Als die ARD diesen „Tatort“ 1973 ausstrahlte, war das Publikum höchst irritiert; und das vermutlich nicht allein, weil der erwartete Held des Films nur eine Gastrolle hat. „Tote Taube in der Beethovenstraße“ ist ein Beleg dafür, wie experimentierfreudig der WDR in jenen Jahren war. Als Regisseur wurde Sam Fuller engagiert, der vor allem durch seine kompromisslosen Genrefilme, den Western „Vierzig Gewehre“ (1957), den Psychiatriefilm „Schock-Korridor“ (1963), das Neo-Noir-Melo „Der nackte Kuss“ (1964) oder das Kriegsdrama „The Big Red One“ (1980), bekannt wurde. Der Amerikaner war alles andere als ein typischer Hollywood-Auftragsregisseur und pflegte seine Drehbücher selbst zu schreiben, weshalb er in Europa, vor allem in Frankreich, als Autorenfilmer geschätzt wurde. Angeblich hat er nur wenige Tage für sein Buch gebraucht, was der Film nicht immer verhehlen kann.
Held der Geschichte ist ein amerikanischer Privatdetektiv namens Sandy (Glenn Corbett). Sein Auftraggeber, ein Senator mit Präsidentschaftsambitionen, wird mit kompromittierenden Fotos erpresst. Auffälliges Merkmal der leichten Dame auf den Bildern ist ein Muttermal am Oberschenkel; es hat die Form einer Erdbeere. Als Sandys Kollege Johnson in der Bonner Beethovenstraße erschossen wird, ermittelt er allein weiter. Um an den Drahtzieher heranzukommen, der sich auf die Erpressung prominenter Politiker spezialisiert hat, gibt er sich gegenüber Christa (Christa Lang), der Frau mit dem reizenden Erdbeermakel, als Paparazzo aus. Die beiden werden umgehend ein eingespieltes Team und locken diverse Politiker in die Honigfalle. Allerdings bekommt Christa Skrupel, weil die Männer, denen sie schöne Augen machen soll, ehrenwerte Ziele haben; die verfänglichen Situationen lassen sich ohnehin nur mit Hilfe eines Betäubungsmittels arrangieren. Außerdem verliebt sie sich in ihren Partner, der die Gefühle zwar offenbar erwidert, aber sein eigentliches Ziel nie aus den Augen verliert. Als Christa ihn endlich zum Boss des auf der ganzen Welt aktiven Erpressersyndikats (Anton Diffring) führt, kommt es zu einem skurrilen Kampf auf Leben und Tod.
Die zeitgenössischen Kritiken waren zum Teil verheerend. Die notierten Beschwerden der Zuschauer galten vor allem der schwer zu verstehenden Handlung. Dabei ist die eigentliche Geschichte gar nicht schwer zu durchschauen; es ist in erster Linie Fullers sprunghafte Erzählweise, die den Film kompliziert erscheinen lässt. Viele Menschen werden zudem enttäuscht gewesen sein, dass Zollfahnder Kressin (Sieghardt Rupp) – obwohl ein umstrittener Ermittler – gleich zu Beginn bei einem Schusswechsel verletzt wird und damit aus dem Spiel ist. Auch Fullers für ein deutsches TV-Movie ungewöhnliche Inszenierungsweise dürfte für Irritationen gesorgt haben. Selbst aus heutiger Sicht wirken einige Szenen manieriert; die gelegentlichen rasend schnellen Schnittfolgen zum Beispiel haben zumeist keinerlei Bezug zur Handlung haben. Das gilt auch für die dem Italo-Western entlehnten extremen Nahaufnahmen der Augenpaare von Sandy und Kressin. Im Western erhöht das Stilmittel die Spannung beim Duell; in der entsprechenden Szene bei Fuller tauschen die beiden Ermittler ganz harmlos eine Information aus. (Mit derlei bewusst gegen die klassische Erzählnorm gesetzten Brüchen steht Fuller in der Tradition eines Jean-Luc-Godard; seine V-Effekte goutierten allenfalls französische Filmkritiker). Hübsch ist dagegen die Idee, die Ansichtskarte eines Restaurants in Gestalt eines eleganten Übergangs lebendig werden zu lassen. Hier zeigt Fuller eine Beiläufigkeit, die dem Film an anderer Stelle ebenfalls gut getan hätte. Völlig überflüssig ist zum Beispiel ein Gastauftritt von Stéphane Audran in einer aufgesetzten Tanzszene; die Schauspielerin war die bevorzugte Hauptdarstellerin ihres zeitweiligen Ehemanns Claude Chabrol und galt als Gesicht der französischen Nouvelle Vague, deren Regisseure Fuller verehrten. Fuller revanchierte sich und nutzte die Figur zu einer zweiten Hommage: Die Frau heißt Bogdanovich. Eine ähnliche Verbeugung war die Besetzung einer kleinen Rolle mit dem damaligen Filmredakteur der „Zeit“, Hans C. Blumenberg.
Aus cineastischer bzw. filmintellektueller Sicht hat „Tote Taube in der Beethovenstraße“ in der Tat einen gewissen Reiz, wenn man die Geschichte zum Beispiel als ein Spiel mit Schein und Sein oder mit manipulierter Realität und Wirklichkeit betrachtet; Fotos werden gefälscht und arrangiert, die Hauptfiguren werden durch Spielfilmausschnitte charakterisiert. Bei Sandy erfolgt das eher schlicht: Er schaut sich den Howard-Hawks-Klassiker „Rio Bravo“ im Kino an. Bei Christa hat der Verweis einen doppelten Boden: Fuller zeigt eine Szene aus Jean-Luc Godards Science-Fiction-Film „Alphaville“, in dem Christa Lang eine Nebenrolle spielte. Kein Wunder, dass selbst den Gefühlen nicht zu trauen ist. Wahrhaftig ist nur der Tod; am Ende zerspringt Christas Gesicht wie ein Spiegel in tausend Stücke.
Reizvoll sind auch die Schauplätze, darunter Beethovens Geburtshaus, der Drachenfels im Siebengebirge oder das Hotel Petersberg, eine Nobelherberge für die Staatsgäste der Bonner Republik. Für ein erstes Finale während der Kölner Straßenfasnacht wurde eine komplette Karnevalsgesellschaft engagiert. Famos (wenngleich ebenfalls gewöhnungsbedürftig) ist auch die Musik von Can. All’ diese Wertschätzungen können eines jedoch nicht verleugnen: Die Synchronisation ist stellenweise schauderhaft. Am ärgsten hat es Christa Lang getroffen. Dabei ist sie eine ausgezeichnete Besetzung für die ebenso raffinierte wie polyglotte Männerfängerin. Lang, gebürtige Rheinländerin und damalige Lebensgefährtin Fullers, hat viel in Frankreich und später in Amerika gearbeitet. Sie ist keine klassische Schönheit, aber eine Frau mit einem speziellen Charme, der durch die deutsche Stimme (Renate Pichler) zunichte gemacht wird. Gleiches trifft auf Eric P. Caspar zu. Der Schweizer spielt den leicht irren Mörder Johnsons, doch die deutschen Dialoge haben zur Folge, dass der Mann nicht bedrohlich, sondern bloß lächerlich wirkt. Die Synchronisation verschiedener Nebenfiguren klingt gleichfalls nicht nach Krimi, sondern nach billiger Klamotte. Selbst der international gefragte Anton Diffring zeigt als Sprecher in eigener Sache gewisse Schwächen. Als einziger auch akustisch halbwegs überzeugend ist Hauptdarsteller Glenn Corbett (gesprochen von Hartmut Reck), dem es anders als Lex Barker (Old Shatterhand) oder George Nader (Jerry Cotton) allerdings nicht gelungen ist, in Deutschland bekannter zu werden als in seiner amerikanischen Heimat, wo er ebenfalls nie ein Star geworden ist.
Vor einigen Jahren ist längere Version des Films auf DVD erschienen. Mittlerweile existiert eine nochmals überarbeitete 110 Minuten lange Fassung, aber der WDR konnte sich mit dem amerikanischen Rechteinhaber nicht rechtzeitig zum geplanten Wiederholungstermin über die Versand- und Zahlungsmodalitäten einigen. Inwiefern sich dieser sogenannte Director’s Cut vom Original unterscheidet, weiß man daher beim WDR selbst noch nicht. Interessant wäre es auch zu erfahren, wer die Ergänzung vorgenommen hat; Fuller ist 1997 gestorben. Den größten Gefallen würde der WDR dem Film jedoch tun, wenn er das Werk neu synchronisieren ließe, aber das ist zumindest bislang nicht vorgesehen. (Text-Stand: 2017)