Nick Tschiller (Til Schweiger) ist angeschlagen. Seine Frau ist vor seinen Augen erschossen worden. Seine Tochter hat er in Lebensgefahr gebracht. Und weil er sich im Kampf gegen die Clan-Kriminalität bei der Wahl der Waffen vergriffen hat, läuft ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Jetzt hat er sich auf Anraten seiner Tochter erst mal ausgeklinkt aus seinem alten Leben. Auf der Insel Neuwerk am Rande der Außenelbe unterstützt er die ehemalige Lehrerin seiner Tochter (Laura Tonke) bei einem sozialpädagogischen Projekt mit schwer erziehbaren Jugendlichen. Hilfe zur Selbsthilfe. Der therapeutische Effekt – und nicht nur der – gerät al-lerdings in Gefahr, als er sich von Yalcin Gümer (Fahri Yardim) überreden lässt, Schutzengel zu spielen für Tom Nix (Ben Münchow), einen Kronzeugen, der mit seinem Bruder Eddie eigentlich in ein Safe-House nach Spanien verfrachtet werden sollte. Doch jetzt ist Eddie tot und Gümer weiß nicht, wem er noch trauen kann. Ist seine neue Kollegin, die Polizeischulen-Abgängerin Robin Pien (Zoe Moore), vielleicht ein Maulwurf? Sie und Chef Petretti (Tim Wilde) waren jedenfalls die einzigen, die die Abläufe des Gefangenentransports kannten. Ausgerechnet der seelisch zerrissene Haudegen Tschiller soll es nun für ihn richten.
Mit dem „Tatort – Off Duty“, der mit rund 300.000 Zuschauern eine wenig glanzvolle Premiere im Kino feierte und es auch im Fernsehen nur auf vergleichsweise schwache 5,34 Millionen Zuschauer (allerdings im Juli) brachte, zerlegte das Action-Konzept vom „Tatort“ Hamburg sich quasi selbst. Rund acht Millionen Euro soll das Kino-TV-Crossover gekostet haben. Für Fans der härteren Gangart ein Fest, doch damit war der anfangs erzielte Til-Schweiger-Effekt mit Einschaltquoten bis zu 12,74 Millionen Zuschauer vollends verpufft. Da nun, wie Schweiger selber sagt, „wir das Action-Konzept des Kinofilms nicht mehr toppen konnten“, ist es durchaus nachvollziehbar, dass Tschiller & Co einem Relaunch unterworfen wurden. Und der ergibt sich (psycho)logisch aus dem in den fünf Episoden bisher Erzählten. Die Kampfmaschine hat Pause. Hinter ihren Handlungen wird der Mensch sichtbar. Das wirkt narrativ weder aufgesetzt, noch versucht der „Tatort – Tschill Out“ ein softes Krimi-Drama zu sein. Der Film macht nicht auf genre-cool, ist aber spannend und straight. Tschiller bleibt Tschiller. Und so stehen die Chancen gut, dass dem, der vor allem als der Mainstream-Mann des Kinos bekannt ist, auch im „Tatort“ wieder mehr Zuschauer folgen werden.
Krimi-Experte Eoin Moore, einer der maßgeblichen Köpfe hinter dem „Polizeiruf 110“ aus Rostock, eine deutsche TV-Reihe, die Schweiger gefällt, hat mit seiner Ko-Autorin Anika Wangard ein plausibles Scenario entworfen. Eine Insel im Krimi kommt immer gut, man denke nur an „Mord auf Amrum“ oder den „Tatort – Mord auf Langeoog“. Vor allem aber für die glaubwürdige Psychologie der Hauptfigur ist die noch nicht abgefilmte Mini-Insel Neuwerk als Schauplatz ideal. Der Held soll schließlich in sich gehen. „Hätte er weiterhin im urbanen Raum agiert, wäre das schwieriger geworden“, so Moore. Ebenso einfach wie wirkungsvoll ist die Idee, das friedvolle Eiland mit der urbanen Welt kurzzuschließen. Die Parallelschaltung ist die Triebfeder der Dramaturgie und der Atem der Inszenierung. Auf der Insel Tschiller, der sich im psychologisch-pädagogischen Ermitteln versucht: Sein Schützling, Musiker einer linksradikalen Punkrock-Band, hat sich aufs Dealen eingelassen. Sein Bruder muss tiefer im kriminellen Sumpf gesteckt haben, vermutet Tschiller, sonst hätte man ihn nicht liquidiert. Die Hamburg-Szenen besitzen anfangs deutlich mehr Krimi-Touch – denn hier treibt ein Profikiller sein Unwesen. Gleichsam geht es hier aber immer wieder recht launig zu. Sprücheklopfer Gümer („Ich lauf schön; ich hab ‘nen schönen Gang“) und die neue junge Kollegin sind sich nicht grün – was allerdings auf amüsante Weise gegen das übliche Klischee des Fremdelns unter Kollegen gesetzt wird: Der Macho ist ständig nur zweiter Sieger. Pien ist clever und tough, analytisch und handlungsschnell. Da bleibt Gümer nur die Hoffnung, dass sein Kumpel bald zurückkommt. „Ich brauch dich“, sagt er am Ende, fast flehend.
Til Schweiger ist kein Matthias Brandt. Und auch kein Peter Kurth. Eoin Moore hat in der Geschichte deshalb nicht zu sehr auf Introspektion gesetzt. Das Physische ist und bleibt Schweigers Stärke in Nicht-Komödien. In der Mann-zu-Mann-Kommunikation funktioniert er als Schauspieler nach wie vor am besten. Das Gespräch im Watt mit seinem „Schutzbefohlenen“ inklusive simple Psychotricks (dem anderen das Gefühl geben, selbst ent-scheiden zu dürfen) gehört zu den stärksten Szenen des Films. Männlichkeitsgesten, auch die des gebeutelten Machos, vermittelt er glaubwürdiger als Szenen mit einer Frau (wie zu Beginn mit Laura Tonke), in denen er Schwäche darzustellen hat. Besonders die Augen-Blicke, in denen er sich zurückerinnert, in denen das Trauma mit seinen „Frauen“ zum Ausdruck kommen soll, bleibt Schweigers Spiel äußerlich; er macht zu viel, er ist zu laut – und es scheint sich Schweigers Antischauspieler-Image zu bestätigen. Überzeugend dagegen: der skeptische Schweiger-Blick; wenn Buddy-Interaktion auf Nachdenklichkeit trifft; wenn Schweiger – wie in besagter Szene im Watt – in der Totalen zu sehen ist, und er mit seiner Körpersprache (des angeschlagenen Helden) agieren kann. Er ist also immer dann gut, wenn klare Emotionen eine Szene dominieren. Wenn er hingegen komplexe Gefühle simulieren oder seine Figur Empathie zeigen muss, bekommen seine Gesichtszüge das Flattern.
In der Kombination mit Rampensau Fahri Yardim und dessen Macho alter Schule sollte Schweigers Tschiller auf jeden Fall eine Zukunft haben, nicht als „Tatort“-Super-Cop, sondern als moderat gebrochener Held, in dem seine private Vergangenheit weiterlebt, mal mehr, mal weniger. Was sein Problem ist, sollten künftige Drehbuchautoren im Hinterkopf behalten. Laura Tonkes Sozialpädagogin spricht es am Ende aus. Immer nur den Helden und Helfer spielen, das sei eine Sackgasse für ihn. „Das ist ‘ne Sucht. Deswegen kannst du nicht richtig trauern, sondern rennst hier nachts im Garten ‘rum und brüllst wie ein Irrer.“ Solche Gegenstimmen sind notwendig für den Fortgang dieses „Tatort“-Ablegers. Auch die selbstbewusste Robin Pien wird notfalls beiden Kollegen zeigen, wo’s 2020 gender- und generationspolitisch langgeht. Ein solches Trio auf Augenhöhe(!) könnte erfrischend sein. Und statt mit Panzerfaust zu kommen, könnte – falls sich Tschillers Psyche erholt – Til Schweiger bald auch im „Tatort“ sein durchaus charmantes Lächeln zeigen. Ironische Momente gibt es ja bereits in „Tschill Out“. Da spaziert dieser Superbulle, der unlängst noch Wohnungen in Schutt und Asche bombte, entspannt mit einem Spielzeuggewehr am Deich entlang.