Tatort – Schweigen

Möhring, Lukas, Lauzemis, Blomberg, Dähnert, Lars Kraume. No religion here today

Foto: NDR / Kai Schulz
Foto Martina Kalweit

Misstrauen hilft. Vor allem, wenn in einer Oase des Friedens das Böse Einzug hält. „Tatort – Schweigen“ (NDR / Nordfilm) begleitet einen Menschen, dem das Misstrauen ins Gesicht geschrieben steht. Statt während einer Auszeit seine Albträume abzuschütteln, gerät Kommissar Falke im Kloster unfreiwillig in die nächsten Ermittlungen. Inhaltlich wie visuell thematisiert der Film von Lars Kraume die Brüche, nein, die tiefen Risse im kirchlichen Glanz. Der Drehort, eine Klosteranlage, dient als Bühne für Menschen, die die Kirche nur kleiner gemacht hat. Es sind gebrochene und gebeugte Gestalten. Der Ungläubige will angesichts ihres Elends nur noch schreien. Bei allem Kirchenschmuck und gedämmten Licht: Machtmissbrauch und Zorn sind die zentralen Themen dieser „Tatort“-Episode, die zwanzigste für Möhrings Falke.

Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring) ist noch wackelig auf den Beinen. Der Tod von Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) hat ihm zugesetzt. Aber Falke im Kloster? Das wirkt befremdend. Soll es nach Ansicht von Stefan Dähnert auch. Wie ein Fremdkörper soll Falke durch diese Welt gehen. Anhand eines aktuellen Falls aus dem Bistum Trier nutzte der „Tatort“-erfahrene Drehbuchautor das System des Schweigens innerhalb der katholischen Kirche als Blaupause für Möhrings zwanzigsten Falke-Fall. Glaubhaft verkörpert er diesen Zweifler, dem es angesichts der Verbrechen, die ein tödlicher Brandanschlag auf den örtlichen Pastor zutage bringen, die Sprache verschlägt. Und der weiß, dass er schreien muss, wo andere nicht ins Sprechen kommen.

Tatort – SchweigenFoto: NDR / Kai Schulz
Top-Besetzung. Hat Domvikar Billing (Sebastian Blomberg) Schuld auf sich geladen? Daniel (Florian Lukas) fordert Antworten.

Die anderen, das sind in den 90 Minuten vor allem Vot-Ort-Kommissarin Eva Pötter, der in sich gekehrte Klosterbesucher Daniel Weinert und Domvikar Billing. Lena Lauzemis (als Gudrun Ensslin in „Wer, wenn nicht wir“, 2011 für den Deutschen Filmpreis nominiert) verkörpert Pötter als blasse Erscheinung mit durchdringendem Blick. Ihre ersten Ermittlungen holen sie bald auch zu Hause beim Tischgebet ein. Den traumatisierten Ex-Ministranten Daniel Weinert mit Florian Lukas zu besetzen, war für Regisseur Lars Kraume („Der vermessene Mensch“, 2023) keine Frage. Tatsächlich funktioniert, worauf Kraume vertraut: Man sieht immer auch das Kind Daniel in dem Gesicht des mittlerweile 51-jährigen Lukas. Wie verloren bewegt er sich durch die Kirchensäle. Anders Sebastian Blomberg (2007 in der Titelrolle von Kraumes mehrfach ausgezeichneten Fernsehfilm „Guten Morgen, Herr Grothe“) als Vikar Billing. Leicht gebeugt und mit hängenden Armen, dabei sich seiner Macht bewusst, schrammt Blomberg elegant an der Karikatur vorbei. Wenn er die Bibel zitiert, klingt das wie akustischer Balsam, und in der Soutane erinnert er an Kollegen, die einst im Kloster Eberbach vor der Kamera standen.

„Tatort – Schweigen“ spielt 200 Kilometer östlich davon in der Eifel. Szenenbildnerin Ina Timmenberg fand dort das leerstehende Trappisten-Kloster Heimbach. Nach Zusage, es als Drehort nutzen zu dürfen, änderte Stefan Dähnert einige Details, um vorhandene Motive in die Erzählung einzubauen. So entstanden Schauplätze, die den Verfall und die Verlorenheit des modernen Menschen in der matten Pracht von einst spiegeln. Ein Seitenflügel wird zum Ermittlungsbüro, ein Kellergang führt unter wackelnden Deckenlampen und blinkenden Neonröhren in die Hölle der aktuellen Ermittlungen. Regisseur Kraume legt akustisch leichten Grusel drunter, untermalt Tristesse mit dunklen Celloklängen, setzt akustische Effekte aber – bis aufs Finale – eher gedimmt ein. Kommissarin Pötter – sonst kontrolliert und emotionslos – wirft im Keller nur einen kurzen Blick auf ein Dia. Sie lässt das Beweisstück fallen, bekreuzigt sich und flüchtet hinaus ins Licht.

Tatort – SchweigenFoto: NDR / Kai Schulz
Starke Unterstützung sowohl für Falke als auch für Wotan Wilke Möhring: die Polizistin Eva Pötter / Lena Lauzemis am Tatort

Licht ist das auffälligste Stilelement in diesem Tatort. Wenn Falke beginnt, die Dias aus dem versteckten Fundus des getöteten Pastors zu sichten, strahlt das Licht des Projektors den Zuschauer direkt an. Kurz darauf lesen wir in seinem Gesicht, was er sieht. Im Hintergrund hängt verlässlich eine Jesusfigur mit tröstender Maria in matten Farben. Da strahlt nichts. Das Licht kehrt erst mit der Nahaufnahme auf das Dia-Karussell des Projektors wieder. Ein Gerät, wie man es nur noch in Hobbykellern oder Kirchenräumen findet. Passend dazu taucht später ein Kassettenrecorder aus den Siebzigern auf. Reliquien einer Kloster-Rumpelkammer. Beim Abhören der Kassetten spiegeln sich die Farben und das Licht des Projektors auf Falkes Gesicht. Der hält das jetzt nicht mehr aus. Es übernimmt die junge Kollegin vom LKA Hannover.

Das Licht ist in diesem „Tatort“ fast immer künstlich. Natürliches Sonnenlicht bleibt außen vor. Im Büro von Billing hinter dicken Gardinen, im „Kinderzimmer“ von Daniel hinter halb heruntergelassenen Jalousien. Wo die Kamera die Kirchenmauern verlässt und andere Räume durchmisst, fällt auf, wie überladen viele Orte sind. Hier noch ein paar alte Kacheln, dort eine verstaubte Salzteigfigur. Das Auge des Betrachters scheint durch die Beladenheit, die hier visuell wie inhaltlich immer präsent ist, sensibilisiert. Man möchte – wie Falke in einer Schlüsselszene – schreien, diese Welt entrümpeln und alles Alte vom Tisch fegen. Genial, wie gut der, Tatortfans sicherlich vertraute Klingelton von Falkes Handy zu diesem Impuls passt. Natürlich setzt Kraume auch die Sympathie für den Teufel als akustisches Stilmittel ein.

So im Reinen mit der Figur des Ermittlers und so einverstanden mit seiner Wut wünscht man diesem Film unwillkürlich ein Quäntchen mehr Furor und Aufruhr. Stattdessen blinzeln drei Menschen nach getaner Arbeit endlich in die Sonne. Und einer geht ganz. Der Zuschauer muss mit dieser Verpuffung leben. Sie nimmt Kraumes „Tatort“ viel von seiner Kraft. Schade. Auf die anschließende Gesprächsrunde über Macht, Missbrauch, Schweigegelübde, viele kluge Dialogsätze und den Einfluss der Kirche auf und in öffentlich-rechtlichen Institutionen warten wir. Sie kommt hoffentlich nach der übernächsten Reform von ARD und Kirche.

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Reihe

NDR

Mit Wotan Wilke Möhring, Lena Lauzemis, Florian Lukas, Sebastian Blomberg, Falilou Seck, Jakob Kraume, Hannes Hellmann

Kamera: Anne Bolick

Szenenbild: Ina Timmerberg

Kostüm: Bettina Weiß

Schnitt: Stefan Blau

Redaktion: Christian Granderath, Patrick Poch

Produktionsfirma: Nordfilm

Produktion: Kerstin Ramcke, Katinka Seidt

Drehbuch: Stefan Dähnert

Regie: Lars Kraume

Quote: 8,51 Mio. Zuschauer (30,7% MA)

EA: 01.12.2024 20:15 Uhr | ARD

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