Conny Mey lächelt. Frank Steier führt sich auf wie ein Lebensmüder. Ein Mordfall in Jugend-Gefängnis bringt den Kamikaze-Kommissar vollends an seine Grenzen. Der Ober-Schließer ist ein Ekel, der Direktor sorgt sich um sein liberales Knast-„System“ und das Ermittler-Duo versucht, den „Code“ der Häftlinge zu entschlüsseln. Libanesen, Nazis, Deutsch-Russen – jede Gruppe kocht ihr eigenes Süppchen: Schutzgelder, Drogenhandel, Revierkämpfe gehören hier zum Alltag. Außer dem gefolterten und ermordeten Mustafa ist in jener Nacht noch ein weiterer Moslem Opfer einer Gewalttat geworden: Erhan – die Zehennägel wurden ihm ausgerissen, er lebt, aber er schweigt. Seine Frau und seine Tochter sind offenbar in Gefahr. Sie können in Sicherheit gebracht werden. Nach einer ärztlichen Untersuchung flieht Erhan.
Foto: HR / Bettina Müller
„Ich glaub, dass ich die Welt verbessern kann“, lächelt Noch-Kommissarin Mey. Sie hat sich beworben an der Polizeischule in Kiel. „Eine größere Scheiße haben Sie noch nicht von sich gegeben“, quittiert der Kollege ihre Pläne, um sich zwei Tage später zu entschuldigen. Er gibt den Li-La-Launebär: „Zwei wie Pech und Unglück… Ich geh mit dir durch Dick und Doof.“ Doch zu spät. Mey hat bereits unterschrieben in Kiel. Damit ist auch die Zusammenarbeit von Nina Kunzendorf und Joachim Król im Hessen-„Tatort“ beendet – nach nur fünf Einsätzen. Mit diesen fünf Filmen, Krimi-Dramen, die es in sich hatten, ohne einen einzigen Schwachpunkt, dürften sie die ewige „Tatort“-Team-Bestenliste noch einige Jahre anführen. Das war nie Dienst nach Vorschrift. Auch „Wer das Schweigen bricht“ ist ein kleiner, konzentriert erzählter Whodunit, der aber nie aussieht wie eine klassische Mörder-Suche.
Foto: HR / Bettina Müller
Die hermetische Welt des Knasts ist ein ideales, da sensibles, Kommunikationsfeld, das sich stimmungsvoll ausleuchten lässt. Da ist es kein Zufall, dass dieser „Tatort“ von Edward Berger durch eine exzellente Licht- und Farbdramaturgie besticht. Vom Gefängnis, eine Art Vorhölle, geht es an einen noch illusionsloseren Ort, die Pathologie – und alles ist eine Frage des Grünstichs. Als Kommissar Steier in seinem Büro genervt einen Wodka kippt, setzt Kameramann Armin Alker ein Licht, das jegliche Farbe aus der Einstellung wäscht – rot leuchtet allein das Blut auf dem Foto. Die optische Atmosphäre ist – wie das minimalistische Sounddesign – „nur“ ein sinnlicher Reiz; doch in Kombination mit zwei Ausnahme-Schauspielern entsteht großes Fernsehen. Dieser unwirsche Steier nervt – ganz im Gegensatz zu anderen Borderline-Ermittlern – in der Haut Joachim Króls kein Bisschen. Das ist mehr als eine Drehbuchidee. Da wirkt nichts ausgedacht, nichts aufgeschrieben. Das ist menschliches Leid, das Leben mit einer Schuld, wie man gegen Ende des Films noch erfahren wird.
Die Situationen sind klar, die Szenen präzise inszeniert und gespielt, die emotionalen Zwischentöne, die ästhetischen Details stimmen – da fließt die Krimihandlung praktisch wie von selbst. Das perfekte Kleine gibt den Ton fürs Große und Ganze vor. Das macht gute Filme aus. Auch gute Krimis: Erst der subjektive Blick macht Verbrechen nachvollziehbar, gibt dem brutalen Morden und Töten eine menschliche Qualität. Als Zuschauer schwingt man sich ein in diesen Film, lässt sich treiben und überraschen, anstatt zwanghaft mitzurätseln. Der Fall löst sich ziemlich simpel auf – wie im richtigen Leben oft auch. Die Kommissare sind das Herzstück im Frankfurter „Tatort“ (auch bei Schüttauf und Sawatzki war das so). Ein Grund mehr, traurig zu sein, dass Nina Kunzendorf aussteigt. Doch wie sagt sie in der ersten Szene bildfüllend und hinreißend lächelnd: „Das Leben geht weiter.“ (Text-Stand: 15.3.2013)