Auch in „Zahltag“ werden beide Zielgruppen bedient. Wer die Episode „Kollaps“ (2015), auf die die neue direkt Bezug nimmt, nicht gesehen hat, versteht dennoch bald, wessen sich Faber schuldig gemacht haben könnte: Um einen Fall zu lösen, soll er entscheidende Informationen, polizeiliche Interna, an einen Dortmunder Drogen-König weitergegeben und damit den Tod eines jungen Senegalesen mit verursacht haben. Auch an die Belastung, der Nora Dalay in jener siebten Episode ausgesetzt war (sie erschoss damals einen verdächtigen Mörder, um den jungen Senegalesen zu retten), wird noch einmal erinnert und daran, dass Dalay seither mit dieser Last leben muss – was im Übrigen zur Entwicklung dieser Figur seit Folge 1 sehr gut passt: Die Deutschtürkin ist nicht mehr die coole, weitgehend unbeschwerte junge Frau aus „Alter Ego“ oder „Mein Revier“; durch Trennungen, eine Abtreibung und ihre lebensbedrohlichen Erfahrungen mit der rechtsextremen Szene hat sie sich stark verändert. Das entwaffnende Aylin-Tezel-Lächeln jedenfalls hat man schon länger nicht mehr gesehen. Das mag der eine oder andere schade finden, der Figur aber hat der Wandel gut getan. Nicht weniger stimmig von der Psychologie der Gesamtgeschichte her ist Kossiks Entwicklung. Sein Kampf gegen Faber hat aber auch gezeigt, dass Stefan Konarske mit den „erwachsenen“ Hochkarätern Jörg Hartmann & Anna Schudt gut mithalten kann (was die Plots der ersten Episoden noch nicht hinreichend taten).
Ein Dialogwechsel
Faber zum Mann von der Dienstaufsicht: „Haben Sie heute schon einen Kollegen in die Tonne gekloppt? Oder bin ich der erste?“
Pröll: „Wir machen alle nur unsere Arbeit.“
Faber: „Jaja, das haben die im Dritten Reich auch gesagt.“
Foto: WDR / Thomas Kost
Spannende Geschichten & starke Charaktere: Tiefe ist ein Prozess!
Durch die beiden Erzählstränge, Mord in der Rockerszene und interne Ermittlung, und den Hang der Kommissare zur Vereinzelung macht aus „Zahltag“ einen harten Brocken, der Jürgen Werner dramaturgisch und Regisseur Thomas Jauch filmisch einiges abverlangt. Erzähllogik und Filmrhythmus sind ausgezeichnet, da ergibt sich Spannung – noch dazu bei diesen Geschichten – quasi wie von selbst. Aber es ist nicht nur eine Spannung auf den Ausgang, im Extremfall eine Spannung auf Leben und Tod, nein, es ist häufig diese psychologische Spannung, der man sich als Zuschauer – je mehr man den Dortmunder „Tatort“ kennt und je mehr man dessen Team mag und „versteht“ – nur schwer entziehen kann: Alle tragenden Figuren in „Zahltag“ stecken voller innerer Spannung, halten sie aber, wie es sich gehört, weitgehend zurück. Allenfalls die Rocker geben sich da weniger kultiviert und der hochintelligente Faber macht sich wie immer einen Spaß daraus, sein Gegenüber aus der Reserve zu locken, indem er ihn provoziert mit zynischen Ansichten und unmoralischen Angeboten. Auch diese Spielchen von Faber, der sich seit einigen Episoden nicht mehr in seiner privaten Verzweiflung suhlt, sondern sein Ausfälligwerden zunehmend der Aufklärung des Falls unterordnet, besitzen immer auch einen gewissen Spannungsfaktor (wie kommt der aus dieser Kiste wieder raus? Kriegt er paar auf die Nase?) – und sie bringen immer auch die Handlung weiter. Das kluge Zusammenspiel aus „Plot Driven“ und „Character Driven“ ist das Geheimnis dieses „Tatort“-Ablegers. Um zu erklären, weshalb das bei „Zahltag“ wieder so gut funktioniert, kommt man zum horizontalen Erzählen zurück. Charakter-Tiefe, wie sie ein Faber oder eine Bönisch an den Tag legen, lässt sich nicht mal eben behaupten. Glaubwürdige Charaktere brauchen Zeit. In Reihen-Krimis, bei denen viel Zeit draufgeht für die Fälle, benötigen die Kommissare, insbesondere wenn es vier sind (bei einem wie Matthias Brandts von Meuffels im „Polizeiruf“, der darüber hinaus ein „Character-Driven“-Konzept verfolgt, geht das natürlich schneller), schon ein paar Episoden, damit wir, die Zuschauer, sie verstehen. Erst die Erfahrung, die wir mit einer Figur machen, zu erkennen, wie sie in bestimmten Situationen reagiert, bringt sie uns näher. Das ist in Filmen ähnlich wie im Leben.