Eine junge Frau in Panik. Sie überquert eine Autobahn, wenig später ist sie tot – erstochen. Die Polizei ist in heller Aufregung. Das Opfer ist noch keine 18 Jahre alt. Das Mädchen ist abgemagert, dehydriert und wurde offenbar jahrelang gefangen gehalten. In einem Versteck ohne Sonnenlicht. Als ein zweites, noch lebendes Mädchen mit denselben Symptomen in der Nähe einer Hochhaussiedlung gefunden wird, liegen bei Kommissar Deininger und seinen saarländischen Kollegen die Nerven blank. Vor Jahren, als die Mädchen verschleppt wurden, gab es offenbar etliche Ermittlungspannen bei der Suche nach den Vermissten. Eine alte Spur wird wieder aufgenommen. Ein einschlägig als pädophil bekannter Mann, der in besagter Hochhaussiedlung wohnt, wird ins Visier genommen. Der Verdacht liegt nahe, dass der Entführer ein drittes Mädchen noch in seiner Gewalt hat. Und dann ist plötzlich das zweite Mädchen aus dem Krankenhaus verschwunden. Jetzt ist es an Kappl, Ruhe zu bewahren.
Der SR-„Tatort: Verschleppt“ ist offensichtlich von den Fällen Kampusch und Fritzl inspiriert. Der Film legt ein enormes Tempo vor. Kommissare wie Kamera geben sich gleichermaßen zupackend. Bei diesem Fall gibt es keine Zeit zu verlieren, vieles läuft parallel, eine Soko steht in den Startlöchern. Alles ist filmästhetisch präzise und höchst suggestiv inszeniert – und dennoch muss man Abstriche machen. Zwar sieht das alles ziemlich perfekt aus, die Bildgestaltung ist vorzüglich, doch die erzählerische Effektivität ist (da sollte man ehrlich sein!) stark gebunden an die Abnormität des Verbrechens: Kinder, Jugendliche, die schlimmer als Tiere gehalten werden, sadistisch eingesperrt in düsteren Verliesen. Verbrechen also, die von Anfang an für ein hohes Aufmerksamkeits- und Erregungspotenzial sorgen.
Will sagen: mit einem solchen Fall ist es weniger eine „Kunst“, den Zuschauer zu fesseln, als mit einem vermeintlich „harmloseren“ Verbrechen. Würde dieser „Tatort“ noch etwas mehr erzählen, als nur ein gesellschaftliches Phänomen psychologischer Pervertierung zu spiegeln und durch die Auflösung am Ende doppelt abnorm zu überhöhen, könnte man sich diese Geschichte durchaus gefallen lassen. Da eine solche Vielschichtigkeit dem Drehbuch allerdings völlig abgeht, macht dieser „Tatort“ mit seinem Schreckensszenario letztendlich nichts anderes, als die kommerziellen Psychopathen- und Serienkiller-TV-Movies der 90er Jahre. „Verschleppt“ dient der puren Unterhaltung – und sorgt allenfalls für ein wenig Empathie beim Zuschauer. Dieser Film ist perfekt und perfide zugleich – und könnte für eine überfällige öffentlich-rechtliche Krimi-Diskussion sorgen! (Text-Stand: 30.12.2011)