Tatort – Todesstrafe

"Tatort"-Debüt für Simone Thomalla & Martin Wuttke: Die Toughe & der Knorrige

Foto: MDR / Junghans
Foto Rainer Tittelbach

Zum „Tatort“-Jubiläum gibt es zwei neue Kommissare: Die öffentliche Frau Thomalla und der Theaterstar Wuttke sind ein interessantes Paar, die Chemie stimmt & die Marketingabteilung der ARD dürfte zufrieden sein. Der erste Fall ist aber ziemlich durchschnittlich geraten.

2008 ist ein besonderes „Tatort“-Jahr. Drei neue Teams stellen sich den Zuschauern. An diesem Sonntag ist Leipzig an der Reihe mit zwei neuen Ermittlern, die unterschiedlicher nicht sein können: Simone Thomalla gibt die toughe Adrette und Martin Wuttke den knorrigen Einzelgänger. Sie lösen Peter Sodann und Bernd Michael Lade ab, die 45 Mal für den MDR am Tatort waren. Ihr Einstand ist gleichzeitig mal wieder eines der gern gefeierten Jubiläen der seit 1970 laufenden ARD-Krimireihe: „Todesstrafe“ ist „Tatort“ Nummer 700.

Simone Thomalla hat ein Heimspiel. Wie ihre Kommissarin Eva Saalfeld ist sie in Leipzig aufgewachsen. Für Martin Wuttke, geboren in Gelsenkirchen, ist der Osten Deutschlands unbekanntes Terrain. Ungewohnt ist für den Schauspieler, der seit Jahren eine Größe in der deutschen Theaterszene ist, auch das Medium Fernsehen, für ein serielles Format hat er sich noch nie verpflichten lassen. „Die relative Fremdheit in diesem Metier“ beschreibt er als „besonders hilfreich“. Auch sein Andreas Keppler kommt mit einem Fremdheitsgefühl in die Stadt. Einsam verbringt er die Nächte in einer heruntergekommenen Pension. Als „einen Mann ohne Eigenschaften“, beschreibt Wuttke seine Figur. „Mit seinem fremden Blick auf diese Stadt entdeckt er Dinge, die die Leute von hier nicht mehr wahrnehmen.“

In „Todesstrafe“ sieht man Keppler, wie er neben der Leiche gedankenversunken kauert und wie er den Tatort von allen Seiten akribisch inspiziert. Er ist der Mann fürs Detail, der Beobachter, der Denker, der Analytiker. Wenn es der Sache dient, ist er sich nicht einmal für einen Sprung in den Müllcontainer zu schade. Im ersten Fall geht es um den Mord an einem vermeintlichen „Kinderschänder“. Weil sich der Betreiber eines Veranstaltungshauses für Jugendliche angeblich an seiner Tochter vergriffen haben soll, hat seine Frau Anklage erhoben. Dass sie ausgerechnet mit ihrem Anwalt ein Verhältnis hat, lässt die Kommissare alsbald an ihrer Beschuldigung zweifeln. Den blutigen Rest im Scheidungskrieg hat der Verein „Aktion Selbsthilfe Kinderschutz“ übernommen, der die Todesstrafe auf Kindesmissbrauch fordert. Der Vorsitzende des Vereins wird verhaftet, scheidet aber bald als Täter aus.

Die Story ist durchschnittlich, die Inszenierung uninspiriert wie die meisten Krimis, die der MDR die letzten Jahre für die Prestige-Reihe produzieren ließ. Was allerdings Hoffnung macht, ist das neue Duo: insbesondere Keppler hat das Zeug zu mehr. Der Mann, der Augenkontakt mit Fremden scheut und es nicht so mit dem Grüßen hat, nicht nur deshalb, weil sich sein Blick – ob am Tatort oder in der Gerichtsmedizin – stets auf das Wahrnehmbare konzentriert, ist vor allem ein Unikat durch Martin Wuttke: leise lässt er seine Gesichtsmuskeln zucken, versteckt Gefühlsausdrücke hinter der Maske des Perfektionismus seiner Figur und gibt dem Zuschauer gelegentlich Rätsel auf. Ein Erfüllungsgehilfe eines mittelmäßigen Drehbuches – das merkt man schon im ersten Fall – will Wuttke nicht sein.

Tatort – TodesstrafeFoto: MDR / Junghans
Da liegt er nun – so tot wie die Beziehung des einstigen Ehepaars. Simone Thomalla & Martin Wuttke in „Tatort – Todesstrafe“

Natürlich hatte er Einfluss auf die Rolle. Den „nur edlen, hilfreichen und guten Kommissar“ wollte der 46-Jährige nicht geben. Gefragt nach seinen Motiven, sich für den „Tatort“ zu verpflichten, kommt der Schauspieler nicht mit den üblichen Gemeinplätzen: „Während der jahrelangen Arbeit am Theater habe ich mich finanziell nicht gerade saniert“, sagt er. Also nichts von wegen Ritterschlag für einen Schauspieler. Wie auch bei einem Theatermann, der zwei Mal innerhalb der letzten zehn Jahre von „Theater heute“ zum Schauspieler des Jahres gekürt wurde und der offen gesteht, dass er seinen letzten „Tatort“ vor 20 Jahren gesehen hat?! Wuttke brauchte Zeit, um sich daran zu gewöhnen, drei Krimis pro Jahr zu drehen.

Wuttke wurde gecastet. Simone Thomalla indes war vom Sender gesetzt. „Mit ihm hat es irgendwie besonders geknistert“, sagt Thomalla. Dieses Knistern braucht es ganz besonders bei der Vorgeschichte der beiden Kommissare: Saalfeld und Keppler, Ossi und Wessi, waren Anfang der 90er Jahre für kurze Zeit miteinander verheiratet. Nach zehn Jahren stehen sie sich das erste Mal nach ihrer gescheiterten Ehe wieder gegenüber. Besonders herzlich ist die Begrüßung nicht, doch Respekt, Vertrauen und gegenseitige Fürsorge sind zwischen Kepplers Alleingängen spürbar. „Zwischen den beiden besteht eine große Nähe, die oft nonverbal, über Gesten und kleine Blicke zum Ausdruck kommt“, so Thomalla. „Wir sind sicher eines der am stärksten nonverbal kommunizierenden Ermittler-Teams im deutschen Fernsehen.“

Mag auch die Chemie der Schauspieler besonders gestimmt haben, so ist doch auch vom Marketing-Aspekt her das Duo Thomalla/Wuttke eine sichere Bank. Da die attraktive Simone Thomalla, die von jeder Zielgruppe gern gesehen wird, die in Ost und West gleichermaßen beliebt ist und sich nicht zu schade ist, ausgiebig die Werbetrommel zu rühren. Die mit leichter Ironie „verkaufte“ Beziehung zum Ex-Schalke-Manager Rudi Assauer macht sie zur öffentlichen Frau, die stets eine gute Figur macht in einer Welt, die von „Gala“ bis „Bild“ reicht. Die Welt von Martin Wuttke kann unterschiedlicher kaum sein. Mit Boulevard und Bierwerbung kann der Schauspieler, dem 1995 mit Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ am Berliner Ensemble, der Durchbruch gelang, nicht dienen. Etwas Aura der Hochkultur, gepaart mit dem Individualismus eines großen Schauspielers, muss einer Krimi-Reihe nicht schaden, sondern kann ihrem Renommé gut tun, wie Hannelore Hoger in „Bella Block“ und Edgar Selge im „Polizeiruf 110“ gezeigt haben. (Text-Stand: 25.5.2008)

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

MDR

Mit Martin Wuttke, Simone Thomalla, Oliver Breite, Roman Knizka, Joseph Bundschuh, Julia Richter, Nadja Engel, Oliver Breite

Kamera: Matthias Papenmeier

Schnitt: Klara Mottlova

Musik: Andreas Hoge

Produktionsfirma: Saxonia Media

Drehbuch: Mario Giordano, Andreas Schlüter

Regie: Patrick Winczewski

EA: 25.05.2008 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach