In einem Partykeller liegt ein Toter, mit einem Skalpell grausam zugerichtet. Daneben sitzt die Täterin: Evelyn Kohnai (Luisa-Céline Gaffron), eine junge Frau, das Gesicht blutverschmiert, regungslos und stumm – erst als Kommissar Faber (Jörg Hartmann) am Tatort auftaucht, wird sie gesprächiger. Zeitgleich wird der Frau des jungen Kollegen Jan Pawlak (Rick Okon) eine Überdosis verabreicht – und Mia, die fünfjährige Tochter der beiden, gekidnappt. Wenig später findet Faber ein Foto des Mädchens auf seinem Schreibtisch. Auf einem Überwachungsvideo, aufgezeichnet im Polizeipräsidium, erkennt er Markus Graf (Florian Bartholomäi), seinen Erzfeind, der vor Jahren mit dem Mord an Fabers Liebsten Rache dafür nahm, dass der Kommissar seinen Vater hinter Gittern brachte. Auch Graf Junior saß wegen Mordes im Gefängnis, konnte aber entkommen. Jetzt ist er wieder da und will seinen Rachefeldzug zu Ende bringen: Fabers Tod gegen Mias Leben. Dabei helfen soll ihm Evelyn Kohnai. Der Mann, den sie getötet hat, ist ein alter Freund ihres Vaters; sie wurde von beiden als Kind missbraucht. Auch Markus Graf hat dieselben sexuellen Vorlieben, bei ihm müssen die Mädchen nur etwas älter sein. Seit wann kennt er Evelyn? Und was bringt ihr der Deal? Die Zeit drängt – denn Mia wird bei einer Versteigerung im Darknet zum Verkauf angeboten.
Es ist es schon gewagt, Kindesmissbrauch und Pädophilen-Community, Themen, die letztes Jahr in Nordrhein-Westfalen mit den Fällen von Lügde und Bergisch-Gladbach die Öffentlichkeit erschütterten, mit einer vergleichsweise belanglosen Fiction-Spielerei wie der Psycho-Rache-Räuberpistole um den Dauerbösewicht und Faber-Gegenspieler Markus Graf in eine „Tatort“-Episode zu zwingen. Was die narrative Konstruktion von „Monster“ angeht, dem fünfzehnten Fall des Dortmunder Teams, ist das zumindest nicht unplausibel; schließlich haben der zu Beginn des Films Ermordete und Graf ähnliche abnorme Neigungen. Diese Thema-Figuren-Kopplung ermöglichte es Drehbuchautor Jürgen Werner außerdem, den entwürdigenden Weg eines als Kind von seinen Nächsten missbrauchten Mädchens zur erwachsenen Frau nachzuzeichnen – und damit den Fokus auf das Opfer zu richten; ein Opfer, das allerdings im Laufe seines kaputten Lebens selbst zum Täter wird. Auch hat man hier nicht den Eindruck, dass der Krimi das schwer zu ertragende Drama mit seinem extremen Emotionspotenzial zur Unterhaltung nötige, noch dass das Thema das Genre missbrauche.
Maßgeblich verantwortlich für das gute Gelingen dieses brisanten WDR-„Tatorts“ ist Torsten C. Fischers angenehm zurückhaltende Inszenierung. Die Missbrauchssituation wird in den Bildern nur ein, zwei Mal angedeutet: ein Junge in dem Partykeller, der später Tatort wird; ein verstörtes, zitterndes Kind in einem abgedunkelten Raum. Regisseur wie Autor verlassen sich vielmehr auf das gesprochene Wort. Eine kluge Entscheidung: denn das, was da die Opfer-Täterin Faber erzählt, ist nicht nur die unfassbare Geschichte aus der realen Welt des Kinderhandels, sondern diese Aussagen sind auch hilfreich für die Ermittlungen gegen Graf und den Hauptdrahtzieher des Pädophilen-Rings. Diese Szenen im Verhörraum haben etwas Beunruhigendes. „Das Mädchen in dem Video, das verkauft wird, das werden Sie nicht finden“, prophezeit Evelyn Kohnai. „Weil ich das selbst erlebt habe.“ Jeder Satz klingt nach, weil die Schauspieler ausreichend Pausen lassen. Schon zu Beginn des Films sieht man die Kommissare immer wieder schweigen. Sie werfen sich vielsagende Blicke zu, machen große Augen, als ihnen die Auktions-Bilder der kleinen Mia zugespielt werden. Vor allem Bönisch (Anna Schudt) sitzt später immer wieder wie paralysiert vor ihrem PC-Monitor.
Das dritte Aufeinandertreffen von Faber und Graf besitzt eine andere Dynamik als die bisherigen in den Episoden „Auf ewig Dein“ und „Tollwut“. Das ist sicherlich zum einen dem von Bönisch forcierten veränderten Team-Konzept geschuldet, das nicht mehr dem einer hochgradig dysfunktionalen Familie gleicht, und zum anderen der Tatsache, dass „Monster“ unter dem Motto „aller guten Dinge sind drei“ der Schlusspunkt dieser Männerfeindschaft ist: So gibt es nur im ersten Drittel einen Alleingang von Faber, ein Treffen mit seinem Todfeind wie schon einmal auf dem Dach eines Hochhauses. Eine Sequenz voller Psycho-Thrill und Krimispannung. Danach ist Faber lädiert und muss sich – auch um seine Haut zu retten – auf das Verhör der Kinderschänder-Rächerin konzentrieren. Aus dem Zweikampf wird also ein Dreieck, und Graf ward bis zum angenehm unspektakulären Showdown nicht mehr gesehen.
Wie meistens im „Tatort“ und wie immer im Ableger aus Dortmund wird die Geschichte in „Monster“ aus der Perspektive der Kommissare erzählt. In diesem Fall geht damit eine persönliche Betroffenheit einher, die bei Faber allerdings nicht mehr wie früher zu einem Kamikaze-Verhalten führt. Pawlak hingegen neigt anfangs zu Überreaktionen – und wittert bei einer Befragung hinter einem liebevollen Vater intuitiv einen Täter. Diese Subjektivität der Ermittler sorgt für eine zunehmende Emotionalisierung. Regisseur Fischer tut gut daran, das Erregungsniveau nicht noch weiter zu steigern; seine Erzählweise hält vielmehr dagegen. Sein Inszenierungsstil sorgt immer wieder für die Distanz, die für das Thema Kindesmissbrauch angemessen ist: Dabei setzt er des Öfteren auf die Montage statischer Einzelbilder, die er beziehungsweise Cutterin Dora Vajda assoziationsreich wiederholt. Das erzeugt Atmosphäre und den nötigen Abstand zum Geschehen. Und das bedeutet: Zeit zum Nachdenken. So bietet sich für den Betrachter die Möglichkeit, dass diese Tragödie über das Ende hinaus nachwirkt.