Es ist das Los des klassischen Serienhelden, dass er nicht aus seiner Haut kann. „Tatort“ ist zwar keine Serie und daher theoretisch variabler, aber das macht sich die Reihe viel zu selten zunutze; erst recht, wenn der ohnehin schon große Druck noch größer wird, weil zum Beispiel die regelmäßigen Quotenrekorde des „Tatorts“ aus Münster den WDR unter Zugzwang stellen. Umso überraschender, dass Sender und Produktionsfirma das Autorenpaar Thorsten Wettcke und Christoph Silber engagiert haben: Unter den rund zwanzig gemeinsamen Arbeiten findet sich zwar eine Vielzahl sehenswerter Filme („Das Wunder von Kärnten“, „Die Wallensteins“), aber keine Komödie; dabei ist doch der hohe Comedy-Anteil für viele Zuschauer der Hauptgrund, die Filme mit dem Duo aus Münster einzuschalten. Die im Rahmen der Einheitsfeierlichkeiten ausgestrahlte Doku-Reihe „Soundtrack Deutschland – Liefers und Prahl ermitteln“ hat allerdings gezeigt, dass dieses Alleinstellungsmerkmal Fluch & Segen zugleich ist: Wie bei jeder Masche stellen sich irgendwann Überdruss-Erscheinungen ein, wenn es Liefers und Prahl mit den gegenseitigen Frotzeleien allzu sehr übertreiben.
Immerhin ist das Duo Wettcke und Silber, Schöpfer des Undercover-Ermittlers Cenk Batu im „Tatort“ aus Hamburg, mit ihrer bislang einzigen Arbeit für die Münsteraner schon einmal die Quadratur des Kreises gelungen: „Zwischen den Ohren“ (2011) war eine todernste Krimi-Komödie und gleichzeitig eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema geschlechtliche Identität. „Schwanensee“ gehört dagegen zu jener Sorte der Krimis aus Münster, die 12 oder 13 Millionen Zuschauer erreichen, ohne sich im Gedächtnis festzusetzen. Dabei hat Regisseur André Erkau, der auch am Drehbuch beteiligt war, mit „Selbstgespräche“, „Arschkalt“ und „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ einige bemerkenswerte Kinofilme gedreht. Aber schon seine erste TV-Arbeit, „Wahre Liebe“ (2014), war ein eher schwächerer „Tatort“ aus Köln. Die Fans von Prahl & Liefers werden „Schwanensee“ vermutlich trotzdem mögen, schließlich beschert die Handlung den beiden Stars genug Szenen, um die Erwartungen zu befriedigen.
Foto: WDR / Willi Weber
Die Geschichte aber hätte mehr verdient als einen Schmunzelkrimi, zumal das Szenario viele Möglichkeiten für subtile oder auch makabre Humoresken geboten hätte: In einer etwas ungewöhnlichen psychiatrischen Einrichtung mit Namen Schwanensee wird eine Frau tot auf dem Grund des Schwimmbeckens gefunden. Nach allerlei Ablenkungsmanövern kommt ans Licht, dass die ausgesprochen attraktive Dame einer großen Sache auf der Spur war; so groß, dass sie ihren Job als VE beim BKA gekündigt hat, um auf eigene Faust zu recherchieren.
Zwischendurch verliert der Film seine Geschichte allerdings mehrfach aus den Augen, weil die Hauptfiguren der Handlung im Weg stehen und die Dialogduelle Thiel/Boerne wichtiger werden als die Mördersuche. Dazu passt, dass die Patienten der Klinik ausnahmslos auf jeweils ein Merkmal reduziert werden; gleiches gilt für das Pflegepersonal. Einzige Figur mit mehr Tiefe ist ein mathematisch hochbegabter Autist, den Robert Gwisdek mit steinerner Miene verkörpert. Viele Szenen wirken jedoch, als hätten auch noch Prahl senior oder Staatsanwältin Klemm ihre Momente bekommen müssen. Gleiches gilt für einige Slapstick-Einlagen von Liefers. Natürlich ist es komisch, wenn der Professor in voller Tauchermontur zu Wagners „Walkürenritt“ durch seine Wohnung patscht, aber im Grunde sind solche Auftritte reine Erwartungserfüllungsgehilfen. Damit kommt Liefers immerhin noch besser weg als sein Kollege: Der muss wenigstens keine plumpen Sexismen von sich geben.
Trotzdem gibt es Dialoge, die großen Spaß machen, allen voran die liebevoll boshaften Gemeinheiten zwischen Boerne und seiner kleinwüchsigen Mitarbeiterin. Viele Einfälle sind originell, allen voran die finale Verfolgungs-„Jagd“ per Tretboot auf dem Aasee. Selbstredend hört Boerne irgendwann auch mal Tschaikowskys „Schwanensee“, aber inhaltliche Parallelen zur Geschichte des Balletts gibt es nicht. Zum Ausgleich gibt es am Ende eine schöne Allegorie, als Boerne die Geschichte jenes schwarzen Schwans erzählt, der sich vor einigen Jahren auf dem Aasee in ein einem weißen Schwan nachempfundenes Tretboot verguckt hat. Sehenswert ist auch die sorgfältige Bildgestaltung durch Gunnar Fuß, weil sie neben hoher handwerklicher Sorgfalt gelegentlich durch besondere Perspektiven erfreut und mit Hilfe des Lichts großen Einfluss auf die Stimmung der Szenen hat. (Text-Stand: 11.10.2015)