Tatort – Unsichtbar

Hanczewski, Gröschel, Brambach, Friedel, Comtesse, Marka. Der perfekte Mord?

Foto: MDR / Hardy Spitz
Foto Rainer Tittelbach

Kommissarin Gorniak hat die gleichen Symptome wie die Frau, die beim Gerichtsmediziner auf dem Tisch liegt. Alles deutet auf Giftmord hin, nachweisen aber lässt sich das nicht. Der „Tatort – Unsichtbar“ (MDR / MadeFor Film) lässt von der ersten Minute an keinen Zweifel daran, dass einen alles andere als Ermittler-Routine erwartet. Die Schmerzen einer Haupt- und Identifikationsfigur, Stalking bis hin zur akuten Lebensgefahr – das sind die Elemente eines klassischen Thriller-Plots, dem zu Beginn etwas mit Whodunit-Methoden auf die Sprünge geholfen wird. Außer Kraft gesetzt wird gleich mal eine der ersten Voraussetzungen für kriminalistische Arbeit: die Feststellung der Tötungsart. Mord ohne jeden Hinweis auf Mord. So ein bisschen ist dieser „Tatort“ also auch ein Meta-Krimi, eine klug ausgedachte, moderate  Genre-Dekonstruktion. Clever auch die Kombination mit dem Motiv der unsichtbaren Bedrohung der Kommissarin, inklusive einer packenden Exkursion in Karin Gorniaks Vergangenheit. In Auge und Ohr sticht ganz besonders auch die flüssige Inszenierung von Grimme-Preisträger Sebastian Marka: ein hoch sinnlicher Flow aus markanten Bildern und elektronischen Sounds. Einen kleiner Abzug in der B-Note gibt es für die Dramaturgie.

Kann das Zufall sein? Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) hat die gleichen Symptome wie die junge Frau, die beim Gerichtsmediziner auf dem Tisch liegt. Schmerzen in Händen und Beinen. So hat es bei Anna Schneider (Milena Tscharntke) auch angefangen. Es folgten Psychoterror bis hin zur Ankündigung ihres baldigen Todes. Alles deutet auf Giftmord hin. Im Körper der Toten aber sind keine chemischen Substanzen nachweisbar. Ist das dann überhaupt noch ein Mordfall? fragt sich Abteilungsleiter Schnabel (Martin Brambach). Der weiß im Gegensatz zu Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) noch nichts von Gorniaks Problem. Und das ist längst nicht mehr nur ein gesundheitliches. Dass die Ärzte es nicht als solches anerkennen können, ist schlimm genug. Bald aber nehmen auch noch die Schikanen zu, denen sich die Kommissarin hilflos ausgesetzt sieht und die zunehmend etwas Diabolisches, ja Lebensbedrohliches bekommen. Ins Visier der Ermittler gerät bald ein medizinisches Institut, das sich auf die Entwicklung von Nanobots in der Krebsforschung spezialisiert hat. Der Leiter (Matthias Lier) hat kein Interesse, Betriebsgeheimnisse auszuplaudern. Etwas mehr über die Nano-Technologie erfahren die Ermittler von seiner Kollegin Martha Marczynski (Anna Maria Mühe), als diese auf dem Kommissariat den Ex-Freund der Toten (Christian Friedel), der in diesem ominösen Institut als Laborassistent arbeitet, als vermisst meldet.

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Anna Schneider (Milena Tscharntke) – verzweifelt und von Schmerzen geplagt. Es geht Schlag auf Schlag: Atemnot, Panik, Herzflimmern, Herzstillstand. Wurde sie vergiftet? Ein Mord ohne erkennbare Ursache. Der Mythos vom perfekten Mord lebt.

Der „Tatort – Unsichtbar“ von Sebastian Marka nach dem Drehbuch von Michael Comtesse lässt von der ersten Minute an keinen Zweifel daran, dass den Zuschauer alles andere als Ermittler-Routine erwartet. Die Schmerzen einer Haupt- und Identifikationsfigur, Stalking bis hin zur akuten Lebensgefahr – das sind die Elemente eines klassischen Thriller-Plots, dem zu Beginn etwas mit Whodunit-Methoden auf die Sprünge geholfen wird. Der Film, der gleich mal eine der ersten Voraussetzungen für kriminalistische Arbeit, die Feststellung der Tötungsart, außer Kraft setzt, lebt zunächst von der Unerklärbarkeit des Auftaktmordes. Ein fettes Fragezeichen steht im Raum, und es wird mit der Gefahr, der die Kommissarin ausgesetzt ist, immer fetter. Mit der faszinierenden Grundidee der Geschichte, Morden mit unsichtbaren Nano-Teilchen, kann die Dramaturgie allerdings nicht ganz mithalten. Das Haushalten mit Informationen für den Zuschauer ist wichtig: Klar, man darf nicht zu früh zu viel preisgeben, um das Spannungsniveau bis zum Filmende hochzuhalten. Autor Comtesse verlässt sich jedoch etwas zu lange auf die Rätselstruktur des Falls und den Empathie-Bonus der Kommissarin. Und für die Zuschauer*innen gibt es keine Möglichkeit, „aktiv“ zu werden – sprich: das Gesehene selbst einzuordnen. Ob ein weiterer Erzählstrang wie beispielsweise unlängst im WDR-„Tatort – Der Reiz des Bösen“, der zumindest Assoziationen ermöglichen würde, eine Lösung wäre – vielleicht. Der verdiente Drehbuchautor wird sich das schon überlegt haben. Tatsache bleibt: So willkommen auch die Brüche mit der Krimi-Konvention, so spannend die Gefährdung einer Heldin – die erste Hälfte des Films setzt zu viele Fragezeichen und verbleibt eine Spur zu lange in einer zu vagen Stimmung der Bedrohung.

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Flügge geworden: Feierbiest Aaron (Alessandro Schuster) am Krankenhausbett seiner Mutter (Hanczewski). Hat die nicht früher auch mal über die Stränge geschlagen?

Regisseur Sebastian Marka („Tatort – Meta“) tut alles, um die Rätselmomente der ersten 45 Minuten so visuell spannend und kurzweilig wie möglich zu gestalten. Für seinen flüssigen Stil aus markanten Bildern (Kamera: Willy Dettmeyer) und elektronischen Sounds (Musik: Thomas Mehlkorn), die das Bedrohliche mit bollernden Bässen atmosphärisch signalisieren, sind die sparsamen Erklärungen, die das Drehbuch vorgibt, überaus hilfreich. Sinnlich funktioniert der Film ganz vorzüglich: sehen, hören, fühlen – man kann sich dem Film auch auf diese Weise nähern. Statt konventionelle Faktensuche binden narrativ-emotionale Impulse den Zuschauer an die Geschichte. So bekommen die Augen ihr erstes Wow-Erlebnis mit Gorniak als coole „Trümmerfrau“ in einem Wutraum – ganz in Weiß und ganz ohne Worte. Da dieser Ort für die Handlung später noch eine Bedeutung bekommen wird, ist diese Szene mehr als l’art pour l’art. Während hier die Kamera auf Distanz bleibt, rückt sie der Heldin sonst auffallend häufig auf die Pelle. Im Showdown übernimmt ein weiterer Raum, ja ein ganzes Haus, eine zentrale Funktion. Es ist die Location der Partyvideos, die Gorniak zugeschickt werden. Kennt sie womöglich diesen Raum und Leute, die sich bei dem Fest vergnügt haben? Die Person, von der Gorniak malträtiert wird, jedenfalls behauptet mit ihrer bösen Stimme aus dem Nirgendwo, die Kommissarin zu kennen. „Ich hab‘ mein Leben für dich gegeben. Und jetzt kommt endlich alles ans Licht.“ Da sich Gorniak gegenüber ihren Kollegen verschließt, weiß man als Zuschauer*in nicht, ob sie sich erinnert. Hat sie tatsächlich eine Schuld auf sich geladen? Oder íst da nur ein Psychopath zugange – ein weiterer Kandidat für den Wutraum oder besser noch für eine Zwangsjacke?

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Dem Geheimnis der Nano-Technologie auf der Spur. Dafür begibt sich die Gorniak (Hanczewski) in große Gefahr. Vom Meta-Krimi zum Thriller. Christian Friedel

Apropos Wut. Schnabel, der Beamte mit dem unverkennbaren Faible fürs Wutbürgertum, darf sich in „Unsichtbar“ zumindest ein Mal danebenbenehmen. Hinter dem Rücken des neuen, jungen Gerichtsmediziners lästert er über den „Jugendwahn“ und macht sich vor Gorniak lauthals Luft: „Der geht doch gar nicht. Können Sie den leiden? Ich weiß gar nicht, was der will? Wo kommt der denn her?“ Darauf die Kommissarin trocken: „Können Sie eigentlich irgendjemanden leiden.“… Wut, Schuld, Rachegedanken sind die Grundmotive dieses Krimis. Und: diese neuartige, ganz perfide Tötungsart. Der perfekte Mord, ein Mythos, der kluge Killer und Theoretiker des Verbrechens seit Jahrhunderten umtreibt, bekommt in diesem „Tatort“ aus Dresden seine hochmoderne Variante. Lange Zeit war es der Mord ohne Motiv, der Ermittler verzweifeln ließ – ob in der pragmatischen Version (von „Der Fremde im Zug“ bis zum „Tatort – Weil sie böse sind“) oder der nur noch zynischen (in den „Tatort“-Episoden „Die Wahrheit“ oder „Das perfekte Verbrechen“). Jetzt folgt der Mord ohne jeden Hinweis auf Mord. So ein bisschen ist „Unsichtbar“ also auch ein Meta-Krimi. Das Ganze ist klug ausgedacht. Etwas Genre-Dekonstruktion kann nie schaden als Kontrast zu dem seriellen Allerwelts-Ermitteln hierzulande. Auch die Kombination mit der unsichtbaren Bedrohung der Kommissarin ist – trotz diverser Zufälle und viel Konstruktions-Phantasie – eine recht clevere Erfindung, und der Exkurs in Gorniaks Vergangenheit eine weitere willkommene Abwechslung – wodurch die Spannung und die Emotionen auf der Zielgeraden angeheizt werden. Die markanten Gesichtszüge von Karin Hanczewski tun ihr Übriges. Mit etwas dramaturgischer Feinarbeit hätte dieser Film, diese komplexe Geschichte, noch mehr Klasse.

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Reihe

MDR

Mit Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Christian Friedel, Anna Maria Mühe, Matthias Lier, Milena Tscharntke, Alessandro Schuster, Ron Helbig, Beat Marti, Ahmad Mesgarha, Lili Zahavi, Anton Dreger

Kamera: Willy Dettmeyer

Szenenbild: Angelika Dufft

Kostüm: Filiz Ertas

Schnitt: Simon Gstöttmayr

Musik: Thomas Mehlkorn

Redaktion: Sven Döbler

Produktionsfirma: MadeFor Film

Produktion: Nanni Erben

Drehbuch: Michael Comtesse

Regie: Sebastian Marka

Quote: 8,95 Mio. Zuschaur (27,9% MA)

EA: 17.10.2021 20:15 Uhr | ARD

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