Nacht. Ein Tankstellenbesitzer liegt in seinem Blut. Kopfschuss. Eine Frau steht daneben, mit einer Pistole in der Hand. „Geh nach Hause, Mama, geh’ einfach“, redet ein junger Mann auf die verstörte Frau ein… Der Junge ist Max Lange. Er wohnt mit seinen Eltern im Haus vis-à-vis von der Tankstelle. Seine Mutter Sylvia ist das Sorgenkind der Familie. Der Sohn versucht, die kranke Frau vor der Polizei abzuschirmen, doch die an Phobien und einer handfesten Psychose leidende Frau lässt sich nicht beirren. „Ich helfe der Wahrheit zum Durchbruch“, sagt sie. Würden Inga Lürsen und Kollege Stedefreund sie nur nicht so schwer verstehen! Sylvia Lange redet in wirren Metaphern. Auf die Idee, dass sie etwas mit dem Mord zu tun haben könnte, kommt die Kommissarin nicht. Sie glaubt vielmehr, dass die psychisch kranke Frau etwas gesehen hat. Oder bildet sie sich diese Verschwörungen nur ein?
Claudia Prietzel über die Psychologie des Films:
„Der Versuch, in die Welt einer an paranoider Schizophrenie erkrankten Person zu treten und zu versuchen, zu verstehen, wie der Bezug zur Welt langsam verloren geht, war sehr faszinierend. Wie nicht nur die Sprache anfängt, sich aufzulösen, wie die ganze Ordnung der Welt aus den Fugen gerät.“
Ein seltsames Verbrechen. Ein brutaler Mord. Die Augen liebevoll zugedrückt. Die hohe Geldsumme in der geöffneten Kasse nicht angerührt. Der Zuschauer weiß von Anfang an etwas mehr als die Ermittler. Aber so richtig hilft es auch nicht weiter. Das Augenmerk richtet sich zunehmend auf die Seelenlage der Episoden-Hauptfigur, die alles im Blick zu haben scheint, die im Chaos ihrer ungeordneten Eindrücke zu ertrinken und die ihre völlig überforderte Familie mitzureißen droht. Welche Botschaften versteckt diese Frau in ihren verqueren Sätzen? „Ich höre sehr sensibel. Meine Ohren sind Lautsprecher. Man sagt immer, die Notstandshilfe hält Gefahren ab. Wer bewacht die Tankstelle? Außer mir ist niemand hier. Es gibt Gefahr. Ich mach uns Tee.“ Seltsam! Nicht nur die Kommissare wundern sich.
Peter Henning über paranoide Schizophrenie im „Tatort“:
„90 Minuten nur mit einer deformierten, klaustrophobischen Situation konfrontiert zu sein, ist sehr anstrengend. Wenn der Zuschauer aber über den Kommissar in eine solche Familie hineingerät, nimmt das den Zuschauer viel sanfter mit rein, macht ihn auch neugieriger – und er hat nicht das Gefühl, die ganze Zeit deprimiert sein zu müssen.“
So befremdlich dieser familiäre Mikrokosmos als Basis für einen „Tatort“ auch sein mag, „Ordnung im Lot“ führt uns in eine chiffrierte Welt, die (nach einer Eingewöhnungsphase) äußerst faszinierend ist. Passend zum „Milieu“, zum Thema, sorgt auch die Darstellungsweise für einiges Befremden. Ungewohnte Perspektiven, seltsam kadrierte Bilder, eine überaus bemerkenswerte Filmmusik (Score: Andreas Weiser), die einen eigenen Kosmos der Befremdlichkeit aufbaut. Und dann ist da die Theaterschauspielerin Mira Partecke, die eine grandiose Performance abliefert, welche das Genre sprengen mag und sicher viele „Tatort“-Zuschauer ratlos zurücklassen wird. Dieses dadaeske Zeugnis verbalen Wahnsinns legt eine mindestens so nachhaltige Spur durch das Geschehen wie der eigentliche Krimi-Fall, der passend verhalten aufgelöst wird und im Drama ausklingt. (Text-Stand: 21.1.2012)