Der Fall um einen nackten Toten im Wald bereitet Kommissar Thiel (Axel Prahl) Kopfzerbrechen. Seine Erfahrung sagt ihm, dass Johannes Hagen (August Wittgenstein), der smarte Pressesprecher der Münsteraner Polizei, den Bio-Bauern und spirituellen Kopf einer Freiland-Kommune, getötet haben muss. Dieser lebt zwar nach eigener Aussage in einer offenen Beziehung mit seiner Frau Marion (Patrycia Ziolkowska), die aber wusste pikanterweise die Vorzüge des Ermordeten gleichermaßen zu schätzen. Dass der DNA-Abgleich mit einem Fremdhaar an der Leiche nicht das erwünschte Ergebnis erbringt, könnte auch mit einem „kleinen Missgeschick“ zusammenhängen, das Silke Haller (ChrisTine Urspruch) bei der Haar-Probe unterlaufen ist. Aber nicht nur sie plagt ein schlechtes Gewissen. Auch Professor Boerne (Jan Josef Liefers), der wegen Plagiatsvorwürfen seine Reputation gefährdet sieht, steht völlig neben sich und muss im Laufe des Falls sogar selbst an seiner beruflichen Kompetenz zweifeln. Thiels neuer Kollege Schrader (Björn Meyer) hat sich ebenso etwas zu Schulden kommen lassen – unlängst bei seiner Bewerbung. Aber auch sein Chef macht Fehler: So lässt Thiel gleich zu Beginn den Spaziergänger, der die Leiche gefunden hat, sich unbefragt aus dem Staub machen. Wie sich herausstellen wird, handelt es sich bei dem Mann (Nikolai Kinski) um einen Priester. Und der kennt offenbar den Mörder.
Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Ein Fehler kommt selten allein. Im 39. „Tatort“ aus Münster sind die Ermittler und Forensiker weniger souverän als gewohnt und so ergibt sich aus einem Malheur das nächste – woraus dramaturgisch ein Whodunit der etwas anderen Art entsteht. Es kommt aber nicht nur zu einer tragi(kom)ischen Verkettung unglücklicher Ereignisse, sondern dadurch, dass die vier durchgängigen Charaktere der Reihe mit ihrer Profession hadern, ja, dass ihr Selbstwert gehörig leidet, verändern sich die Interaktionen innerhalb des Quartetts grundlegend. Das macht den großen Reiz von „Rhythm and Love“ aus. Jeder wird konfrontiert mit eigenen Unzulänglichkeiten und den möglichen Auswirkungen auf die Karriere. Der wohltuende Nebeneffekt: Drehbuchautorin Elke Schuch hat die Stamm-Crew der Reihe von dem Zwang befreit, die bewährte Figurenkomik – inklusive des üblichen Gefrotzels – zu erfüllen. Schrader und Haller schütten sich ihr Herz aus, sie hören sich zu, stehen einander bei, kommen sich emotional näher, sind einmal mehr als Hiwi und Fußabtreter. Und Boerne und Thiel verbrüdern sich bei einem nächtlichen Saufexzess und sparen dabei nicht an köstlich komischer Selbstkritik („zwei Blindgänger im selben Krieg“, „zwei Nieten an der Hose“, „zwei Würstchen im selben Topf“). So besitzt jede Figur ein – wenn auch komödiantisch überhöhtes – breiteres Gefühlsspektrum als gewohnt. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Tiefe sowohl der Witzgehalte als auch der Situationen, der Szenen, der Bilder.
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Die Buchqualitäten verbinden sich in „Rhythm and Love“ also auch mit dem visuellen Gespür und dem Faible für filmische Atmosphäre von Grimme-Preisträgerin Brigitte Maria Bertele („Grenzgang“, „Begierde – Mord im Zeichen des Zen“, „Die vierte Gewalt“). Melancholisch-poetische Szenen wie diese, in der Schrader und Haller, nachdem es eine weitere Leiche gegeben hat, in der Morgensonne auf dem Bahngleis sitzen und über das Universum philosophieren, gibt es nicht häufig in einem „Tatort“ aus Münster. Auch dass sich zwei aus dem Team spät am Abend zuhause besuchen, um das eigene Gewissen zu erleichtern, sind Szenen, denen Bertele eine große Zärtlichkeit mitgibt, was sehr wohltuend auf die Charaktere abfärbt. Sehen lassen kann sich ebenso eine Szene im Beichtstuhl mit darauffolgender priesterlicher Speichelprobe. Die Szenenkomposition und die Führung der Schauspieler (Besoffene in Komödien sind ja oft peinlich) sind Bertele, die auch bei der Auswahl der Episodendarsteller (Wittgenstein, Ziolkowska, Kinski, Giovanetti) ein gutes Händchen bewies, auch in dem vierminütigen Highlight des Films eindrucksvoll gelungen: Boerne und Thiel nächtens und stockbesoffen am Arbeitsplatz des Gerichtsmediziners; stimmungsvoll das Licht, klare Farben, die Kamera nah an den Männern, und nur die Skelette sind Augenzeugen des skurrilen Treibens. Und sie sind Ohrenzeugen so manch eines seltenen Geständnisses: „Wahrscheinlich bin ich wegen meiner eigenen Inkompetenz nicht mehr in der Lage, meine eigene Inkompetenz zu erkennen“. Auch in zwei Szenen mit Haller darf Boerne überraschend sein Narziss-Image beschämt in Frage stellen: Nicht nur im übertragenen Sinne macht er sich klein („Ich komm‘ runter“) vor seiner Mitarbeiterin und fällt ihr geradewegs zu Füßen.
Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Aus dem Korsett einer Reihe auszubrechen, deren Figuren Typen sind und keine realistisch gezeichneten Charakterbilder wie in anderen „Tatort“-Ablegern, ist ein schweres Unterfangen. Bei den Münsteraner Kollegen ist es nicht damit getan, eine Figur der Reihe zu verändern oder stärker in den Fokus zu rücken (das würde als Fehler im gewohnten „System“ wahrgenommen werden), hier muss man das gesamte narrative Gefüge verändern, um stimmig mit dem Gewohnten zu brechen. Bei bisherigen – nennen wir sie – Break-Episoden des „Tatort“ Münster waren die Verschiebungen im „System“ sehr deutlich: Bei „Das Wunder von Wolbeck“ und „Summ, Summ, Summ“ beispielsweise verschoben sich die Tonlagen ins Poetisch-Verrückte oder Groteske, in „Lakritz“ wurde die Gegenwart mit der Vergangenheit kurzgeschlossen, und in „Limbus“ wurde eine surreale Ebene in die reale Krimihandlung eingezogen. In „Rhythm and Love“ sind die Veränderungen weniger evident, denn sie sind harmonisch in die konkrete Geschichte eingebunden. Autorin Elke Schuch setzt auf ein Motiv, das sich durch die gesamte Handlung zieht: Keiner ist unfehlbar, selbst Boerne, Thiel, Haller und Schrader nicht – und der Zufall ist ein garstiger Geselle. Bleibt noch anzumerken, dass die für die körperliche Lust Trommelnden selbst von Thiel und Boerne nur kurzzeitig belächelt werden. Vielleicht liegt es ja an der aparten, polyamoren Französin (Maelle Giovanetti), die es nicht nur dem Herrn Professor angetan hat. Erfreulicherweise macht sich aber auch das Buch über die tantrische Bauwagen-Kommune noch weniger lustig als diesmal über Boerne & Co.