Zwei tote Polizisten & eine nächtliche Terrorbedrohung
Schüsse knallen durch die Dortmunder Nacht. Zwei Polizisten werden in ihrem Streifenwagen brutal erschossen. Waren sie zur falschen Zeit am falschen Ort? Ganz in der Nähe des Tatorts brennt in einer kleinen Privatbank noch Licht. Faber (Jörg Hartmann) entdeckt diese Spur, und er sieht einen Mann (Felix Vörtler), der fieberhaft an einem Rechner arbeitet. „Wer hier reinkommt ist tot“, warnt dieser den Kommissar und knöpft in höchster Erregung seine Jacke auf: Der Mann trägt einen Sprengstoffgürtel. Wenig später rückt das SEK mit Einsatzleiter Günsay (Ercan Karacayli) an, bald ist auch das LKA mit Anette Rahn (Sylvana Krappatsch) vor Ort und die Gegend in der Innenstadt wird weiträumig evakuiert. Bei dem vermeintlichen Sprengstoffattentäter handelt es sich um den Bankangestellten Muhammad Hövermann, der in zweiter Ehe mit einer Syrerin (Dorka Gryllus) verheiratet und zum Islam konvertiert ist. Während Kossik (Stefan Konarske) sich zu Hövermanns Frau auf den Weg macht, sucht Nora (Aylin Tezel) den Sohn (Christian Ehrich) aus erster Ehe auf. Vielleicht kann einer der beiden den völlig aufgelösten Mann zum Aufgeben veranlassen? Bei Martina Bönisch (Anna Schudt) laufen die Fäden zusammen. Faber hingegen hat mal wieder seinen eigenen Kopf: Unter keinen Umständen will er die Bank verlassen. Er versucht ständig, mit Hövermann zu reden, um so neue, aufschlussreiche Informationen zu bekommen. Hövermann hämmert unterdessen weiter in die Tasten – und er tätigt dabei Überweisungen in Millionenhöhe.
Foto: WDR / Frank Dicks
Das Team Dortmund muss eine „Nachtschicht“ einlegen
Der zehnte „Tatort“ aus Dortmund ist ein ganz besonderer Fall für das Team: Faber & Co kommen in „Sturm“ nach der gruppendynamischen Eskalation in „Zahltag“ nicht dazu, ihre persönlichen Konflikte weiter auszutragen. Die Vier werden auseinandergerissen, jeder ist auf sich allein gestellt, jeder hat seinen Auftrag in dieser Geschichte, die nahezu in Echtzeit erzählt wird. Damit ist „Sturm“ auch ein ganz besonderer Film für den Zuschauer: mehr Thriller als Krimi, mehr „Nachtschicht“ als „Tatort“, mehr äußere Spannung und weniger Psychokisten als gewohnt, kein klassischer Actionfilm, aber es gibt viel Bewegung in und zwischen den Bildern. Die Ausnahmesituation, in der sich die Figuren befinden, vermittelt sich dem Zuschauer hautnah. Da ist viel Anspannung im Spiel, und das Tempo ist hoch. Faber geht zwar ein großes Risiko ein, kann sich bei diesem Mann aber keine allzu großen Provokationen erlauben. Die erste Assoziation, die sich einem zu Beginn seiner gefährlichen Bank-Aktion aufdrängt, Faber sei mehr denn je lebensmüde, erweist sich in der Folgezeit als falsch. „Faber hat Todesangst“, so sieht es sein Darsteller Jörg Hartmann, „seine Todessehnsucht scheint also überwunden zu sein, zumindest ist sie hier nicht größer als seine Lust am Leben.“
Foto: WDR / Frank Dicks
Ein Spannungsthriller, der auf vielen Ebenen überzeugt
Nicht jeder Fall, nicht jedes Verbrechen eignen sich für jede Krimi-Reihe gleichermaßen gut. Diese Geschichte aber ist wie gemacht für das Dortmunder-Quartett. Hohe physische Attraktivität, psychologische Kompetenz und ein breites Spannungsfeld zwischen Teamgeist und überzogenem Individualismus gehören seit jeher zu den Qualitäten des 2012 gestarteten „Tatort“-Ablegers. Auch die Härte dieser Geschichte passt zu einem Team, in dem jeder an seine Grenzen geht, in dem untereinander Tacheles geredet wird und in dem man sich schon mal was auf die Nase gibt. Bisher ermittelten die Vier zunächst in Zweier-Teams, die Jungen und die Alten – bis sich die beiden Alphamännchen mehr und mehr von der Gruppe isolierten. In „Sturm“ wird nun angedeutet, dass sich Daniel Kossik möglicherweise in Richtung LKA Düsseldorf verabschieden könnte; das erzeugt leichte Verstimmung bei den Kolleginnen, wird aber nicht vertieft – der aktuelle Fall lässt dafür keinen Raum. Vier Ermittler heißt in diesem „Tatort“ nicht selten vier Handlungsstränge beziehungsweise vier verschiedene Schauplätze. Die Verknüpfung gelingt vorzüglich – nicht nur dank einer stimmigen Erzähllogik (das Buch schrieben die Genre-Spezialisten Martin Eigler & Sönke Lars Neuwöhner) und einer flüssigen Montage (Knut Hake), sondern auch dank der Handy-Kommunikation, mit deren Hilfe die parallelen Szenen immer wieder spannungssteigernd miteinander kurzgeschlossen werden. Darüber hinaus ergibt sich für den Zuschauer, der weiß, dass dieser zehnte Film der letzte für Stefan Konarske sein wird, der auf eigenen Wunsch aus der Reihe aussteigt, noch eine sehr spezielle Art von Spannung. Regisseur Richard Huber, der für „Dr. Psycho“ 2008 einen Grimme-Preis bekam und zuletzt mit seinen angeschrägten „Tatorten“ mit Tschirner/Ulmen sowie Höfels/Hanczewski/Brambach zum Qualitätssprung der MDR-Beiträge zur Reihe mit beigetragen hat, beweist mit „Sturm“, dass er auch sehr wohl Hochspannungsthriller kann.
Foto: WDR / Frank Dicks
„Es ist eine Geschichte der Grenzerfahrungen. An der Grenze zwischen Nacht und Tag, an der Grenze zwischen Normalität und Irrsinn. An der Grenze zwischen Krimi und Kriegsfilm. Es ist auch für die Kommissare eine Geschichte der Grenzerfahrungen.“ (Martin Eigler und Sönke Lars Neuwöhner)
„Gotteskrieger“, enttäuschte Liebe oder nur Genrefilm?
Auch die Geschichte funktioniert als Geschichte gut. Die Kommissare in der Todeszone, Einzelgänger Faber sogar auf Tuchfühlung mit dem Tod. Immer wieder droht, der Bankangestellte den Knopf zu drücken. Auch die Zeugnisse islamistischer Verirrung kommen ins Spiel – obgleich es zwischenzeitlich nicht klar ist, ob hier sogenannte „Gotteskrieger“ am Werke sind oder ob hier ein enttäuschter Liebhaber den großen Knall inszenieren will. Am Ende hat der Plot dann etliche Wendungen genommen und für einige Überraschungen gesorgt, bevor die Kommissare schwer lädiert aus diesem Fall heraustaumeln, einem Fall, in dem jemand clever den politischen Zeitgeist und die Angst vor dem IS-Terror zum eigenen Vorteil nutzt. Dramaturgisch mussten sich die Autoren Eigler & Neuwöhner allerhand einfallen lassen: Der Krimifall ist übermäßig tricky – für einen Film, der ganz auf die Gesetze des Genres vertraut (und nur in Sachen islamistischer Fanatismus und IS-Rekrutierung nah an der Realität bleibt), kann man sich das aber sehr gut gefallen lassen. (Text-Stand: 8.12.2016)