Tatort – Tschiller: Off Duty

Til Schweiger, Yardim, Yildirim, Darnstädt, Christian Alvart. Ungebrochene Kraftmeierei für Fans

Foto: NDR / Warner Bros. / Nik Konietzy
Foto Tilmann P. Gangloff

Die vier „Tatort“-Episoden mit Til Schweiger waren Kino fürs Fernsehen; das hat funktioniert, vor allem quantitativ, weil Tempo und Action überdurchschnittlich viele jüngere Zuschauer angesprochen haben. Der fünfte Film war Fernsehen fürs Kino, und das hat überhaupt nicht funktioniert: „Tschiller: Off Duty“ (NDR / Barefoot, Syrreal Entertainment, Warner Bros.) war ein kommerzieller Flop. Nun kommt er ins Fernsehen. Vermutlich wird sich der Abwärtstrend der bisherigen Tschiller-Thriller fortsetzen: Die dünne und gerade in der ersten Hälfte eher seelenlose Geschichte ist über weite Strecken bloß Vorwand für die üblichen Schlägereien und Schießereien. Außerdem fehlt dem Film eine gewisse ironische Distanz; daran ändern auch gelegentliche lockere Sprüche und böse Scherze nichts. Die Actionszenen sind allerdings recht eindrucksvoll, die donnernde Musik ist dem Aufwand angemessen. Im Kino war der Film freigegeben ab 16; der NDR hat ihn bearbeitet, um ihn um 20.15 Uhr zeigen zu können.

Til Schweiger soll ziemlich sauer gewesen sein, als er erfahren hat, wann das „Erste“ diesen Kino-„Tatort“ zeigen will: „Tschiller: Off Duty“ läuft nicht etwa im Spätherbst oder im Winter, wenn große Zuschauerzahlen garantiert sind, sondern mitten Sommer, bei Biergartenwetter womöglich. Die ARD kündigt die Ausstrahlung zwar als „’Tatort’-Highlight im Sommerprogramm“ an, aber der Film dürfte dennoch deutlich weniger Menschen erreichen als zu einem anderen Zeitpunkt. Bei Schweigers Reaktion wird auch die ernüchternde Kinoauswertung nochmals eine Rolle gespielt haben. Nach sechs Wochen hatte der im Februar 2016 gestartete Film gerade mal rund 280.000 Zuschauer. Für Schweiger und Regisseur Christian Alvart, beide mit ihren Firmen Barefoot (Schweiger) und Syrreal Entertainment (Alvart) gemeinsam mit Warner Bros. auch die Produzenten des Films, muss das wie ein Schock gewesen sein, schließlich entsprach diese Zahl nur einem Bruchteil der TV-Quote: Der erste Auftritt von Nick Tschiller („Willkommen in Hamburg“) hatte im März 2013 12,74 Millionen Zuschauer, und auch „Kopfgeld“ erreichte ein Jahr später immer noch beachtliche 10,12 Millionen. Anschließend gingen die Zahlen allerdings weiter runter, und das deutlich; Der wegen der Terroranschläge von Paris im November 2015 verschobene Zweiteiler „Der große Schmerz“/„Fegefeuer“ hatte bei seiner Ausstrahlung am 1. und 3. Januar 2016 8,24 beziehungsweise 7,69 Millionen Zuschauer; immer noch viele Menschen, keine Frage, aber für einen „Tatort“ bloß Durchschnitt. Dass Tschillers Ausflug ins Kino bei weitem nicht an die Zahlen von Schweigers Regiearbeiten „Honig im Kopf“ (2014, gut 7 Millionen), „Keinohrhasen“ (2007, 6,3 Millionen) „Kokowääh“ (2011, 4,3 Millionen) oder „Zweiohrküken“ (2009, 4,2 Millionen) heranreichen würde, war ohnehin klar; in solche Dimensionen stoßen deutsche Kinoproduktionen nur als Komödie vor

Aus der FSK-Begründung zur Freigabe ab 16 Jahren:
Der Film enthält mehrere drastische Gewaltszenen (z.B. ein Kopfschuss mit spritzendem Blut oder ein aus dem Fenster stürzender Gegner, dessen Kopf beim Aufschlagen „zerplatzt“). Jugendliche ab 16 Jahren sind auf Grund ihrer psychosozialen Entwicklung jedoch in der Lage, die Gewalt im Kontext der überzeichneten Actiongeschichte zu sehen und eine emotionale Distanz zu wahren. Eine nachhaltige Irritation kann ausgeschlossen werden. Ab 16-Jährige sind auch in der Lage, die moralisch fragwürdigen Methoden des Helden als typisches Genremotiv zu entschlüsseln, das keinen ernsthaften Realitätsbezug hat. Eine desorientierende Wirkung steht daher nicht zu befürchten.

Tatort – Tschiller: Off DutyFoto: NDR / Warner Bros. / Nik Konietzy
Ein Muss für Action-Liebhaber: „Tschiller: Off Duty“. Ein Hauch von James Bond weht durch diesen „Tatort“ fürs Kino.

Trotzdem lässt sich nicht erschöpfend erklären, warum der dritte Kinofilm der Marke „Tatort“ (nach „Zahn um Zahn“ und „Zabou“ mit Götz George, 1985 und 1987) derart schlecht abgeschnitten hat. Natürlich geht ein Großteil des regelmäßigen (älteren) „Tatort“-Stammpublikums überhaupt nicht mehr ins Kino, aber die Zuschauer der Krimis mit Schweiger waren im Schnitt deutlich jünger als bei den sonstigen Sonntagskrimis. Ein entscheidender Grund ist sicherlich die Konkurrenzsituation. „Tschiller: Off Duty“ („Außer Dienst“) hat angeblich 8 Millionen Euro gekostet, aber das ist nur ein Bruchteil der Summen, die Hollywood in die Herstellung solcher Filme investiert. Der Vergleich mit Erfolgsreihen wie „Mission Impossible“ oder der „Bourne“-Reihe mag nicht fair sein, aber natürlich weiß das Publikum, das ein Kino-„Tatort“ ein paar Nummern kleiner daherkommt. Da zieht dann auch der Name Til Schweiger nicht mehr. Schon seine Actionthriller „Eisbär“ (1998) und „Schutzengel“ (2012) lagen beide unter der Millionengrenze, mit gut 700.000 Zuschauern aber dennoch deutlich über „Tschiller: Off Duty“.

Da Schweiger seit einiger Zeit ein mindestens gespaltenes Verhältnis zu den Feuilletons hat, gibt es seit Jahren keine Pressevorführungen seiner Filme mehr. Auch der Kino-„Tatort“ wurde nur wenigen Journalisten gezeigt, weshalb die Zahl der Besprechungen deutlich niedriger war als bei anderen Filmen. Die Bewertungen waren zwar gemischt, aber Kritiker-Meinungen haben noch nie verhindert, dass schlechte Actionfilme viele Zuschauer haben. Und „Tschiller: Off Duty“, eine direkte Fortsetzung der TV-Krimis, ist nicht mal ein schlechter Actionfilm, allerdings mit 130 Minuten zu lang; und gelegentlich ziemlich unglaubwürdig. Das beginnt schon mit dem Einstieg: Tschillers Tochter Lenny (Luna Schweiger) hat herausgefunden, dass der angeblich in einem Istanbuler Gefängnis schmorende Mörder (Erdal Yilidz) ihrer Mutter in Wirklichkeit frei herumläuft, also fliegt sie auf eigene Faust in die Türkei und besorgt sich eine Waffe, um den Mann zu erschießen; Lenny ist 17. Natürlich geht der Plan schief, sie wird verschleppt und als Zwangsprostituierte nach Russland verschachert, wo sie zur entscheidenden Figur eines ebenso raffinierten wie perfiden Anschlags werden soll. Selbstredend lässt Vater Nick nichts unversucht, um seine Tochter zu befreien, erst in Istanbul, dann in Moskau; erst im Alleingang, dann gemeinsam mit seinem Freund und Partner, dem ewig gutgelaunten und bedingungslos zuverlässigen Yalcin (Fahri Yardim).

Aus der stern.de-Kritik zum Kinostart: Tatsächlich ist „Off Duty“ großartiges Old-School-Actionkino, das es so bisher in Deutschland nicht gegeben hat – mit einem zerfurchten Helden, seinem humorbegabten Sidekick, einem wirklich unangenehmen Bösewicht und einer aberwitzigen Geschichte, die alle durch mehrere Länder jagt. Wer das zu schätzen weiß, ist bei Tschillers erstem Kino-„Tatort“ genau richtig. Wer dem klassischen Sonntagabend-Modell „Mord in der Gartenlaube“ nachhängt, der wird überfordert sein.

Aus der Filmdienst-Kritik: Konzipiert als inhaltlich sinnfreier Thriller, der dank dichter Actionszenen aber durchaus packend unterhält, stören vor allem die Kraftmeierei und die ungebrochene Selbstjustiz-Haltung der Hauptfigur.

Tatort – Tschiller: Off DutyFoto: NDR / Warner Bros. / Nik Konietzy
Ballern, was das Zeug hält. Keine allzu guten Erfahrungen mit dem Kino gemacht. Til Schweiger als Nick Tschiller

Die wichtigsten Beteiligten sind die gleichen wie bei den TV-Krimis, von Autor Christoph Darnstädt über den Regisseur bis zu den Hauptdarstellern. Die Bildgestaltung besorgte allerdings Christof Wahl, der mehrere von Schweigers Komödienhits fotografiert hat. „Tschiller: Off Duty“ ist daher zumindest in den Türkei-Szenen in jenes typische Spätsommerlicht getaucht, das auch „Keinohrhasen“, „Zweiohrküken“ oder „Kokowäh“ geprägt hat; die hohe Schnittfrequenz ist ein weiteres Merkmal von Schweigers Kinoarbeiten. Entscheidender zumindest aus Sicht der Genre-Fans ist allerdings die Qualität der Actionszenen, an denen wahrlich kein Mangel besteht. Berücksichtigt man die Tatsache, dass das Budget deutlich überschaubarer war als in vergleichbaren internationalen Filmen, sind sie durchaus eindrucksvoll, zumal Martin Todsharow einen angemessen donnernden Kinofilm-Soundtrack geschrieben hat. Dass die Handlung im Grunde bloß als Vorwand für Schlägereien und Schießereien dient, ist bei den „James Bond“-Filmen mit Daniel Craig nicht viel anders. Im Unterschied zu den Bond-Bösewichten, die zu den berühmtesten Schurken der Filmgeschichte gehören, wird Tschillers Widersacher jedoch nicht etwa von einem Star, sondern von Özgür Yildirim verkörpert. Der macht das allerdings ziemlich gut, obwohl er bloß Gelegenheitsschauspieler ist: Dank „Chico“, „Blutsbrüdaz“, „Boy 7“ sowie den NDR-„Tatort“-Beiträgen „Zorn Gottes“ (2016) und zuletzt „Alles was Sie sagen“ gehört Yildirim zu den spannendsten deutschen Regisseuren.

Natürlich steht der Widersacher, ein türkischer Geheimagent mit finsteren Allmachtsplänen, während des ausgiebigen Finales immer wieder auf; das gehört bei Filmen dieser Art einfach dazu und ist deshalb glaubwürdiger als die verblüffenden chirurgischen Fähigkeiten, die Superbulle Tschiller am Ende offenbart. Ohnehin fehlt dem Film eine gewisse ironische Distanz; daran ändern weder die lockeren Sprüche von Yalcin noch die gelegentlichen bösen Scherze etwas. „Tschiller: Off Duty“ ist absolut ernst gemeint; auch Szenen wie jene, in der der vielfach geschundene Held durch eine Wand bricht, um seinen Freund zu retten. Die Istanbuler Hälfte stellt zudem viel zu wenig Empathie für den Helden her, weshalb die Actionszenen bei allem Respekt fürs Handwerk etwas seelenlos wirken. In Moskau ist das anders, zumal die Spannung nun auf zwei Ebenen entsteht: Tschiller muss um jeden Preis das Attentat verhindern, sonst stirbt seine Tochter. Der Qualitätsunterschied zwischen den beiden Hälften hat auch mit der Originalität der Actionszenen zu tun. In Istanbul wird geschossen, geprügelt und über Dächer geflohen. In Russland kommt es zum ziemlich packend inszenierten ungleichen Zweikampf zwischen einem Lada und einem Mähdrescher. Anschließend parkt  Tschiller das Gefährt auf dem Roten Platz; das ist ebenso verblüffend wie der Einsatz einer Abrissbirne, die beim Finale auf den Straßen Moskaus eine entscheidende Rolle spielt. Zwischendurch ist der Film allerdings auch ziemlich brutal. Fürs Kino hat er wegen der stellenweise recht drastischen Gewalt eine Freigabe ab 16 Jahren bekommen. Aufgrund der Jugendschutzbestimmungen dürfte die ARD „Tschiller: Off Duty“ daher eigentlich erst ab 22 Uhr ausstrahlen, weshalb der NDR einige Szenen entschärft hat.

 

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Kinofilm

NDR

Mit Til Schweiger, Fahri Yardim, Özgür Yildirim, Luna Schweiger, Erdal Yildiz, Alyona Konstantinova, Yegor Pazenko, Eduard Flerov, Kida Khodr Ramadan, Stefanie Stappenbeck

Kamera: Christof Wahl

Szenenbild: Thomas Freudenthal

Kostüm: Sabine Bockmeyer, Ingken Benesch

Schnitt: Marc Hofmeister, Dirk Grau

Musik: Martin Todsharow

Soundtrack: Osbay („Na so“), Jonah Pale („Riding on a Dark Horse“), Smash feat. Ridley („The Night is Young”), T.A.T.U. („Nas Ne Dagoniat”)

Redaktion: Thomas Schreiber

Produktionsfirma: Barefoot, Syrreal Entertainment, Warner Bros. ITVP Deutschland

Produktion: Christian Alvart, Sigi Kamml, Til Schweiger, Tom Zickler

Drehbuch: Christoph Darnstädt

Regie: Christian Alvart

EA: 08.07.2018 20:15 Uhr | ARD

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