Eine Serie von Brandanschlägen mündet in einen Hausbrand mit Todesfolge. Die Frau des Polizeibeamten Bastian Huber (Robert Höller) erliegt ihren Verletzungen. Die Suche nach den Tätern führt ins linksautonome Milieu. Der Staatsschutz in Gestalt des zynischen Hartmut Keiler (Christian Kerepeszki) hat schon längst die Antennen ausgefahren. Jetzt kommen Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz) mit ins Spiel. Beide Seiten sind sich auf Anhieb spinnefeind. Ein Windhund gegen zwei Straßenköter. Während Falke die Opfer der Brandanschläge unter die Lupe nimmt und dabei systematischer Polizeigewalt auf die Spur kommt, wendet sich der Fall für Grosz. Die verdeckt in der linken Szene ermittelnde Ela Erol (Elisabeth Hofmann) meldet sich bei ihr. Nach einem weiteren Hilferuf ist sie plötzlich verschwunden. Einst für kurze Zeit ein Liebespaar, will Grosz ihre ehemalige Mitschülerin von der Polizeischule unbedingt finden. Der Kampf zwischen „Bullen“ und Linksautonomen wandelt sich für sie zum persönlichen Drama. Im Alleingang ermittelt sie ohne Netz und doppelten Boden, nur Falke weiß Bescheid. Das war ja auch schon mal andersrum.
Während der frühere Fall „Tatort – Die goldene Zeit“ parallel zur Krimihandlung von Falkes Vergangenheit als Aktivist auf dem Kiez erzählt, gehört dieser Part in „Schattenleben“ seiner Partnerin. Das hat man Schauspielerin Franziska Weisz schon lange gewünscht und auch zugetraut. „Tatort – Schattenleben“ erlaubt ihr, den Pferdeschwanz zu lösen und die verletzliche Seite ihrer Figur auszuspielen. Eindrücklich sind die Szenen, in denen sie als Julia Grosz die eine Uniform (weißes T-Shirt, modisches Sakko) gegen eine andere tauscht. Für den Tauchgang ins linksextreme Milieu sind Bomberjacke und schwere Stiefel obligatorisch. Dabei absolviert Grosz diese Verwandlung nicht mit professioneller Kälte, sondern mit großen Zweifeln an dem, was sie da tut. Weisz spielt das glaubwürdig und berührend. Als weitere Verbindung zum ersten „Kiez“-Fall des Duos Falke/Grosz tritt die Figur des Thomas Okonjo (Jonathan Kwesi Aikins) auf. Der LKA-Beamte unterstützt Falke bei der Ermittlungsarbeit. Okonjo weiß schon dank seiner Hautfarbe um die rassistischen, gewaltbereiten Kreise innerhalb des Apparats. Kleiner Wehmutstropfen: Während das Drehbuch von Lena Fakler dem linken Milieu an verschiedenen Schauplätzen nachspürt, wird der Korpsgeist bei der Polizei zwar behauptet, aber nicht ausgebaut. Über die Alleinstellung Falkes und die Erfahrungen Okonjos hinaus bleiben die „gewaltbereiten Bullen“ von der Straße weitgehend unsichtbar. Es gibt ein Opfer und einen Täter. Der Spannung hätte es gutgetan, auch dieser Seite mit weiteren Gesichtern und (Hintergrund)-Szenen mehr Gewicht zu geben.
Foto: NDR / O-Young Kwon
Stattdessen konzentriert sich „Tatort – Schattenleben“ auf eine männerfreie linke Szene, in denen Frauen für den Straßenkampf trainieren und um ihren Traum vom friedlichen Miteinander kämpfen. Nach ersten Auseinandersetzungen gewinnt die verdeckt nach der verschwundenen Ela suchende Grosz das Vertrauen von Elas WG-Genossinnen. Unter ihnen gerät vor allem die impulsive Nana (Gina Haller) ins Visier. Einen Mord traut man(n) ihr zu. Etwas anderes erzählen die Szenen, in denen die Kommissarin an Nanas Seite an Aktionen teilnimmt und Party macht. Da wird Nana zum Kind und Grosz zur besorgten Aufpasserin. „Nana, lass das“ versucht Grosz mehrmals einen spontanen Einbruch zu verhindern. Eine etwas merkwürdig anmutende Szene, die mit ihrer musikalischen Untermalung an Spaßguerilla und Tarantino erinnert, dabei aber ein Fremdkörper im sonst braven Erzählfluss bleibt. Vom braven Erzählfluss und dem Klischee von der Feierwut der Linken zeugt die Soli-Party danach. Befreiung im Takt des Stroboskops, Tanz in Neonblau, verbotene Küsse im Rausch. Die taumelnde Kamera fängt die erschöpften Partygänger im Morgengrauen auf dem Nachhauseweg ein. Kamerafrau Zahmarin Wahdat zeigt die wankenden Figuren gern aus leichter Untersicht, unterstreicht damit ihre Haltlosigkeit. Der Subtext dieser Szenen: „Die wollen nur spielen.“ Am Ende der Nacht fällt das Kind Nana dann im wahrsten Sinne des Wortes in den Brunnen. Neben Hamburgs hässlichstem Brunnen und ein paar Kiez-Fassaden (gedreht wurde u.a. in Hamburg-Wilhelmsburg) führt die Suche nach der verschwundenen Ela auch in die Tristesse vor den Toren der Stadt. Was in „Copland“ (USA 97) New Jersey, ist in Hamburg das aus Kiez-Sicht komplett verspießte Pinneberg. Hier verschanzt „Tatort – Schattenleben“ Polizeibeamte in ihren Einfamilienhäusern hinter Butzenscheiben und Plastikfarn. Hier bauen die Männer ihren Frauen einen Pool in den Garten und schotten sich ab. Ob nur spießig oder schon korrupt, ob nur frustriert oder hinter den unauffälligen Backsteinfassaden längst zum Gegenschlag ausholend, das muss Falke während der Ermittlungen bei Elas Mann, dem Polizeibeamten Carsten Maier (kleine Rolle, top gespielt: Konrad Singer) herausfinden. Ohne zu spoilern, Falke findet etwas ganz anderes.
Soundtrack: Perry Como („Papa loves Mambo“), The Cinematic Orchestra feat. Tawiah („Wait for Now / Leave the World“), Lhasa De Sela („Fool`s Gold“)
„Es ist der erste Fall aus der Reihe, der sich ausführlich mit meiner Figur beschäftigt. Der Film ist in gewisser Weise hybrid. Ich spiele hier nicht nur die Kommissarin, sondern auch die Episodenhauptrolle.“ (Franziska Weisz)
Betrachtet man den „Tatort – Schattenleben“ noch einmal unter der Prämisse seiner besonderen Produktionsbedingungen, so überzeugt das unverkrampfte Zusammenspiel vor der Kamera. Hamburg, erst recht der Kiez, bieten dafür ein dankbares Pflaster. Schade wäre allerdings, wenn von nun an alte weiße Männer nur noch dement oder böse sein dürfen und in einer Elbvilla niemals mehr ein Mord geschieht. Die Kunst besteht darin, sinnvolle Quoten einzufordern und die Prämisse einer guten Geschichte und eines spannenden Buchs nicht aus den Augen zu verlieren. Die 1989 in Kabul geborene und im Alter von zwei Jahren nach Hamburg gekommene Kamerafrau Zahmarin Wahdat bekannte kürzlich im Interview, dass sie vor dieser ersten Mainstream-Arbeit nur wenige „Tatorte“ gesehen habe. Ihr Vater liebte Western, ihre Mutter Bollywood. Sie sagte Regisseurin Mia Spengler deshalb im Vorgespräch, dass sei eigentlich nicht ihre Welt. Spengler habe lachend geantwortet, ihre auch nicht. Danach plädierten beide für eine diverse Besetzung vor und hinter der Kamera – und hatten Erfolg. Komplett deutsch besetzt, so Wahdat, sei in nahezu allen Sendeanstalten nur noch die Redaktion. Da müsse man kämpfen und erklären und verplempere viel Energie. Auch ein Klassiker: die Kreativen gegen die Entscheider. Spengler und Wahdat hoffen, auf ihre Art auch andere ZuschauerInnen für das klassische Format „Tatort“ zu begeistern. Ihre erste Zusammenarbeit kann das in der Besetzung einlösen, dürfte Krimifans jedoch enttäuschen. Trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung. Egal wohin man geht: Ein gutes Drehbuch ist ein gutes Drehbuch ist ein gutes Drehbuch. (Text-Stand: 16.5.2022)
Foto: NDR / O-Young Kwon