Lukas Keller (Caspar Schuchman) scheint einer jener Menschen gewesen zu sein, die überhaupt kein Talent für Feinde hatten. Nur das pure Glück um ihn herum. Als er brutal getötet wird, verfallen alle, die ihn kannten, in eine Art Schockstarre. Bewegen sich wie in Zeitlupe in einem Zustand des stummen Entsetzens, bei dem jedes Wort, das einem zu sprechen abverlangt wird, unendliche Mühe kostet. Besonders Lukas‘ Mutter Marie (Valentina Sauca), die eben noch voller Vorfreude auf ihren Sohn und seine neue Freundin Mia (Julie Engelbrecht) vor einem hübsch gedeckten Tisch wartete, ist das Unglück ins Gesicht geschrieben. Auch Karl-Heinz Weinhardt (Götz Otto), der Chef des jungen IT-Experten im Speditionsunternehmen, findet nur lobende Worte für Lukas. Und Mia, die die Polizei anfangs nicht ausfindig machen kann, hat nicht mal die Kraft, sich selbst bei den Ermittlern zu melden.
Der minimalistische Titel des Films von Autor-Regisseur Max Färberböck („Bella Block“ / „Aimée & Jaguar“) und seiner Co-Autorin Catharina Schuchmann ist treffend: Das „Warum“, also die Frage nach dem Motiv für die abscheuliche Tat, bei der dem Toten noch zweimal mit voller Wucht vor den Kopf getreten wurde, steht klar im Vordergrund. Es ist so sehr das eigentliche Thema des Films, dass es am Ende nicht einmal wichtig erscheint zu wissen, welche Person die Tat konkret begangen hat. Färberböck rückt konsequent die Hinterbliebenen des Opfers in den Mittelpunkt. Mia verkriecht sich mit ihrer kleinen Tochter verängstigt in der eigenen Wohnung. Marie Keller sucht wieder den Kontakt zu Lukas‘ Vater, von dem sie seit Jahren getrennt lebt. Auch Fritz Keller (Karl Markovics) ist tief getroffen. Der Verlust des Sohnes und die Frage nach dem „Warum“ bringt die Eltern wieder zusammen. Gemeinsam machen sie sich parallel zu den Polizei-Ermittlungen auf die Suche.
Wenn eine Figur zu Beginn eines Krimis als derart makelloser Sonnenschein eingeführt wird wie Lukas, folgt meist irgendwann die Enthüllung eines verborgenen, dunklen Geheimnisses. Von einem Doppelleben des Opfers kann hier allerdings keine Rede sein. Doch auch ohne spektakuläre Wendung entfalten Drehbuch und Inszenierung eine intensive, sich stetig steigernde Spannung, die sich vor allem aus dem Mitgefühl für die Protagonisten speist, die verzweifelt nach einer Erklärung für die Tat forschen. In vielen, zum Teil langen Nah-Einstellungen sucht die Kamera von Georgij Pestov nach den Gefühlen hinter den schockgefrorenen Gesichtern. Bei den Eltern löst sich die körperliche Erstarrung nach und nach auf. Ihre Eigeninitiative führt am Ende in ein extrem spannendes Finale. Valentina Sauca und Karl Markovics hinterlassen als Lukas‘ Eltern jedenfalls einen nachhaltigen Eindruck.
Während die Hinterbliebenen anfangs wie gelähmt wirken, inszeniert Färberböck die Polizeiarbeit in ruheloser, nervöser Intensität. Ein gereizter Umgangston spiegelt den Zeitdruck und die Unzufriedenheit über mangelnde Fortschritte bei den Ermittlungen. Insbesondere Kommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs) drückt auf die Tube, wandert zwischen den Schreibtischen umher, macht seinem Ärger auch gegenüber den Kollegen aus der Oberpfalz lautstark Luft. Denn die hatten vor sechs Monaten bei einem auf die gleiche Weise ausgeführten Mordfall schlampig ermittelt. Der gerade bis über beide Ohren in Honigverkäuferin Anja (Maja Beckmann) verliebte Voss zweifelt zunehmend an dem Sinn seiner Arbeit. Als eine Tragödie geschieht, für die er sich verantwortlich fühlt, will er hinschmeißen. Färberböck, der das Franken-Team „erfunden“ hat und mit „Warum“ bereits seinen vierten Fall inszenierte, setzt hier mit einer emotionalen Schlüsselszene noch einmal ein eindrucksvolles Statement. Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel als seine Kollegin Paula Ringelhahn spielen in diesem zweieinhalbminütigen Kammerspiel in der Mitte des Films groß auf. Auch Eli Wasserscheid als Kommissarin Wanda Goldwasser darf sich als dritte Kraft weiter profilieren. „Warum“ ist ein „Tatort“, der in Erinnerung bleiben wird.