Elektroschocker, Kabelbinder, Plastiktüte – Tod durch Ersticken. Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) ist bedient: „Wer denkt sich denn sowas aus?!“ Eine unnötig komplizierte Tötungsart, befinden auch Gorniak (Karin Hanczewski) und Winkler (Cornelia Gröschel). Ein syrischer Rettungssanitäter ist das Opfer; der Tat vorausgegangen ist ein Einsatz am Elbufer mit seiner Kollegin Greta Blaschke (Luise Aschenbrenner). Ein ausländerfeindlicher Hintergrund kann ausgeschlossen werden, als ein zweiter Anschlag ein weiteres Opfer fordert. Wieder ein Sanitäter. Und wieder ein Mitarbeiter derselben Wache. Die Angst geht um. Anfeindungen mit tätlichen Übergriffen sind nichts Neues für die Dresdener Rettungskräfte – aber Mord!? Schnabel beschließt, dass künftig nur noch mit Polizeischutz ausgerückt wird. Eine erste Spur ist ein Berufssoldat, der unlängst auf der Wache ausgerastet ist, und auch ein Kollege (Matthias Kelle) der beiden Toten verhält sich verdächtig. Massive Probleme mit der Bewältigung der Morde, aber auch mit ihrem Beruf generell hat Blaschke. Die junge, alleinerziehende Mutter fühlt sich verfolgt. Oder ist sie einfach nur paranoid? Sie braucht Drogen, um abschalten zu können. Es mit Sex zu versuchen, geht reichlich daneben. Jakob (Golo Euler), eine Zufallsbekanntschaft aus der Kita, nimmt ihre Einladung nach Hause zwar an, flüchtet allerdings geschockt, als sie erste Annäherungsversuche macht.
Das „Geheimnis“ hinter den Morden wird in dem MDR-„Tatort – Rettung so nah“ von Isabel Braak („Bonusfamilie“) nach dem Drehbuch von Christoph Busche („Die Diplomatin“) zwar erst am Ende gelüftet, Krimi-erfahrene Zuschauer können allerdings sehr viel früher den Ausgang erahnen. Die Erzählmuster – sprich: deutlich erkennbare falsche Fährten und Tätervarianten – sind bei einem solchen Whodunit seit jeher überschaubar. Wer sich also ein Bisschen überraschen lassen möchte, sollte sich den Blick auf die Besetzungsliste verkneifen. Da sich eine von Anfang an den Täter offen geführte Handlung häufig zu einem Duell auswächst, es dem Autor aber darum ging, „die verschiedenen Facetten der Welt der Rettungssanitäter“ zu beleuchten, hat sich Busche für diese Dramaturgie entschieden. Und auch den Druck, den der Fall auf die Kommissarinnen ausübt, wollte er spürbar machen. So muss beispielsweise Gorniak plötzlich bei den Einsätzen dabei sein. Das ist eine clevere Drehbuch-Idee. Dadurch bekommt man als Zuschauer konkret, physisch und sehr direkt etwas mit von der schwierigen, oftmals gefährlichen Arbeit der Rettungskräfte. So werden quasi Krimi und Themenfilm auf der Handlungsebene kurzgeschlossen, ohne dass die Probleme allein über die Dialoge vermittelt werden. Aber auch die Ratschläge, die die erfahrene alleinerziehende Gorniak der jungen, an sich und der Welt zweifelnden Rettungssanitäterin mit Kind gibt, gehören zu den psychologisch stimmigsten Momenten des Films. Hier geht es um Existentielles, dagegen gehören die „Probleme“ zwischen den Kommissarinnen in die Rubrik typische Krimireihen-Beziehungsmätzchen; auf diese hätte man gut verzichten können.
Gleiches gilt für Leonie Winklers finales Solo und ihre von Cornelia Gröschel deutlich vor sich hergetragene Seelenlast während fast des gesamten Films. Dazu der väterliche Schnabel. Das ist schon alles sehr betulich und befindlichkeitsgeschwängert – pseudo-character-driven. Psychologie für Anfänger bietet auch das Täter-Motiv: menschliches Verhalten als simples Reiz-Reaktions-Prinzip. Dazu eine dramatische und szenische Fall-Auflösung, die man sonst so eher in den ZDF-Krimiserien am Freitag zu sehen bekommt. Dramaturgisch gesehen ist „Rettung so nah“ also eher Krimihausmannskost, wenn man den Film mit den ersten vier gemeinsamen „Tatort“-Episoden des Trios Hanczewski/Gröschel/Brambach vergleicht. Vor allem „Das Nest“ und zuletzt „Parasomnia“ waren Genrefilm-Knaller, die man nicht so schnell vergessen wird. Dem konservativen „Tatort“-Publikum, das den guten alten Ermittler-Krimi bevorzugt, dürfte dieser Film allerdings durchaus Freude bereiten. Denn im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten weiß der Film durchaus zu überzeugen. Außerdem ist es ungleich schwerer, einen guten Themenfilm-Krimi zu machen als einen sehr guten coolen Thriller oder Horrorkrimi. Denn Krimis, die ihre Geschichten aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit holen, unterziehen vornehmlich TV-Kritiker strengeren Glaubwürdigkeitsauflagen. Genre ist dagegen Genre – und da ist, seitdem Netflix & Co den Fokus im Fernsehen in Richtung kinohafte Fiktionalisierung verschoben haben – heute auch hierzulande sehr viel mehr erlaubt.
Sieht man einmal von dem schalen Beigeschmack der schlichten Krimi-Auflösung ab, haben die Macher einiges richtig gut gemacht. Da ist das Thema und wie es Autor Busche behandelt: stets bemüht, die Lamentos der Sanitäter sich nicht verselbstständigen zu lassen, sondern sie in die Befragungen zu integrieren oder sie in Handlung aufgehen zu lassen. Auch Regisseurin Isabel Braak und ihre beiden Editoren Andreas Baltschun und Matti Falkenberg verstehen es, mit Hilfe von häufigen Szenenwechseln und expliziten Parallelmontagen Tempo zu machen und den Zuschauer in Anspannung zu versetzen, auch wenn die objektive Spannung bisweilen gar nicht so groß sein mag. In eine ähnliche Richtung arbeitet auch der starke Electroscore von Dürbeck & Dohmen, der mal mit schweren Basslinien physisch spürbar Dynamik ins Spiel bringt, mal die gestörte Sinneswahrnehmung der jungen Sanitäterin wirkungsvoll spiegelt. Von dieser Episodenhauptfigur hätte man sich im Übrigen noch ein paar Szenen mehr gewünscht: Die theatererfahrene Luise Aschenbrenner vermittelt mit wenig Worten und einem angenehm zurückgenommenen Spiel die ganze Bandbreite der Ängste, die ihre Figur immer wieder heimsuchen. Diese traumatisierte Frau liefert das nötige Gegengewicht zu der mitunter etwas knalligen Inszenierung. Ähnlich überzeugend auch Golo Euler – und Hanczewski & Co sind so gut, wie das, was ihnen Busche ins Drehbuch dieser Episode geschrieben hat. Fazit: kein Wow-Genreschocker wie zuletzt, aber ein guter Gebrauchskrimi. (Text-Stand: 10.1.2021)