Ein Finger, eine Leiche & ein Berlinale-Film, der mehr weiß als die Kommissare
Ein abgetrennter Frauenfinger, verschickt mit der Post, landet auf dem Schreibtisch von Robert Karow (Mark Waschke). Wenig später finden er und Nina Rubin (Meret Becker) den Körper dazu, in Formaldehyd eingelegt: Bei der Toten handelt es sich um eine 14-Jährige, die als Prostituierte gearbeitet hat. Die Leiche war in einem Storage eingelagert. Der Auftraggeber war eine Filmproduktionsfirma, deren aktueller Film, der Thriller „Meta“, mit großem Bohai auf der Berlinale seine Premiere feiert. Der Trailer irritiert die Kommissare: „das Paket, die Leiche, der Film, die Cops“ – das klingt merkwürdig nach ihrem Fall. Während sich Karow den ganzen Film anschaut, recherchiert Rubin die Vita von Drehbuchautor Peter Koteas, der nach Angaben des Regisseurs (Isaak Dentler) der Schlüssel zum Film, zum Fall und offenbar auch zum Verbrechen ist. Das, was die Kollegin herausbekommt, weiß auch Karow: Koteas war kein Schreiber, der Mann mit einem IQ von 187 betrieb eine Videothek, machte eine Selbstanzeige und kam in den Knast, wo er sich erhängt hat. Das alles und mehr noch, als sich in der Wirklichkeit erkennen lässt, erzählt der Film. Karow ist sich absolut sicher, dass der reuige Mörder seine wahre Geschichte auf die Leinwand gebracht hat, damit er, die Männer bestrafen kann, die für den Tod der jungen Frau verantwortlich sind. Und er ist felsenfest davon überzeugt, dass Koteas als Auftragsmörder für den BND-Vorläufer „Organisation Gehlen“ gearbeitet hat. Für Realistin Rubin eine ziemliche Herausforderung.
Foto: Degeto / Hendrik Heiden
De Niros „Taxi Driver“ geistert durch den „Tatort“, dann gibt Karow Travis Bickle
Mit dem cineastischen Verschwörungsthriller „Meta“ begeben sich Drehbuchautor Erol Yesilkaya und Regisseur Sebastian Marka auf einen ebenso wagemutigen wie faszinierenden Trip durch die Zwischen(be)reiche von Film und Wirklichkeit. Dieser „Tatort“ begnügt sich nicht mit dem Phänomen Film im Film: Da sich einige Teile der Handlung des Karow-Becker-Krimis im Kinofilm ganz ähnlich wiederholen, wird hier die Selbstreferentialität noch um eine Ebene erweitert. Die Thriller-Story mit den Kommissaren Felix Blume (Fabian Busch) und Rolf Poller (Ole Puppe) ist im Gegensatz zur Realität ihrer Alter egos Rubin & Karow bereits abgeschlossen; allerdings weiß der Zuschauer nie mehr als das, was der manisch getriebene Karow preisgibt. Anfangs bestätigt der Kinofilm „Meta“ nur die Vergangenheit der Realität im „Tatort“ und irritiert durch die „abgefahrenen Parallelen“, die irgendwann selbst die rationale Kommissarin verblüffen. Je weiter aber die reale Handlung des „Tatorts – Meta“ fortschreitet, umso mehr guckt sich Karow etwas von seinem filmischen Pendant Poller ab, der die Ermordung seines Kollegen rächen will. Die Handlungen beider Ebenen sind nicht völlig identisch, dadurch bekommen die Analogien nichts Schematisches. Und so bleibt dem Zu-schauer der Tod von Meret Beckers Rubin erspart. In der zweiten Hälfte des Films geistert dann auch noch als filmische Referenz Robert de Niros „Taxi Driver“ mit Ausschnitten durch die bizarre Szenerie. Und im Finale wandelt Karow auf Travis Bickles blutigen Spuren. Jetzt versteht man auch, weshalb der Kommissar zu Beginn so ausdauernd seinen Körper stählt.
Durchgeknallter Plot – dramaturgisch geschmeidig & filmisch elegant umgesetzt
Die Narration dieses siebten „Tatorts“ mit dem Duo Mark Waschke und Meret Becker klingt komplizierter als sie ist. Dieses kleine Genre-Meisterwerk lässt sich problemlos „weggucken“. Verglichen beispielsweise mit Bastian Günthers „Tatort – Wer bin ich?“, in dem neben Kommissar Felix Murot auch noch Ulrich Tukur und andere Schauspieler als sie selbst auftreten, bevor schließlich die Figur gegen seinen Autor opponiert, ist „Meta“ zwar ein strukturell ähnlich vielschichtig erzählter Krimi, doch während die HR-Produktion eher ins Poetologische und Absurde driftet, ist der Referenzrahmen von Erol Yesilkaya und Sebastian Marka ein vor allem (genre)filmästhetischer: Der auf den ersten Blick völlig durchgeknallte Plot ist dramaturgisch geschmeidig und filmisch elegant umgesetzt. Sich zu orientieren in der Geschichte ist ein Leichtes, mit ein bisschen Seherfahrung und Filmwissen macht dieser Film allerdings doppelt Spaß. Karow ist nicht nur Koteas Medium, er ist auch der Vermittler zwischen der Kripo-Geschichte und der Kinofilm-Geschichte. So verliert sich der Zuschauer nicht im Wust der Informationen, sondern wird von Waschkes Figur quasi an die Hand genommen. Gelegentlich erklärt sie der ungläubigen Kollegin (und auch dem Zuschauer) schon mal einen Zusammenhang, wozu dann die entsprechenden Bilder aus „Meta“ eingeblendet werden. Kurz vor Schluss löst sich dann alles wortlos in Bewegung und Action auf, die Ebenen werden miteinander verschnitten, die Erinnerung an den Kinofilm bestimmt Karows Handeln, und dann meldet sich – wie erwähnt – de Niros „Taxi Driver“ aus dem Großstadtdschungel. Alles wird visuell oder zumindest emotional vermittelt, auch die verbalen Informationen an den Zuschauer sind hochsinnlich. Selbst der Szene, in der der Kommissar seiner Kollegin Koteas Film nacherzählt, lauscht man gebannt. Die Situation erinnert an diese typischen Gespräche unter Kinofreaks, in denen der eine dem anderen begeistert die Handlung eines Films erzählt. Ganz selten sonst sind in Fernsehfilmen Dialogpassagen so sexy.
Die Vision: „Meta“ erzählt, wie ein Film die (gespielte) Wirklichkeit besser macht
Mit diesem Ausnahme-Plot wird „Meta“ zumindest „Tatort“-Geschichte schreiben. Was man bisher nur vom Hessischen Rundfunk kannte, traut sich jetzt also auch der RBB. Nicht nur im Großen, auch im Detail weiß der Film zu überraschen. Bereits beim Vorspann sieht man Schattenrisse von Kinozuschauern, die sich auf ihre Plätze begeben. Auch der Abspann hält eine kleine Überraschung parat. Die Film-im-Film-im-Film-Situation wird einige Male eindrucksvoll auf die Spitze getrieben: Zunächst bei der Berlinale Premiere von „Meta“. Die Kommissare, nachdem sie über den realen roten Teppich den Zoopalast betreten haben, bitten den Regisseur zu einem Gespräch. In einer Totalen sieht man die drei den Kinosaal verlassen, während auf der Leinwand etwas zeitverzögert und mit anderem Personal die fast identische Szene noch einmal abläuft. Später sieht man dann, wie der Kommissar quasi sich selbst bzw. Poller bei der Filmsichtung zuguckt. Die Wechselwirkung zwischen Kinematografie und Wirklichkeit ist eines der spannendsten Themen der Filmtheorie. Dazu bietet dieser „Tatort“ einen originellen Beitrag: „Meta“ erzählt, wie ein Film die (gespielte) Wirklichkeit verändert. Der geläuterte Killer gibt mit Hilfe seines Films dem Kommissar Anweisungen für dessen Ermittlungen. Der braucht sich nur an das Script zu halten. Das ist mal eine originelle Alternative zu dem stereotypen Katz-und-Maus-Spiel von Serienkillern und Kommissaren. Es handelt sich auch eher um eine Schnitzeljagd im Namen der Rache, aber ohne Selbstjustiz.
„Meta“ ist der fünfte gemeinsame „Tatort“ von Erol Yesilkaya & Sebastian Marka. Gedreht wurde der Film während der Berlinale 2017, ausgestrahlt wird er zur Berlinale 2018. Der Spannungsfluss ist nicht nur motiviert durch die schräge Logik der Erzählung und die perfekte Dramaturgie en detail, sondern auch filmästhetisch sind die 90 Minuten von höchster Güte. Kein „Tatort“ mit Botschaft, dafür dicht, raffiniert, suggestiv, spannend. Die Bilder erreichen fast Kinoqualität, die narrative Montage ist über weite Strecken das Herzstück des Films (Kopf & Seele sind Karow & Rubin) und zum Suspense und zur Atmosphäre tragen das Sounddesign und der dynamisch pulsierende Score bei, der in seiner elektronischen Flächigkeit an John Carpenters frühe Filme erinnert, während man in seinen hochtönenden Momenten den Mike „Tubular Bells“ Oldfield zu hören glaubt. Und spätestens, wenn Bernard Herrmans magisches „Taxi Driver“-Motiv ertönt, ist der Kritiker zum gnadenlosen Fan geworden.
Werden das „Oberarschloch“ & die ihrer Familie verlustig Gegangene Kumpel?
Nicht nur die Geschichte ist ausgeklügelt, dieser Berliner „Tatort“ schiebt auch lustvoll die Beziehung der Kommissare an. Die knappe Exposition bringt für alle, die es nicht mehr oder noch nicht wissen, wie Karow und Rubin ticken, deren Typus markant und rasant auf den Punkt: hier die Alleinerziehende, etwas frustriert, Selbstzweifel, dort der selbstzufriedene Großstadt-Cowboy, der weder Mitgefühl noch Schmerzen kennt (bzw. sich erst durch Schmerzen spürt). Rubin akzeptiert Karow und sie toleriert seine Obsessionen, solange er sie respektiert; ihr scheint dieses maßlose „Oberarschloch“, das sich nicht schert darum, was andere von ihm denken, irgendwie auch zu imponieren. Ähnliches wie beim „Polizeiruf“ aus Rostock, in dem Hübners Straßenköter Sarnaus Profilerin zunehmend auf seine dunkle Seite zieht, könnte auch beim „Tatort“ Berlin passieren. Rubin, der die Familie abhanden gekommen ist (selbst ihr jüngster Sohn will zum Papa ziehen), macht die Einsamkeit zu schaffen: Sie wünscht sich einen Kollegen, der auch Kumpel ist. Ob das mit dem gefühlskalten Karow möglich sein wird? Auch wenn es in „Meta“ eine Annäherung gibt und Karow als Vermittler der Handlung, ausgestattet mit melancholischer Ader, kein Unsympath ist, dürfte dieser Egozentriker unberechenbar bleiben. Der coole RBB-„Tatort“ jedenfalls bleibt heiß.