Der Besuch des Botschafters eines autoritär regierten Landes wirft seine Schatten voraus. In Hannover garantiert Falke (Wotan Wilke Möhring) für Sicherheit, nicht aber für das Ausbleiben von Protesten. Falke ahnt nicht, dass der unliebsame Personenschutz bald in eine Mordermittlung und in die abgeschlossene Welt eines Elite-Internats münden wird. Sein Einsatz verlangt strengste Diskretion. Er und Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) wissen, was das heißt: Die Beamten der Bundespolizei erfahren nur das Nötigste, Informationen werden portionsweise weitergegeben und ständig korrigiert. Während Grosz das gelassen nimmt, ist Falke von Anfang an auf Zinne. Plötzlich ist es also nicht der Botschafter des fiktiven südamerikanischen Staates Orinaca, sondern der Diktator selbst, den man in Hannover erwartet. Genauso plötzlich tritt der Sohn des Machthabers auf den Plan, der samt Bodyguard in einem nahegelegenen Elite-Internat das Rüstzeug zum künftigen Regieren lernt. Und so plötzlich, wie dieser Sohn auftaucht, ist er auch wieder weg. Falke soll klären, ob es sich bei dem Verschwinden des 17jährigen Juan Mendez (Riccardo Campione) um eine pubertäre Revolte oder eine professionelle Entführung handelt. Weil Grosz als Koordinatorin in Hannover gebraucht wird, steht vor Ort, einem Kaff im Weserbergischen, der junge Polizist Felix Wacker (Arash Marandi) mit Klapprad parat. Ein bisschen Spaß darf sein. Nach 45 Minuten ist Schluss damit. Aus einer fingierten Entführung wird blutiger Ernst.
Feine Internate sind dem „Tatort“-Zuschauer nicht ganz fremd. Die letzten Institute dieser Art lagen in Konstanz („Tatort – Herz aus Eis“, 2009), bei München („Tatort – Der Wüstensohn“, 2014) und in der Schweiz („Tatort – Kleine Prinzen“, 2016). Wie bei den Vorgängern lädt auch der Mikrokosmos des sorgsam von der Außenwelt abgeschotteten Internat „Rosenhag“ zur Sichtung diverser Tatverdächtiger ein. Kinder strenger Eltern treffen auf Pädagogen, die einen antiautoritären Habitus pflegen. Mit Falkes Worten: Verlogen, aber gewinnbringend. Immerhin zahlen Eltern aus aller Welt rund 4000 Euro im Monat für die Ausbildung. Potenziell Verdächtige macht Falke im Kollegium wie in der Schülerschaft aus. Ihren psychischen Macken begegnet er mit gesunder Skepsis. Dabei bleibt der Ermittler professionell. Wo der junge Thorsten Falke als Arbeitersohn aus Hamburg-Billstedt seinen Protest noch laut herausgeschrien hätte, übt er sich jetzt in ruppiger Einsilbigkeit. Wann immer ihm die Galle hochkommt, belässt er es bei einem trocknen Räuspern. Als Stellvertreter des Zuschauers führt er uns unterhaltsam durch weitgehend unbekanntes Terrain.
Foto: NDR / Marc Meyerbroeker
Elitären Spinnern bietet Regisseur Christoph Stark („Spreewaldkrimi – Die Sturmnacht“, drei „Bloch“-Episoden) übrigens keine Bühne. Stattdessen stattet er Schüler wie Lehrer mit normalen Sorgen und Nöten aus. Zu den fein ausgeleuchteten Nebenfiguren zählt Juans schweigsamer Bodyguard Carlos (José Barros spielt die unfreieste Figur in diesem Drama mit viel Feingefühl), sein unsicherer Mitschüler August (Anselm Ferdinand Bresgott), seine Freundin Hanna (Valerie Stoll) und sein Lehrer Bergson (Christian Erdmann). Sie alle haben nicht nur ein Gesicht, sondern auch ihre eigene Geschichte. Wenn man in dieser Internatswelt nach kalten Biestern sucht, dann sind das Eltern, die ihre Kinder samt den ihnen aufgebürdeten Erwartungen in der Karriereschmiede parken und mit Entsetzen feststellen, dass beim Hobeln Späne fallen. Brutal fällt die Sache bei Juan aus. Die Umstände seines Todes lassen einen Ritualmord vermuten. Die hohe Politik glaubt das gern. Ein willkommener Täter ist schnell ausgemacht, die Nachrichten verkünden den Fahndungserfolg. Falke geht das alles zu schnell. Und tatsächlich gelingt es ihm, den Kahn noch einmal zu drehen. Was nicht gelingt, ist das Bemühen, an diesem „Tatort“ weiterhin keine Klischees zu bedienen. So differenziert die Personen in Juans Umfeld gezeichnet sind, so holzschnittartig kommen Falkes Kontrahenten am längeren Hebel daher. Eine aufgeregte Ministerin und ihr Lakai von der Staatskanzlei stricken an einer „eleganten Lösung“, um Deutschland nicht wie eine Bananenrepublik dastehen zu lassen. Das Konstrukt stärkt Falkes Position als aufrechter Held, wäre aber gar nicht nötig gewesen und besteht sicher nicht den Realitäts-Check.
Autor Jochen Bitzer (Grimme-Preis für „Der Fall Jakob von Metzler“, 2013), der mit Regisseur Christoph Stark zur Schule ging, ließ sich durch eine Pressemeldung über Kim Jong-un zu „Tatort-Tyrannenmord“ inspirieren. Laut diesem Bericht soll Kim Jong-un als junger Mann unter falschem Namen und mit Bodyguard an seiner Seite ein Internat in Bern besucht haben. „Tatort – Tyrannenmord“ spinnt daraus ein Drama über die Unfreiheit derer, denen angeblich die Welt offensteht. Das hat Potential. Der wahre Tathergang steuert dann ein zweites Drama bei, das weniger überzeugt. Insgesamt wird daraus eine konventionell gefilmte Reflexion über arme Reiche und einen Kommissar, der das Beste aus der bösen Welt macht. Irgendwo zwischen etwas zu auffällig eingestreuten Sozialkunde-Lektionen („Alle sollten eine anständige Schulbildung kriegen, nicht nur die mit Kohle“) und Falkes zeitlosem Klingelton („Sympathy for the Devil“). Ein bisschen lauter hätte es sein können.
Foto: NDR / Marc Meyerbroeker