Zwei ältere Damen heiraten – das gibt Ärger. Nicht wegen der gleichgeschlechtlichen Verbindung, was erfreulicher Weise in keiner Sekunde „problematisiert“ wird. Sondern weil die Freiburger Fabrikantenwitwe Elisabeth Klingler-Rathmann (Marie Anne Fliegel) ihrer „Gesellschafterin“ und frisch angetrauten Ehefrau Elena Zelenko (Wieslawa Wesolowska) die prächtige Villa Klingler vermachen will. Die Familie ist wenig begeistert. Beim Treffen mit dem Notar kommt es zum Eklat. Der finanziell klamme Sohn Richard Rathmann (Jan Messutat) wird laut, und auch Tochter Gesine Rathmann (Jenny Schily), die bereits die Leitung des Familienunternehmens übernommen hat, fällt aus allen Wolken. „Das lässt mich jetzt wirklich an deiner Geschäftsfähigkeit zweifeln“, sagt sie zu ihrer „Mami“. Enkelin Toni (Johanna Poley) heißt die Reaktion ihrer Tante und ihres Onkels zwar nicht gut. Dass Elena jedoch „ausgerechnet die Villa“ erhalten soll, gefällt ihr ebenfalls nicht. Elisabeth rauscht verärgert aus dem Zimmer, Richard hinterher. Elena hatte den Raum schon zuvor verlassen. Dann hört man einen Schrei. Man sieht Elisabeth bewusstlos auf der Treppe liegen, Richard beugt sich über sie, Haushälterin Zofia Janczak (Janina Elkin) blickt ihm über die Schulter.
Foto: SWR / Benoît Linder
Mal abgesehen von der Standesamt-Szene hat die Episode „Was wir erben“ bis dahin etwas Altmodisches, Gediegenes, ein Whodunit-Rätsel im Stile alter Klassiker. Man würde sich nicht wundern, wenn in dieser Villa plötzlich Derrick um die Ecke käme. Dann aber doch besser das Schwarzwald-Duo Franziska Tobler und Friedemann Berg, die dem großbürgerlichen Milieu dieser Folge so wunderbar fern sind. Gerne folgt man Eva Löbau und Hans-Jochen Wagner, die durch ihr feines Spiel die Wesenszüge und das Privatleben der Kommissare ganz unaufdringlich mit einbringen. In dem wortlastigen Film sind sie allerdings vor allem die Pfadfinder, die dem Publikum den Weg durch einen juristischen Dschungel und ein kriminalistisches Verwirrspiel weisen und dabei allerlei in Dialogform zu erklären haben.
Drehbuch-Autor Patrick Brunken schlägt bereits zu Beginn eine konstruierte Volte: Elisabeth, die den Treppen-Sturz nicht überleben wird, hatte der Familie zwar im Beisein des Notars mitgeteilt, dass sie Elena die Villa vererben will. Doch dass die beiden geheiratet haben, gab sie seltsamer Weise nicht bekannt. Das erfahren Kinder und Enkeltochter erst nach dem Sturz. Nach Elisabeths Tod stünde Elena nun sogar weit mehr als nur die Villa zu. Kurze Zeit später wird freilich auch Elenas Leiche im See in der Nähe des Obdachlosenheimes gefunden, in dem sie notgedrungen unterkam. Die präzise, unaufgeregte, aber auch selten überraschende Inszenierung von Franziska Schlotterer legt nahe, dass Elena Suizid begangen hat.
Foto: SWR / Benoît Linder
Der Streit ums Erbe ist ein klassisches Krimi-Thema, aber dieser „Tatort“ will mehr bieten als die übliche Tätersuche in bürgerlichem Ambiente. So wird das Privileg wohlhabend geborener Erben in diversen Dialogen – und mit einem Bismarck-Zitat – kritisch zur Sprache gebracht. Natürlich auch in „Tatort“-typischen Szenen wie: Die Kommissare fahren im Auto irgendwohin und diskutieren das Filmthema. „Viel erben doch nur die, die vorher schon viel hatten und nie was dafür tun mussten. Und die, die nichts haben, wohnen dann bei den Erben zur Miete oder putzen denen die Villa“, sagt Tobler. Für die Kommissarin ist Erben „immer ungerecht“. Berg, der den Landwirtschaftsbetrieb seiner Eltern weiterführt, hält dagegen, er habe „nur Arbeit und Schulden“ geerbt. Außerdem sei eine Beamtenpension auch ein Privileg.
Eine tiefere Dimension gewinnt der sechste „Tatort“ aus dem Schwarzwald durch die Verknüpfung mit der deutschen Vergangenheit. Denn der Wohlstand der Familie Klingler beruht nicht zuletzt auf der Ausbeutung von Arbeitssklaven in der Zeit des Nationalsozialismus. Elena ist, wie sich herausstellt, die in Deutschland geborene Tochter sowjetischer Zwangsarbeiter. In einer der Schlüsselszenen des Films, wenn das Schweigen endlich gebrochen wird, läuft Jenny Schily zu großer Form auf. Gesine ist die strenge, tonangebende Unternehmens-Erbin, die als Chefin im familieneigenen Betrieb viel arbeitet, die geschieden und zweifache Mutter ist und alles dafür tut, um das Vermögen der Klinglers zusammenzuhalten. Und die versucht, die „manipulative Hexe“ Elena bei der Polizei anzuschwärzen. Jenny Schily schafft es, dieser kalten, unsympathischen Figur so viel Menschlichkeit mitzugeben, dass man ihr sogar den plötzlichen und etwas unglaubwürdigen Sinneswandel abnimmt. Interessantes Detail am Rande: „Arbeiter – (Pause) – innen“, sagt Gesine in einer Szene, womit Jenny Schily wohl zu den ersten Schauspieler*innen gehören dürfte, die in einem deutschen Fernsehfilm gendert. (Text-Stand: 6.4.2021)