Tatort – Querschläger

Peschel, Weisz, Möhring, Oke Stielow, Stephan Rick. Kein simples Gut-Böse-Schema

Foto: NDR / Christine Schroeder
Foto Thomas Gehringer

Milan Peschel als verzweifelter Vater, der alles tut, um seine sterbende Tochter zu retten: Der NDR-„Tatort – Querschläger“ ist ein emotionales Krimidrama ohne richtigen Bösewicht. Neben der starken Hauptfigur mangelt es zwar an weiteren, ähnlich vielschichtigen Charakteren und ein wenig auch an Hochspannung, dafür wird die kollegiale Partnerschaft zwischen Falke und Grosz und das entspannte Zusammenspiel zwischen Franziska Weisz und Wotan Wilke Möhring behutsam & unterhaltsam weiterentwickelt. Für Oke Stielow (Buch) & Stephan Rick (Regie) ist dieser Krimi mit sozialkritischem Einschlag ihr „Tatort“-Debüt.

Bei einer Lkw-Kontrolle des Zolls auf einem Autobahn-Parkplatz fallen plötzlich Schüsse. Eine Kugel prallt von einem Reifen ab und trifft einen unbeteiligten Fahrer tödlich. Praktischer Weise sieht das Drehbuch die Anwesenheit der Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) vor, was die üblichen Szenen der Anreise zum Tatort erspart. Offenbar hatte es der Täter, der sich auf einer bewaldeten Anhöhe verbarg, auf den Lkw von Efe Aksoy (Deniz Arora) abgesehen. Grosz nimmt vergeblich die Verfolgung auf, Falke versucht ebenso erfolglos, das Leben des Betroffenen zu retten. Das namenlose Opfer spielt in der Geschichte weiter keine Rolle, in einem Nebensatz erfährt man nur, dass er zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren hinterließ. Es wäre vielleicht angemessen gewesen, die tragische Reichweite der Tat mit ihren zwar unbeabsichtigten, aber in Kauf genommenen Folgen wenigstens ein kleines Stück weit ebenfalls zu erzählen, etwa durch eine Szene mit den Angehörigen – zumal die Aufmerksamkeit ansonsten ganz auf die ebenfalls tragische Familiengeschichte des Todesschützen gerichtet ist. Das Opfer ist hier nur ein „Kollateralschaden“, und so lautete auch der Arbeitstitel des Films.

Tatort – QuerschlägerFoto: NDR / Christine Schroeder
Gehen in Deckung: Julia Grosz (Franziska Weisz) & Falke (Wotan Wilke Möhring). Das Duo wächst zusammen und ist das Beste an diesem etwas konfusen Krimi. Deniz Arora

Mit Milan Peschel in der Hauptrolle ist diese „Tatort“-Folge freilich erstklassig besetzt. Der Schauspieler, der so unnachahmlich unterschätzte Verlierertypen und tragikomische Figuren spielen kann, gibt hier sehr ernsthaft und überzeugend einen liebevollen und von Verzweiflung getriebenen Vater, der für seine sterbenskranke Tochter über Leichen geht. Die Zuschauer sind den Kommissaren bis zur Mitte des Films voraus, wissen, dass Steffen Thewes (Milan Peschel) die Schüsse abgegeben hat, dass er und seine Frau Marie (Oana Solomon) im Netz einen Spendenaufruf für ihre erkrankte Tochter Sara (Charlotte Lorenzen) gestartet haben und dass Thewes von Efes großem Bruder Cem, genannt Jimmy (Eray Egilmez), dem die Spedition gehört, Geld erpresst. Zugleich werden erst durch die Ermittlungen von Falke und Grosz die Hintergründe klarer. Die Kommissare suchen den verantwortlichen Ermittler beim Zoll auf, der einst gegen Aksoy wegen illegaler Abfalltransporte ermittelt hat – und landen bei Thewes. Der gerät unter Druck, weil er das in Deutschland nicht zugelassene Schmerzmittel bei der Flucht vom Tatort verloren hat, aber vor allem weil er innerhalb von drei Tagen das Geld für eine lebensrettende Operation Saras in den USA beschaffen muss. Als die Erpressung im ersten Versuch scheitert und Spediteur Aksoy kein Geld, sondern nur Zeitungsschnipsel in die Tasche zur Übergabe packt, wird die Situation für Thewes  immer verzweifelter.

Dem Vater wünscht man als Zuschauer viel Glück, dem Erpresser vielleicht auch noch, zugleich ist Thewes unstrittig der Täter, der, wenn auch unabsichtlich, einen Mann auf dem Gewissen hat. So bringt der Film sein Publikum in einen moralischen Zwiespalt, was ja eine bewährte Krimi-Methode ist, solange man nicht die Welt in ein simples Gut-Böse-Schema pressen will. Um Aufklärung geht es hier weniger, offen bleibt vorerst nur, wer der Komplize ist, mit dem Thewes ab und zu telefoniert. Als erster Kandidat bietet sich Aksoys erzürnter Schwiegervater Roland „Rolle“ Rober (Rudolf Danielewicz) an, der selbst eine Spedition betreibt und dem der Ehemann der eigenen Tochter gerne mal die Kunden wegschnappt. Spannend sind hier vornehmlich die Fragen, wie viel Unheil Thewes auf seinem Feldzug noch anrichtet, ehe die Polizei ihn stoppt, und ob es gelingt, trotzdem eine Lebensperspektive für die Tochter zu finden. Sara leidet an einer Hals-Wirbelsäulen-Instabilität, und dass Menschen, die auf eine OP in den USA angewiesen sind, kein Geld von der Krankenkasse erhalten, entspricht offenbar der Realität.

Tatort – QuerschlägerFoto: NDR / Christine Schroeder
Kommissarin Julia Grosz (Franziska Weisz) ist schockiert: Ist der Tote ein weiteres Opfer des Snipers?

Regisseur Stephan Rick inszeniert „Querschläger“ nicht mit schepperndem Pathos, aber etwas plakativ gerät die sozialkritische Note doch. Jimmy Aksoy entspricht zwar keineswegs dem Klischee vom Boss einer kriminellen Familienbande mit ausländischen Wurzeln. Allerdings lebt er sein Bilderbuch-Familienleben mit Frau und zwei Kindern auffällig opulent in einer großzügigen Villa mit weiträumigem Garten. Im Keller versteckt er eine sechsstellige Summe Bargeld aus illegalen Transporten, während der – bis zur Erkrankung seiner Tochter – brave Zollbeamte Thewes in einer bescheidenen Wohnung lebt und nicht weiß, wie er das Geld für die OP zusammenbekommen soll. Und damit dieses durchaus offensichtliche Ungleichgewicht auch jeder versteht, muss Thewes das noch mal erläutern. Er habe doch immer Steuern gezahlt und sich ans Gesetz gehalten, sagt er, „aber Typen wie Aksoy…“ Allerdings kann der an illegalen Transporten verdienende Spediteur weder etwas für die Erkrankung von Thewes‘ Tochter noch für das deutsche Gesundheitssystem. In der Botschaft des Films schwingt also ein leicht müffelnder Populismus mit.

Überzeugender ist, wie Rick und Drehbuch-Autor Oke Stielow die Ermittlerfiguren weiterentwickeln. Wotan Wilke Möhring gönnen sie einige Szenen, die den empathischen Kern des rauen „Straßenbullen“ Falke kenntlich machen. „Bin voll der Emo“, behauptet er ironisch, aber das Vier-Augen-Gespräch mit Sara und Falkes Fürsorge für den eigenen, bekifften Sohn Torben (Levin Liam) sind tatsächlich unprätentiös inszenierte, bewegende Momente. Julia Grosz wiederum wird von einer Polizeikollegin angebaggert. Sie reagiert irritiert, aber scheint jedenfalls den Avancen von Tine Geissler (Marie Rosa Tietjen) auch nicht völlig abgeneigt zu sein. Der Flirt zwischen den beiden Frauen bleibt schön in der Schwebe, wird hier auch weder als etwas „Abnormales“ erzählt noch problematisiert, etwa durch Mobbing innerhalb der Polizei. Auch Falke nimmt die – rein platonische – Annäherung von Julia und Tine recht gelassen, aber nicht desinteressiert zur Kenntnis. Das berufliche Zusammenspiel der beiden Ermittler wirkt bisweilen distanziert und spröde, doch Falke und Grosz sind eigenständige, eigenwillige Figuren, die nicht in ein starres Charakter-Schema gepresst werden. Und die Folge „Querschläger“, begleitet ab und zu von dem erfrischenden Indie-Sound von Giant Rooks, eröffnet weitere Spielräume. (Text-Stand: 11.11.2019)

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Reihe

NDR

Mit Milan Peschel, Franziska Weisz, Wotan Wilke Möhring, Marie Rosa Tietjen, Deniz Arora, Eray Egilmez, Rudolf Danielewicz, Levin Liam, Charlotte Lorenzen, Oana Solomon, Ramin Yazdani

Kamera: Felix Cramer

Szenenbild: Tim Tamke

Kostüm: Rike Russig

Schnitt: Florian Drechsler

Musik: Stefan Schulzki

Redaktion: Donald Kraemer

Produktionsfirma: Wüste Medien

Produktion: Björn Vosgerau, Uwe Kolbe

Drehbuch: Oke Stielow

Regie: Stephan Rick

Quote: 9,14 Mio. Zuschauer (26,2% MA); Wh. (2021): 5,82 Mio. (20,4% MA)

EA: 01.12.2019 20:15 Uhr | ARD

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