Tatort – Pyramide

Behrendt, Bär, Israel, Nolting & Scharf, Rolfes. Jeder ist seines Unglücks Schmied

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Tilmann P. Gangloff

Dieser „Tatort“ aus Köln (WDR / Bavaria Fiction) ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie sich ein eher untypisches Krimithema fesselnd verarbeiten lässt: Ein braver junger Mann hat sich von der Aussicht auf schnelles Geld verführen lassen und arbeitet nun für einen sogenannten Strukturvertrieb, der vom Verkauf windiger Wertpapiere lebt. Mit Rouven Israel ist diese Rolle bestens besetzt. Robin Sondermann als Chef der titelgebenden Pyramide ist zwar alles andere als ein „Wolf of Wall Street“, aber in den Szenen mit den Kölner Kommissaren legt er die nötige Teflonschicht-Arroganz an den Tag. Zum Krimi wird die Geschichte dieses mit klarem Kamerakonzept inszenierten Films, weil ein Anwalt für Verbraucherschutz erschlagen worden ist; der Jurist hatte eine Sammel-Klage gegen das Unternehmen vorbereitet. Reizvoll ist auch die geschickte Rückblendenstruktur.

Das System ist perfide und funktioniert ganz einfach. Da es die Aussicht auf raschen Reichtum verspricht, finden sich auch immer wieder Menschen, die bereit sind, ihre Seele zu verkaufen. André Stamm zum Beispiel, angehender Familienvater, würde seiner Frau gern eine größere Wohnung bieten. Als ihm ein früherer Bundeswehrkamerad vorschlägt, Kollege beim Strukturvertrieb „Concreta“ zu werden, und André gleich beim ersten Verkaufsgespräch einen Abschluss erzielt, lässt er angesichts der satten Provision alle Bedenken fahren; selbst wenn er einen Teil dem Chef abgeben muss. Aber die „kalte Akquise“ ist ein mühsames Geschäft. Verwandte und Freunde zu überreden, ihr Erspartes in windige Kapitalanlagen zu investieren, ist viel einfacher, erst recht, wenn man eine fabelhafte Rendite verspricht. Irgendwann ist dieser Personenkreis jedoch abgegrast, und der Schneeball kommt ins Rollen. André wirbt Menschen an, die ähnlich wie er große Träume haben: Sie erledigen den gleichen Job, doch nun kassiert er einen Anteil ihrer Umsätze; bis die Kurse abstürzen und die Blase platzt. Profit machen bei einer Vertriebspyramide am Ende nur die Personen an der Spitze.

Tatort – PyramideFoto: WDR / Thomas Kost
Gewinner-Typen. „Concreta“-Chef Christopher Komann (Robin Sondermann) feiert seinen besten Mitarbeiter Robert „Rocko“ Andersen (Oleg Tikhomirov). Doch irgendwann stürzen die Kurse ab, und Gewinner sind nur die Köpfe der Pyramide.

Rouven Israel ist eine ausgezeichnete Besetzung für den braven André. Auf die Idee, dass das Geschäftsmodell nicht sauber sein könnte, kommt der junge Mann gar nicht erst, zumal er auch eigenes Geld in die riskanten Wertpapiere investiert hat. ARD und ZDF haben Geschichten dieser Art schon öfter erzählt, alle liefen auf die Erkenntnis „Gier frisst Hirn“ hinaus, wahlweise auch „Gier frisst Herz“, wie 2018 der Titelzusatz von Raymond Leys Dokudrama „Lehman“ über die Folgen der Bankenpleite für die Kleinanleger lautete. In den meisten dieser Filme waren die Hauptfiguren wie in diesem „Tatort“ die verführten Verführer. Die Frage ist bloß: Wie wird aus diesem Stoff ein Krimi? Das erfahrene Autorenduo Arne Scharf und Martin Nolting, mehrfach ausgezeichnet für die Vox-Serie „Club der roten Bänder“ (2015) und Schöpfer vieler sehenswerter Reihenkrimis, setzt gleich mit den ersten Bildern einer entführten Frau einen entsprechenden Akzent. Dann beginnt André zu erzählen, was ihm widerfahren ist. Die nun folgenden episodischen Rückblenden sind auch durch die Kapitelüberschriften („Verführung“, „Versuchung“, „Habgier“ etc.) so geschickt konzipiert, dass nicht zuletzt dank der elektronischen Thrillermusik (Philipp Thimm) eine unmittelbare Spannung entsteht, die der Film durchgehend halten wird.

Interessant ist zudem das Lichtkonzept (Bildgestaltung: Mathias Prause). Die verschiedenen Schauplätze sind von jeweils unterschiedlicher Atmosphäre geprägt: Die Kanzlei eines Anwalts für Verbraucherschutz erscheint in freundlichen hellen Brauntönen, die Räume der „Concreta“ wirken kühl, die Befragungsszenen mit André sind düster. Regisseurin Charlotte Rolfes hat bislang überwiegend Serienepisoden gedreht, aber zuletzt mit „Wer wir sind“ (2023) gezeigt, wozu sie in der Lage ist. In der ARD-Serie mit Lea Drinda geht es um eine jugendliche Öko-Gruppe, die sich angesichts der Tatenlosigkeit ihrer Elterngeneration radikalisiert. André macht eine ähnliche Entwicklung durch, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Zunächst schlägt die Handlung jedoch einen gänzlich unerwarteten Haken: Ausgerechnet Rocko (Oleg Tikhomirov), der Überflieger, der André angeworben hat, bedroht den „Concreta“-Chef Christopher Komann (Robin Sondermann) aus heiterem Himmel mit einer Pistole und will ihn zwingen, öffentlich zuzugeben, dass das Geschäftsmodell ein einziger großer Schwindel ist.

Tatort – PyramideFoto: WDR / Thomas Kost
Lagebesprechung in der Mordkommission: Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), Norbert Jütte (Roland Riebesling), Natalie Förster (Tinka Fürst) und Freddy Schenk (Dietmar Bär). In den letzten Jahren wurde auch in Köln am Kommissariats-Look gearbeitet.

Tikhomirov ist mit seiner kantigen Attraktivität eine ähnlich gute Wahl wie Israel, er verkörpert den Blender ebenso glaubwürdig wie die zunehmende Verzweiflung eines Ehemanns, der um das Leben seiner entführten Gattin (Sophie Pfennigstorf) kämpft. Die Suche nach der Frau ist so clever erzählt, dass ein Mord fast zur Nebensache wird: Der Anwalt ist erschlagen worden, er hatte eine Sammelklage gegen das Unternehmen initiiert; und natürlich gehört Komann zu den Hauptverdächtigen. Sondermanns Rolle weckt fast zwangsläufig Assoziationen zu Wall-Street-Kinogrößen wie Gordon Gecko und Jordan Belfort, aber der Schauspieler ist eher Mark Zuckerberg als Michael Douglas oder Leonardo DiCaprio. Wenn Komanns Leute während einer einpeitschend gemeinten Ansprache in frenetischen Jubel ausbrechen, mutet das prompt völlig übertrieben an. Überzeugender sind die Szenen, in denen Sondermann seine Wirkung mit Zwischentönen erzielt und Komann das Ermittlerduo (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär) kühl an seiner Teflonschicht abtropfen lässt.

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Rouven Israel, Robin Sondermann, Oleg Tikhomirov Tinka Fürst, Roland Riebeling, Roxana Samadi, Caro Cult, Kasem Hoxha, Sophie Pfennigstorf, Renan Demirkan

Kamera: Mathias Prause

Szenenbild: Christiane Schmid

Kostüm: Holger Büscher

Schnitt: Ramin Sabeti

Musik: Philipp Timm

Redaktion: Götz Bolten

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Jan Kruse

Drehbuch: Arne Nolting, Jan Martin Scharf

Regie: Charlotte Rolfes

Quote: 9,10 Mio. Zuschauer (28,4% MA)

EA: 14.01.2024 20:15 Uhr | ARD

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