Tatort – Willkommen in Hamburg

Til Schweiger, Fahri Yardim, Waschke, Alvart. Es muss knallen im Popcorn-„Tatort“

Foto: NDR / Marion von der Mehden
Foto Rainer Tittelbach

„Willkommen in Hamburg“, die Premiere für Til Schweiger beim Krimi-Flaggschiff der ARD, ist noch kein Hammer-„Tatort“ – auch wenn es Action-mäßig gleich mächtig zur Sache geht. Vater und Cop haben sich noch nicht gefunden – vieles ist noch Behauptung und manches riecht nach Zuschauerfang. Man will cool & amerikanisch sein und ist doch nur bemüht & ziemlich deutsch. Die Möglichkeiten von Til Schweiger, die einfach nicht im Ein-Mann-sieht-rot-Genrekino liegen, werden noch nicht genutzt. Die Ausgangsidee des „Tatort“-Ablegers ist dennoch gut. Auch dieser Film hat schon seine Momente: guter Look & gutes Tempo!

Es sollte nur eine routinemäßige Wohnungsüberprüfung werden. Am Ende hat der LKA-Mann Nick Tschiller an seinem ersten Arbeitstag in Hamburg drei Menschen erschossen. „Notwehr“, sagt er, die schöne Staatsanwältin blickt skeptisch und auch sein Chef Petretti hat ihn, den Neuankömmling aus Frankfurt, schon gleich gefressen. „Du hast den Kiez-Frieden gestört“, klärt ihn ein Kollege auf. Tschiller geht weiter diesen unbequemen Weg – denn er will nicht zusehen, wie ein kurdischer Clan minderjährige Mädchen aus Osteuropa gefügig macht und auf den Strich schickt. So nimmt er sich einer 16jährigen Zwangsprostituierten an und versteckt sie in der Wohnung seines neuen Partners Yalcin, der beim ersten gemeinsamen Einsatz mächtig was abbekommen hat. Vom Krankenhaus aus hackt dieser eifrig um das Leben seines neuen Kumpels und des jungen Mädchens. Offenbar ist Tschillers Ex-Partner Brenner in den Fall verstrickt, vielleicht ist er sogar vom Zuhälter-Clan gekauft worden.

Tatort – Willkommen in HamburgFoto: NDR / Marion von der Mehden
Die empfindsame Seite des Helden: auch emotional, im Umgang mit seiner Tochter, bleibt Til Schweiger alias Nick Tschiller seltsam angespannt. Ist es die Story oder ist es der Schauspieler? Es fehlt an Leichtigkeit. Das will amerikanisches Entertainment sein und bleibt doch schwere deutsche Kost. Kein Wunder beim Thema Teenager-Prostitution. Und dann ist auch noch die Tochter als Projektionsfläche. Wie wollte man mit dieser Kombi einen lockeren Genrefilm machen?!

Der Gerechtigkeitssinn des neuen – man muss schon sagen – „Tatort“-Helden ist größer als seine Loyalität gegenüber seinem neuen Arbeitgeber. Das hat auch private Gründe: der knallharte Bulle ist im Nebenjob ein liebender Vater, der allein wegen seiner 15-jährigen Tochter nach Hamburg gezogen ist… Das ist dann auch der Knackpunkt von Til Schweigers erstem „Tatort: Willkommen in Hamburg“. Ein Schauspieler wie er, der verdientermaßen seine Erfolge in der Filmkomödie eingefahren hat, wirkt im harten Genre-Einsatz immer – um es freundlich auszudrücken – seltsam überambitioniert und gewollt: Das will Hollywood sein, ist in seiner Ernsthaftigkeit und prätentiösen Emotionalität aber durch und durch deutsch. Die coole Ironie eines Bruce Willis oder Mel Gibson hat man bei ihm noch nicht gesehen. Müßig zu spekulieren, ob es an Schweigers mimischen Ausdrucksmöglichkeiten liegt, dass es keine schlüssige oder atmosphärische Verbindung zwischen den beiden Seiten des Helden gibt, dass es zwischen Vater und Cop einfach nicht emotional „fließt“. Dieser Kontrast gehört zur Konzeption und ist grundsätzlich keine schlechte Idee – nur: die konkrete Mixtur aus expressiver Gewalt und überzogener Empathie funktioniert in diesem Film einfach (noch) nicht. Diese Polarität der Hauptfigur ist nicht das einzige, was in diesem Film Behauptung bleibt. So wie sich die Nuancen der Pressetext-Inhaltsangabe im Film kaum noch wiederfinden lassen: Die familiäre Logik stimmt irgendwie nicht so ganz (weshalb ist auch seine Tochter neu in Hamburg, wenn sie doch davor bei ihrer Mutter, die nun wieder beruflich durchstarten will, gelebt hat?) und auch von dem sogenannten „Kiez-Frieden“ der Hamburger Polizei spürt man im Film nicht viel. Das sieht noch alles zu sehr nach Reißbrett und Zuschauerfang aus: hier Action für die männlichen, dort Vaterliebe und schlechtes Macho-Gewissen für die weiblichen Zuschauer. Ein Mann zwischen männlich dominierter Schattengesellschaft und der Alltagsdominanz der Frauen. Eigentlich keine schlechte Idee.

Tatort – Willkommen in Hamburg

Tatort – Willkommen in HamburgFoto: NDR / Marion von der Mehden
OBEN: Til Schweigers Tschiller hat nicht’s zu lächeln im „Tatort: Willkommen in Hamburg“. Dabei ist dieses Lächeln doch das, was den Schauspieler weitgehend ausmacht. UNTEN: Männliche Selbststilisierung, Marke Til Schweiger. Was schon im RTL-Movie „Adrenalin“ (1996) oder erst unlängst in „Schutzengel“ (2012) prätentiös cool wirkte, geht auch im etwas familienfreundlicheren „Tatort“-Rahmen nicht auf. Til Schweiger ohne ein einziges Lächeln ist wie Maria Furtwängler als lachender Knallfrosch.

Autor Christoph Darnstädt über „Willkommen in Hamburg“:
„Bei uns geht es nicht immer hyperrealistisch zu. Immer ein Stück drüber sein, ein Krimi mit viel Action, Spaß und dem Verzicht auf eine klassische Ermittlungsarbeit – das ist unser Anspruch.“

„Tatort ist eine starke Marke, Til Schweiger ist eine starke Marke – beide addieren sich nicht, sie multiplizieren sich.“ (Regisseur Christian Alwart)

Til Schweiger über seinen Nick Tschiller:
„Er ist nicht mehr so gut auf den Beinen und er ist auch nicht mehr der Jüngste. Nick hat aber keinen Grundkonflikt – das unterscheidet ihn von vielen anderen Fernsehkommissaren. Seine Ehe ist zwar gescheitert, aber er bemüht sich trotzdem, ein guter Vater zu sein.“

Tatort – Willkommen in HamburgFoto: NDR / Marion von der Mehden
In „Willkommen in Hamburg“ müssen Frauen und Mädchen gerettet und beschützt werden. Dieser (zwar leicht gebrochene) männliche Heroismus ohne jegliche Ironie ist wahrscheinlich mit der Grund für das Unbehagen an diesem LKA-Cop, über den sein Autor sagt: „Einem Polizisten wie Nick Tschiller will ich in Wirklichkeit nicht begegnen. Im Film schon. Wie er uns hier begegnet, das ist reine Fiktion.“ Britta Hammelstein und Nicole Mercedes Müller

Also noch kein Hammer-„Tatort“. Dabei kann man die Ausgangsidee nur begrüßen: Ein Held, der nicht anklopft, weitgehend enthoben von der grauen deutschen Wirklichkeit, in Geschichten, die mit Genre-Versatzstücken eine Art Popcorn-„Tatort“ zaubern sollen – warum nicht?! Stark in „Willkommen in Hamburg“ ist die sehr physische Einführung, der direkte Sprung in den ersten Einsatz, spannend und actionreich. Nur, der Film hält im Verlauf eben nicht ganz, was er verspricht. Bündige, emotional stimmige Action fürs Fernsehen ist einfach schwieriger herzustellen als psychologischer Tiefgang, eine Tonlage, die deutsche Regisseure seit Jahren im Krimi perfektioniert haben. An der Inszenierung liegt es nicht, die ist tadellos. Christian Alvart, dessen Liebesfilm „8 Uhr 28“ noch immer auf seine Ausstrahlung in der ARD wartet, zielt auf einen Hochglanz-Düster-Look, der vor allem als unmittelbar sinnlicher Reiz empfunden wird, anders als in seinen „Borowski“-Tatorten“, in denen sich die Bilder zu einer flächigen Atmosphäre auswachsen. Hier dagegen ist der rasche Reiz gefragt. Es muss knallen – Kamera, Ausstattung und Schnitt helfen dabei mit. Das muss man nicht mögen. Es hat aber was! Entsprechend werden Vielgucker, die sich nach Abwechslung und Vielfalt sehnen, den Ausführungen von NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath durchaus einiges abgewinnen können: „Uns geht es auch darum, die ‚Tatort’-Palette um eine neue & originelle Farbe zu erweitern und zu bereichern, etwas, das es so beim ‚Tatort’ noch nicht gibt.“

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

NDR

Mit Til Schweiger, Fahri Yardim, Mark Waschke, Nicole Mercedes Müller Tim Wilde, Britta Hammelstein, Luna Schweiger, Mavie Hörbiger, Edita Malovcic, Svetlana Ustinova, Stefanie Stappenbeck, Erdal Yildiz

Kamera: The Chau Ngo

Szenenbild: Thomas Freudenthal

Schnitt: Sebastian Bonde

Produktionsfirma: Constantin Television

Drehbuch: Christoph Darnstädt

Regie: Christian Alvart

Quote: 12,57 Mio. Zuschauer (33,5% MA); Wh. (2020): 4,28 Mio. (14,7% MA)

EA: 10.03.2013 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach