Raus aus Ludwigshafen, rein in den Schwarzwald geht es im „Tatort – Waldlust“. Das Team der Mordkommission fährt zum Fortbildungswochenende mit einem Coach in ein abgelegenes Hotel. Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und ihre Kollegen Johanna Stern (Lisa Bitter), Peter Becker (Peter Espeloer) und Frau Keller (Annalena Schmidt) merken schnell, dass der „Lorenzhof“ seine besten Tage hinter sich hat, lassen sich aber davon nicht schrecken. Mit Team-Trainer Simon Fröhlich (Peter Trabner) geht es in die erste Kennenlern-Runde. Beim Abendessen machen alle dann eine grausige Entdeckung: Knochenteile sind im vegetarischen Essen. Und die stammen nicht von einem Tier, wie Becker feststellt. Das weckt die Neugier der Ermittler. An diesem Ort soll womöglich ein Mord vertuscht werden. Hof-Betreiber Bert Lorenz (Heiko Pinkowski), genannt Humpe, ist nicht besonders kooperativ, und seine Nichte Doro (Eva Bay), überaus beflissen, verhält sich merkwürdig. Dann ist da noch eine hauseigene Diva, die als Dauergast durchs Hotel geistert: Schauspielerin Lilo Viadot. Schnell erfahren die Kommissare, dass Humpe wegen Mordes an seiner Schwägerin zwölf Jahre Gefängnis abgesessen hat und eine Privatfehde gegen den Ortpolizisten Brunner (Jürgen Maurer) pflegt, der gemeinsam mit Kollegin Elli (Christina Große) nicht nur ein Einsatzteam bildet. Und was verbirgt sich hinter der Tür des gesperrten Zimmers mit der Nummer 5?
Heftig und hitzig wurde über den ersten Improvisations-„Tatort – Babbeldasch“ diskutiert. Der lief vor einem Jahr. Die Einschaltquoten waren eher bescheiden, die Kritik laut, der Boulevard nannte ihn gar den „schlechtesten Tatort aller Zeiten“. Der Südwestrundfunk und Regisseur Axel Ranisch drehten den zweiten Impro-“Tatort – Waldlust“ noch vor Ausstrahlung des ersten. Aber man hat auch aus den Fehlern gelernt. Setzte „Babbeldasch“ nicht nur auf reine Improvisation, sondern wurde zudem mit vielen Laiendarstellern gedreht, so arbeitet man bei „Waldlust“ zwar erneut ohne Drehbuch, aber durchweg mit professionellen Schauspielern. Einige davon gehören zur festen Filmfamilie des Berliner Regisseurs. Das war ein richtiger Schritt. Geblieben ist die Arbeitsweise. Gedreht wurde in chronologischer Reihenfolge, die Akteure wussten nicht, wie es ausgeht, und die Dialoge wurden improvisiert. Das klappt bei dem einen oder anderen besser, bei Ulrike Folkerts eher schlechter. Ihr merkt man an, dass das nicht so sehr ihre Arbeitsweise ist, auch wenn sie sich positiv geäußert hat: „Für mich bedeutet das: keinen Text lernen und nicht wissen, wer der Mörder ist, das bringt eine Menge Überraschungen und auch Wahrhaftigkeit vor der Kamera“.
„Als ‚Babbeldasch‘ ausgestrahlt wurde, hatte ich die ARD-Komödie ‚Familie Lotzmann auf den Barrikaden‘ längst fertig und auch unser neuer ‚Tatort: Waldlust‘ war schon abgedreht. Beide Filme sind also unabhängig von der ‚Babbeldasch‘-Kritik entstanden und warten nun auf ihre Ausstrahlung. Ich bin höchst gespannt, was das Publikum zu den neuen Werken sagt und bastle inzwischen fleißig an den übernächsten Filmen.“ (Regisseur Axel Ranisch)
Auch beim „Tatort – Waldlust“ hat wieder Sönke Andresen das Konzept entworfen, die Dialoge kommen von den Schauspielern und Axel Ranisch fungiert als Spielleiter, der als Animateur der Improvisation fungiert und das Ensemble dahin lenkt, wo er es haben will. Besonderes Augenmerk hat er auf die Wahl der Location gelegt. Das Hotel ist zu Beginn ein aus der Zeit gefallener Ort, ausgestopfte Wildschweinköpfe und Filmplakate aus den 1950er Jahren zieren die Wände. Die Kamera schleicht sich durch das Haus, sucht sich den Weg zu den Zimmern. Danach wird das Hotel zum Ort, dem man nicht entfliehen kann, es wird quasi zum Gefängnis. Draußen tobt ein Sturm, so schafft Ranisch eine klaustrophische Situation und Atmosphäre, die er geschickt zu nutzen weiß. Es passiert auch – im Gegensatz zu „Babbeldasch“ – eine Menge. Die Stern wird niedergeschlagen, es folgen Morde, alles spitzt sich dramatisch zu. Dieser Impro-„Tatort“ wirkt klarer, ruhiger, aufgeräumter. Auch mit dem dramaturgisch überlegt gewählten Rahmen – den bildet ein Verhör (die Stern vernimmt Bert Lorenz) und die Geschichte wird als Rückblende erzählt wirkt alles besser strukturiert. Das Prinzip der improvisierten Dialoge führt aber dazu, dass es diesen oft an Zuspitzung fehlt. Es gibt viel zu viele (sprachliche) Allgemeinplätze, vor allem die festen Darsteller wie Ulrike Folkerts oder Lisa Bitter mühen sich weit mehr als bewährte, improvisationserprobte Ranisch-Schauspieler wie Peter Trabner oder Heiko Pinkowski. Auch Ranischs Großmutter Ruth Bickelhaupt ist – wie in manchen seiner Filme – wieder mit von der Partie, hier als Diva.
TV-Spielfilm urteilt sehr viel positiver:
„Diesmal funktioniert alles besser: Die abgeschiedene Location ist reizvoll, Martina Eisenreichs symphonische Filmmusik setzt starke Akzente – und das Ensemble improvisiert gekonnt über ein Krimigruselstück mit leichten ‚Fargo‘-Touch. Morbildes Krimitheater, das starke Momente hat.“
Bemerkenswert am „Tatort – Waldlust“ ist das musikalische Konzept. Martina Eisenreich, für ihre Arbeit 2014 mit dem Rolf-Hans Müller Preis für Filmmusik beim FernsehfilmFestival Baden-Baden ausgezeichnet, hat eigens für die Produktion eine viersätzige „Tatort“-Sinfonie komponiert, die von der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz (spielte die Filmmusik zu „Die Päpstin“ ein) aufgenommen wurde. Neben Streich- und Blasinstrumenten sind eine Harfe, ein Cembalo und eine Singende Säge dabei. Klingt ungewöhnlich, geht aber richtig ins Ohr. Und noch etwas ist anders als bei üblicher Filmmusik: Eisenreich hat ihre Sinfonie zu „Waldlust“ vor Beginn der Dreharbeiten, alleine auf Grundlage des Konzepts komponiert. Das hat sie auch schon bei früheren Zusammenarbeiten mit Axel Ranisch so gemacht. „Bei den Filmen von Axel konnte ich immer vor Drehbeginn die Musikstücke schreiben. Die Musik passt deshalb so gut zum Film, da Axel die gedrehten Bilder auf die fertigen Töne projiziert“, sagt Eisenreich in einem Interview. Fazit: Der „Tatort – Waldlust“ ist nicht so hölzern und holprig wie „Babbeldasch“, aber der Reiz des Neuen ist im zweiten Impro-“Tatort“ verflogen, und die Erkenntnis siegt: Ein guter Krimi braucht ein Drehbuch mit festen Dialogen.