Es sollte nur eine routinemäßige Wohnungsüberprüfung werden. Am Ende hat der LKA-Mann Nick Tschiller an seinem ersten Arbeitstag in Hamburg drei Menschen erschossen. „Notwehr“, sagt er, die schöne Staatsanwältin blickt skeptisch und auch sein Chef Petretti hat ihn, den Neuankömmling aus Frankfurt, schon gleich gefressen. „Du hast den Kiez-Frieden gestört“, klärt ihn ein Kollege auf. Tschiller geht weiter diesen unbequemen Weg – denn er will nicht zusehen, wie ein kurdischer Clan minderjährige Mädchen aus Osteuropa gefügig macht und auf den Strich schickt. So nimmt er sich einer 16jährigen Zwangsprostituierten an und versteckt sie in der Wohnung seines neuen Partners Yalcin, der beim ersten gemeinsamen Einsatz mächtig was abbekommen hat. Vom Krankenhaus aus hackt dieser eifrig um das Leben seines neuen Kumpels und des jungen Mädchens. Offenbar ist Tschillers Ex-Partner Brenner in den Fall verstrickt, vielleicht ist er sogar vom Zuhälter-Clan gekauft worden.
Der Gerechtigkeitssinn des neuen – man muss schon sagen – „Tatort“-Helden ist größer als seine Loyalität gegenüber seinem neuen Arbeitgeber. Das hat auch private Gründe: der knallharte Bulle ist im Nebenjob ein liebender Vater, der allein wegen seiner 15-jährigen Tochter nach Hamburg gezogen ist… Das ist dann auch der Knackpunkt von Til Schweigers erstem „Tatort: Willkommen in Hamburg“. Ein Schauspieler wie er, der verdientermaßen seine Erfolge in der Filmkomödie eingefahren hat, wirkt im harten Genre-Einsatz immer – um es freundlich auszudrücken – seltsam überambitioniert und gewollt: Das will Hollywood sein, ist in seiner Ernsthaftigkeit und prätentiösen Emotionalität aber durch und durch deutsch. Die coole Ironie eines Bruce Willis oder Mel Gibson hat man bei ihm noch nicht gesehen. Müßig zu spekulieren, ob es an Schweigers mimischen Ausdrucksmöglichkeiten liegt, dass es keine schlüssige oder atmosphärische Verbindung zwischen den beiden Seiten des Helden gibt, dass es zwischen Vater und Cop einfach nicht emotional „fließt“. Dieser Kontrast gehört zur Konzeption und ist grundsätzlich keine schlechte Idee – nur: die konkrete Mixtur aus expressiver Gewalt und überzogener Empathie funktioniert in diesem Film einfach (noch) nicht. Diese Polarität der Hauptfigur ist nicht das einzige, was in diesem Film Behauptung bleibt. So wie sich die Nuancen der Pressetext-Inhaltsangabe im Film kaum noch wiederfinden lassen: Die familiäre Logik stimmt irgendwie nicht so ganz (weshalb ist auch seine Tochter neu in Hamburg, wenn sie doch davor bei ihrer Mutter, die nun wieder beruflich durchstarten will, gelebt hat?) und auch von dem sogenannten „Kiez-Frieden“ der Hamburger Polizei spürt man im Film nicht viel. Das sieht noch alles zu sehr nach Reißbrett und Zuschauerfang aus: hier Action für die männlichen, dort Vaterliebe und schlechtes Macho-Gewissen für die weiblichen Zuschauer. Ein Mann zwischen männlich dominierter Schattengesellschaft und der Alltagsdominanz der Frauen. Eigentlich keine schlechte Idee.
Autor Christoph Darnstädt über „Willkommen in Hamburg“:
„Bei uns geht es nicht immer hyperrealistisch zu. Immer ein Stück drüber sein, ein Krimi mit viel Action, Spaß und dem Verzicht auf eine klassische Ermittlungsarbeit – das ist unser Anspruch.“„Tatort ist eine starke Marke, Til Schweiger ist eine starke Marke – beide addieren sich nicht, sie multiplizieren sich.“ (Regisseur Christian Alwart)
Til Schweiger über seinen Nick Tschiller:
„Er ist nicht mehr so gut auf den Beinen und er ist auch nicht mehr der Jüngste. Nick hat aber keinen Grundkonflikt – das unterscheidet ihn von vielen anderen Fernsehkommissaren. Seine Ehe ist zwar gescheitert, aber er bemüht sich trotzdem, ein guter Vater zu sein.“
Also noch kein Hammer-„Tatort“. Dabei kann man die Ausgangsidee nur begrüßen: Ein Held, der nicht anklopft, weitgehend enthoben von der grauen deutschen Wirklichkeit, in Geschichten, die mit Genre-Versatzstücken eine Art Popcorn-„Tatort“ zaubern sollen – warum nicht?! Stark in „Willkommen in Hamburg“ ist die sehr physische Einführung, der direkte Sprung in den ersten Einsatz, spannend und actionreich. Nur, der Film hält im Verlauf eben nicht ganz, was er verspricht. Bündige, emotional stimmige Action fürs Fernsehen ist einfach schwieriger herzustellen als psychologischer Tiefgang, eine Tonlage, die deutsche Regisseure seit Jahren im Krimi perfektioniert haben. An der Inszenierung liegt es nicht, die ist tadellos. Christian Alvart, dessen Liebesfilm „8 Uhr 28“ noch immer auf seine Ausstrahlung in der ARD wartet, zielt auf einen Hochglanz-Düster-Look, der vor allem als unmittelbar sinnlicher Reiz empfunden wird, anders als in seinen „Borowski“-Tatorten“, in denen sich die Bilder zu einer flächigen Atmosphäre auswachsen. Hier dagegen ist der rasche Reiz gefragt. Es muss knallen – Kamera, Ausstattung und Schnitt helfen dabei mit. Das muss man nicht mögen. Es hat aber was! Entsprechend werden Vielgucker, die sich nach Abwechslung und Vielfalt sehnen, den Ausführungen von NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath durchaus einiges abgewinnen können: „Uns geht es auch darum, die ‚Tatort’-Palette um eine neue & originelle Farbe zu erweitern und zu bereichern, etwas, das es so beim ‚Tatort’ noch nicht gibt.“