Es beginnt „Tatort“-gerecht mit einem Mord. Ein Radler kehrt von seiner Tour zurück, sieht seinem Mörder ins Gesicht und liegt kurz darauf in einer Blutlache – erstochen. Das Opfer heißt Marlon Unger, arbeitete bei einer IT-Firma, die „Solutions“ für in finanzielle Schieflage geratene Unternehmen bietet, war jung, beliebt und extrem erfolgreich. In der Wohnung des leidenschaftlichen Bikers entdecken Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) das Ergebnis einer – wie Bibi es nennt – „Polaroid-Orgie“: eine Wand voller Selfies des Opfers. Bei den Ermittlungen unterstützt werden die beiden von Meret Schande (Christina Scherrer). Dabei verändert sich das Bild, das sie vom Opfer gewinnen. Je länger sie im Freundes- und Kollegenkreis des Toten nachforschen, desto mehr gerät das Bild des charmanten und erfolgreichen jungen Mannes ins Wanken. Sie befragen Marlons merkwürdigen Chef, seine Freundin Anna (Marlene Hauser), seine demenzkranke Mutter Raffaella („Marlon kommt gleich von der Schule heim, er hat heute nur sechs Stunden“), seinen aufstrebenden Kollegen Arnold Cistota (Valentin Postlmayr). Und dann stoßen sie auf den Vater (Rainer Egger) seiner Freundin und erfahren, dass der durch Marlon seinen Job als Dreher verloren hat. Doch je mehr sie suchen, desto undurchsichtiger und bedrückender wird der Fall. Als sich der Kreis der Verdächtigen verkleinert, passiert ein weiteres Verbrechen…
Nach 78 Minuten fällt im neuen Wien-„Tatort“ der Satz, der dem Krimi den Titel gibt: „Was ist das für eine Welt“ und weiter „…in der jemand wie ich in einen Mord hineingedrängt wird“. Das sagt der Täter, den die Kommissare lange nicht auf dem Schirm hatten. Moritz und Bibi haben bis dahin viele heiße Spuren verfolgt, die sich allesamt als falsch erweisen. „Dann fangen wir halt wieder von vorn an“, sagt Bibi irgendwann mit resignativem Unterton. Eine wendungsreiche Geschichte, rätselnde Kommissare, falsche Fährten – all das gehört zu einem guten Whodunit. Und das ist der neue Wien-„Tatort“ zweifelsohne. Das liegt nicht nur an den beiden Ösi-Ermittlern, die wieder in ihrem Element sind, diesmal weniger pointiert als ernst, aber mit kleinen, feinen reflektierenden Momenten und einer herrlich missverständlichen Beinahe-Anbahnung abends auf einer Parkbank. Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer zeigen sich in ihrem 30. gemeinsamen Fall wieder bestens aufgelegt und eingespielt. Aber die Kommissare müssen sich diesmal die Aufmerksamkeit mit ihrer jungen Kollegin Meret Schande teilen. Denn die rückt zunehmend in den Blickpunkt. Eine Sitzung der jungen Ermittlerin beim Psychologen bildet den roten Faden der Geschichte, gar manches wird konsequent aus ihrer Perspektive erzählt und beim intensiven Showdown ist sie sogar die zentrale Figur, wenn es um das Aufspüren des Täters geht. „So oder so ähnlich läuft das eigentlich immer ab, da fühlt man sich schon ein bisserl wie eine Simultanübersetzerin“, klagt Meret, als sie dem Psychologen erzählt wie ihre beiden erfahrenen Kollegen sie als Jung-Kommissarin behandeln und sich konsequent gegen alles Neue stellen. Wird da etwa schon ein Generationswechsel eingeleitet.
Foto: ORF / Petro Domenigg
Das Drehbuch stammt vom Duo Thomas Weingartner und Stefan Hafner. Das hat auch schon den gelungenen Austria-Tatort „Her mit der Marie!“ konzipiert und für die Münchner Kommissare „Lass den Mond am Himmel stehen“ (2020) geschrieben. Die beiden Autoren verstehen es, gesellschaftlich relevante Themen klug in eine Krimihandlung einzuflechten. In „Was ist das für eine Welt“ geht es um Profitgier, Karrierestreben und Rationalisierung im Arbeitsbereich durch „Software-Optimierung“, wie es so schön heißt, aber auch um die Volkskrankheit Demenz, um verlorene Seelen, Suchende und Umherirrende. Die Autoren blicken dabei auf persönliche Schicksale: da ist der engagierte, ehrgeizige, sympathische ITler, der „Produktionsprozesse optimiert“, die Menschen ihren Job kosten, der aber auch eine schwere persönliche Last zu tragen hat; da ist seine Freundin Anna, für die eine feste Beziehung nicht in ihr derzeitiges Leben passt („Fick-Beziehung, Amour fou, friends with benefits – suchen sie sich aus was wir hatten“); da ist Annas Vater, der erkennen muss, dass Marlon ihm seinen Job gekostet hat; da ist die Mutter, die schwer dement und unberechenbar in ihrem Handeln ist; da ist der IT-Spezialist Arnold, der Marlon eingelernt hat, nun aber in dessen Schatten steht – ein aalglatter, rücksichtsloser, gefühlskalter Typ (die Figur bewegt sich hart an der Grenze zur Überzeichnung!). Und da ist die junge Ermittlerin Meret Schande, die unter der veralteten, in ihren Augen ineffizienten Arbeitsweise der Kollegen leidet, die im Einsatz psychisch an ihre Grenzen gelangt und vor eine große Bewährungsprobe gestellt wird.
Regisseurin Evi Romen hat lange als Filmeditorin und Drehbuchautorin (u.a. für die Serie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“) gearbeitet und 2020 mit dem Psychodrama „Hochwald“ ihr Regiedebüt gegeben. Der „Tatort – Was ist das für eine Welt“ ist ihre zweite Inszenierung. Sie spielt geschickt und abwechslungsreich mit den filmischen Mitteln, inszeniert die Selbsteinschätzung der IT-Spezialisten als Werbevideo, wagt einen Ausflug in die schrille Performancekunst-Szene, wechselt die Perspektiven und variiert das Tempo – mit wunderschönen leisen Szenen (Bibi und Moritz nachts auf der Parkbank, Meret mit Marlons Freundin auf einem Flachdach). Doch manch eine Szene ist ihr auch ein wenig zu langatmig geraten. Ein bisschen sperrig ist der Krimi, etwas zu verkopft geraten die Geschichte, aber zugleich auch intensiv, atmosphärisch bedrückend und flüssig erzählt. Und auch die Musik muss erwähnt werden. Die Wiener Indie-Rock-Band Kreisky, die sich nach dem beliebten österreichischen Altkanzler Bruno Kreisky benannt hat, hat einen Gastauftritt als Live-Band („Kilometerweit Weizen“) und auch die Filmmusik stammt von ihr. Im Arbeitstitel des Krimis waren die Meister schräger Songs sogar auch drin, denn der lautete „Kreisky ist tot“. Der gültige Titel „Was ist das für eine Welt“ ist aber weit treffender für diesen Krimi, der hinter Fassaden blickt, dabei aber nicht zu düster geraten ist. (Text-Stand: 7.2.2023)