„Ich habe immer ein klammes Gefühl, wenn es um Kindstörungen geht, weil ich auch selbst Familienvater bin“, sagt der Regisseur Niki Stein. In dem neuen Charlotte-Lindholm-„Tatort: Pauline“ wird ein 12-jähriges Mädchen am Tag nach einem feuchtfröhlichen Feuerwehrball in einem kleinen niedersächsischen Dorf tot aufgefunden. Für die Autorin Martina Mouchot und den Regisseur war es selbstverständlich, dass der Mord im Film nicht zu sehen ist. „Gewalt gegen Kinder sollte man im Grunde gar nicht im Fernsehen zeigen“, betont Stein. „Ich finde es bereits schlimm, wenn in Filmen und Serien zu sehen ist, wie Kinder bedroht werden.“
Eine Vergewaltigung ist nicht festzustellen, aber es wurde durchaus Gewalt angewendet. Außerdem ist die Tote keine Jungfrau mehr. Für die im wahrsten Sinne des Wortes verschnupfte Charlotte Lindholm heißt es also: Ermitteln gegen ein ganzes Dorf. „Überall zähflüssige Normalität“, konstatiert die kühle Blonde, der eine Dorfpolizistin versucht, die seltsamen Gepflogenheiten der Bewohner näher zu bringen. Von der LKA-Frau aus Hannover erntet sie freilich nur Kopfschütteln ob ihrer Naivität und Blauäugigkeit. Mögliche Täter macht Lindholm gleich reihenweise aus. Außerdem nervt WG-Genosse Martin gehörig, aber auch der Ehemann der Dorfpolizistin, Pastor noch dazu, der die Kommissarin ständig umflirtet.
Niki Stein kann offenbar ohne „Tatort“ nicht sein. Vor zehn Jahren entwickelte er das WDR-Duo Ballauf und Schenk, fünf Jahre später war er beim Hessischen Rundfunk zur Stelle, um die Konzeption und die ersten drei Fälle von Sänger und Dellwo alias Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf auszutüfteln. Mit „Pauline“ gibt er sein Debüt im Norden. Und das kann sich sehen lassen. Der Film malt ein eindrucksvolles Stimmungsbild eines Dorfes. Regen, Schnee, tief hängende Wolken und Seelen auf Halbmast. „Was macht ein Kindstod mit einem Dorf, mit einer Gemeinschaft?“, diese Frage, so Stein, stehe im Zentrum des Films. „Dieser Tod reißt Gräben auf, er zerstört gewachsene Beziehungen, aber er hat auch etwas Reinigendes.“ Selten sieht man in Krimis, was ein Tod bewirken, was er anrichten kann. Bei der Suche nach dem Täter, bleiben die, die weiterleben müssen, meist auf der Strecke.
Der Name Niki Stein und das außergewöhnliche Drehbuch haben Schauspieler der ersten Garde „anbeißen“ lassen. Wann sieht man schon mal Corinna Harfouch als Ex-Bäuerin, die sich als Putzfrau durchschlagen muss? Grandios gut ist der Theaterschauspieler Martin Wuttke, dessen wortkarger Pleitebauer nur ein Mal so richtig explodieren darf. Auch immer eine sichere Bank in Sachen intensives, glaubhaftes Spiel: Johanna Gastdorf, Wotan Wilke Möhring und Anna Maria Mühe. Und dieser „Tatort“ hält am Ende auch das, was Stab und Besetzung versprechen. (Text-Stand: 24.9.2006)