Im Grunde ist das Fernsehen zu klein für die Visionen von Thomas Bohn. Gerade beim „Tatort“ will der frühere Werbefilmer als Autor und Regisseur oft höher hinaus, als es der finanzielle Rahmen zulässt. Unvergessen ist seine Episode „Tod im All“ (1997); die Science-Fiction-Geschichte stammt aus einer Zeit, als Experimente dieser Art im Sonntagskrimi noch seltene Ausnahmen waren. Die Filme, die er in den Neunzigerjahren für den SWR in Ludwigshafen gedreht hat, waren ohnehin stets ungewöhnlich; wenn auch nicht automatisch sehenswert. Nach einer Pause von 15 Jahren ist er 2018 in die Pfalz zurückgeehrt, um eine Anklage gegen die amerikanische Kriegsdrohnen-Politik als fesselnden Thriller zu verpacken („Vom Himmel hoch“). „Unter Wölfen“, sein achter Fall von insgesamt 72 Lena-Odenthal-Krimis, erreicht diese Qualität nicht ganz: Bohns Werke sehen immer klasse aus, aber seine Arbeit mit den Schauspielern hat oftmals gewisse Schwächen.
Die Handlung beginnt mit einer Entführung: An einer Ampel wird ein Mann nachts aus seinem Ferrari gezerrt. Am nächsten Tag wird seine Leiche aus einem Sandhaufen gebaggert. Der Tote ist der Clubbesitzer Kerala, er war auf dem Weg zur Bank, um dort die Tageseinnahmen zu deponieren. Das Geld ist weg, sein teurer Schmuck ebenfalls, das Auto ohnehin. Alles deutet auf Raubmord; der Tod war womöglich nur ein Versehen. Stutzig macht die Ermittlerinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) allerdings die Tatsache, dass das Opfer vor dem endgültigen Exitus übel zugerichtet worden ist. Ihre Nachforschungen führen ins Milieu der Türsteher und Personenschützer. Die Szene wird von Gerhard Arentzen (Thure Riefenstein) dominiert. Kerala hat vor einiger Zeit eigene Leute engagiert und deren Dienste auch anderen Clubs angeboten. Damit ist der Fall im Grunde klar: Arentzen hat einen Konkurrenten aus dem Weg geräumt, um ein Zeichen zu setzen. Weil sich Bohn aber mit einer derart schlichten Geschichte nicht zufrieden gebe würde, muss auch noch der rheinland-pfälzische Innenminister mitmischen: Der frühere Oberbürgermeister von Ludwigshafen will dafür sorgen, dass die Bevölkerung wieder angstfrei auf die Straße gehen kann. Wes Geistes Kind der Politiker ist, zeigen seine Äußerungen über die Folgen der Flüchtlingswelle 2015. In Arentzen hat er einen Bruder im Geiste gefunden; kein Wunder, dass er den Behörden empfiehlt, eng mit dessen Firma zusammenzuarbeiten. Der gute Draht zwischen den beiden Männern hat allerdings noch andere Gründe; und jetzt wird es schmutzig.
Foto: SWR / Jacqueline Krause-Burberg
Ulrike Folkerts, dienstälteste Hauptdarstellerin im Sonntagskrimi, ist immer dann am besten, wenn Lena Odenthal einen Gegenspieler hat, an dem sie sich ordentlich abarbeiten kann. Dafür braucht es allerdings auch Schauspieler, die diese Figuren mit entsprechendem Charisma versehen; das gelingt Thure Riefenstein nur bedingt. Eine zweite Voraussetzung für einen großen Odenthal-Krimi erfüllt der Film dagegen perfekt: Die Polizistin ist persönlich involviert. Kerala hat eine Tochter hinterlassen. Tania ist ein kleines Mädchen mit großer Klappe; prompt schließt Odenthal das Kind in ihr Herz. Als Tanias Mutter Daphne (Annika Blendl) in ihrer Bar zusammengeschlagen und vergewaltigt wird, nimmt die Kommissarin das Mädchen zu sich. Erst durch Tania wird der Überfall zur intensivsten Szene des Films. Bohn erspart ihr zwar, mit ansehen zu müssen, was Daphne widerfährt, aber sie ist Ohrenzeugin, da sie sich hinter der Theke versteckt hat. Während der Tat bleibt die Kamera bei dem Mädchen; das grausame Ereignis findet allein auf der Tonspur statt. Schwierige Szenen wie diese setzen ein großes Vertrauensverhältnis voraus, zumal Tanias Rolle zusätzlich aufgewertet wird, weil sie im Besitz des Schlüssels zur Lösung des Falls ist. Gerade im Verlauf der gemeinsamen Szenen mit Folkerts entwickelt die junge Darstellerin einen speziellen Charme, der sie fast zu einer ebenbürtigen Spielpartnerin macht. Wenn sie nicht den offenkundigen Künstlernamen „Lucy Loona“ trüge, würde sich vermutlich niemand fragen, wer sich wohl hinter diesem Pseudonym verbirgt.
Wie stets bei Bohn sind Licht- und Bildgestaltung (Cornelia Janssen) ausgezeichnet. Die Musik (Hans Franek) ist ebenfalls sehr präsent. Dass „Unter Wölfen“ trotzdem kein großer Wurf geworden ist, liegt weniger am Regisseur, sondern vor allem am Autor. Bohn ist es zum Beispiel nicht gelungen, die Informationsdialoge flüssig in die Handlung zu integrieren. Erst muss Odenthal ihrer Kollegin erklären, warum Stefano Mazza (Roberto Guerra in einer Tobias-Oertel-Rolle) von der Mannheimer Drogenfahndung auch für Ludwigshafen zuständig ist, dann erläutert der Kollege den Kommissarinnen, wie in ihrer eigenen Stadt Rauschgifthandel und Türsteherszene funktionieren. Ähnlich ungelenk wirkt ein Kurzreferat des Innenministers, der eine Volontärin über die Schwachstellen der inneren Sicherheit informiert. Überraschend amüsant ist allerdings eine Szene, in der Odenthal und Stern aus der Ferne beobachten, wie eine Clubbesucherin auf der Suche nach einem Extrakick den Türsteher anspricht und Mazza das Gespräch „synchronisiert“. Besser integriert ist diesmal auch Max Tidof als eitler, halbseidener Oberstaatsanwalt Marquardt. Bohn hat die Figur in seiner letzten Ludwigshafener Episode („Maleficius“, 2019) eingeführt. Damals war sie komplett überflüssig, diesmal kommt ihr eine besondere Rolle zu: Gegen den Willen der Kollegin überlässt Stern dem Oberstaatsanwalt den Beweis dafür, dass die Spur nach ganz oben führt. Odenthal ist hingegen überzeugt, dass er die Sache unter den Teppich kehren wird.
Bohn betrachtet „Unter Wölfen“ als eine Art Western. Dazu passt das Hauptquartier des Schurken: Arentzen residiert in einem nostalgischen Pullman-Waggon, der auf dem Abstellgleis einer Industriebrache steht. Natürlich muss die Geschichte auf einen veritablen Showdown zwischen Sheriff und Gangster hinauslaufen. In diesem Sinne ist wohl auch der Schluss zu verstehen, der allerdings selbst in einem Western diskutabel wäre, in einem TV-Krimi jedoch mindestens fragwürdig ist. Die von Gangstern und Polizisten ständig geäußerte Kritik am Rechtssystem wirkt auf Dauer ohnehin unsympathisch. (Text-Stand: 30.11.2020)
Foto: SWR / Jacqueline Krause-Burberg