Tatort – MagicMom

Prahl, Liefers, Euler, Regine Bielefeldt, Michaela Kezele. Alles Lug und Trug

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Tilmann P. Gangloff

Dass ein Mord als Suizid kaschiert wird, ist ein beliebtes Krimimotiv. Aber warum sollte jemand einen tragischen Unglücksfall wie einen Selbstmord erscheinen lassen, zumal die erfolgreiche Influencerin Evita Vogt ohne sichtbare Fremdeinwirkung erstickt ist? Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, muss sich das „Tatort“-Duo Thiel & Boerne in „MagicMom“ (WDR / Bavaria Fiction) auf eine Welt einlassen, die den beiden völlig fremd ist, was selbstredend zu allerlei Heiterkeiten führt. Regine Bielefeldt gelingt es ausgesprochen gut, Krimi und Comedy-Ebene in Einklang zu bringen. Manch’ eine Pointe wirkt zwar, als habe die Drehbuchautorin sie an der Resterampe erstanden, aber Axel Prahl und Jan Josef Liefers tragen die Gags mit derart viel Spielfreude vor, dass selbst fadenscheinige Wortspiele („Boerne-out“) ein großes Vergnügen sind. Auch in der Umsetzung sehr originell ist die Idee, Boerne selbst als Influencer zu inszenieren.

Gut möglich, dass einige ältere Mitglieder des ZDF-Publikums ihr Wissen über das Internet dem Klassiker „Wilsberg“ verdanken: Die Reihe aus Münster befasst sich regelmäßig kritisch mit den Folgen der Digitalisierung. Mit „MagicMom“ greifen auch die Kollegen vom „Tatort“ das Themenspektrum auf. Das Ergebnis ist ein Krimi, der vor allem Komödie ist; äußerst witzig, mitunter hat man gar den Eindruck, Axel Prahl & Jan Josef Liefers hätten stellenweise fröhlich drauflos improvisiert. In der Vergangenheit litten nicht wenige der mittlerweile gut vierzig Geschichten über die gemeinsamen Ermittlungen von Hauptkommissar Thiel & Rechtsmediziner Boerne unter der spürbaren Vorgabe, um jeden Preis lustig zu sein. Auch Episode 43 ist vorwiegend heiter, die Comedy-Ebene jedoch schlüssig mit dem Fall verknüpft.

Tatort – MagicMomFoto: WDR / Thomas Kost
„Ich spendiere dir ein paar Extensions, damit kannst du dich aufhängen, Schlampe!“ BusyBine (Agnes Decker) findet im Netz klare Worte für Konkurrentin MagicMom.

Außerdem sind nicht nur die beiden Hauptdarsteller gut drauf. ChrisTine Urspruch war schon immer mehr als bloß die Stichwortgeberin für Liefers, aber auch Björn Meyer hat sich längst an der Seite von Prahl etabliert. Weil ihre Chefs mit den Köpfen noch im letzten Jahrhundert stecken, gibt es zudem einige politisch sehr unkorrekte Bemerkungen. Silke Haller musste sich das von Anfang an gefallen lassen, nun kriegt auch der schwule Schrader – er bevorzugt die Bezeichnung „queer“ – seine Seitenhiebe ab („Schrader*in“). Selbstredend können solche Scherze auch schrecklich schiefgehen, aber Regisseurin Michaela Kezele, deren Fernsehfilme bislang ausnahmslos sehenswert waren (neben zwei „Zimmer mit Stall“-Episoden zuletzt vor allem das bewegende Gaffer-Drama  „Und ihr schaut zu“) bewahrt den auch dank der lebhaften Musik recht flott erzählten Film davor, auf Stammtischniveau zu sinken. Haller ist sowieso selbstbewusst genug, um dem eingebildeten Professor Paroli zu bieten.

Bei soviel Nebenschauplatz ist die Gefahr groß, dass die eigentliche Krimihandlung wie schon des Öfteren zum bloßen Vehikel für Wortwechsel und Slapstickmomente verkommt. Das ist auch bei „MagicMom“ nicht ganz falsch, aber gerade Liefers agiert derart gut gelaunt, dass sich sogar Miesepeter und –petras nicht lange gegen ein Dauergrinsen wehren werden. Der Handlungsauslöser ist allerdings gar nicht lustig: Mitten in der Aufnahme zu einem Werbevideo für ein Schranksystem, das angeblich die Lösung für jedes Chaos im Kinderzimmer darstellt, erliegt die Titelfigur einem Erstickungsanfall. Die Haushälterin hat Evita Vogt (Laura Louisa Garde) allerdings ganz anders vorgefunden: aufgehängt mit einem Stromkabel. Dass ein Mord als Suizid kaschiert wird, ist ein beliebtes Krimimotiv, aber warum sollte jemand einen derart tragischen Unglücksfall wie einen Selbstmord erscheinen lassen?

Tatort – MagicMomFoto: WDR / Thomas Kost
Den Leichen zum Trotz: Professor Boerne (Jan Josef Liefers) vertreibt sich auf etwas bizarre Weise die Zeit.

Natürlich müssen Thiel und Boerne, beide alles andere als „Digital Natives“, nun erst mal den kleinen Internet-Führerschein machen. Frau Vogt war mit weit über 600.000 „Followern“ äußerst erfolgreich und hatte daher auch Neiderinnen: Nachbarin Thekla (Monika Oschek) zetert, Evita habe der Welt die „Miss Perfect“ nur vorgespielt; in Wirklichkeit hätten Angestellte und Lieferservices dafür gesorgt, dass der Haushalt läuft. Außerdem hat die Frau ein Auge auf den Witwer (Golo Euler) geworfen. Eine Konkurrentin, die sich „BusyBine“ (Agnes Decker) nennt, hat „MagicMom“ in einem Kommentar gar den Tod an den Hals gewünscht. Alles nur Show, versichert die Frau, in deren Studio Thiel und Boerne feststellen, dass in der Welt dieser Influencerinnen offenbar ohnehin fast alles Lug und Trug ist.

Manch’ ein Gag wirkt zwar, als habe sich Drehbuchautorin Regine Bielefeldt an der Resterampe bedient, aber weil Prahl und Liefers ihre Pointen mit großer Spielfreude vortragen, sind sogar fadenscheinige Wortspiele („Boerne-out“) ein großes Vergnügen. Weitaus origineller ist allerdings die Idee, Boerne selbst als Influencer zu inszenieren und ihn auf diese Weise, auch optisch entsprechend gestaltet, zum Beispiel über den Unterschied zwischen Tod durch Strangulation und Asphyxie dozieren zu lassen. Der Rest ist Beiwerk. Die dramaturgisch nur bedingt notwendigen Szenen während eines Straßenfests wirken wie ein Freiluftausgleich zu den vielen Kammerspieldialogen, die dank der Bildgestaltung (Felix Novo de Oliveira) allerdings interessant umgesetzt sind. Gegen Ende erfreut der Film zudem durch eine Fahrradverfolgungsjagd durch die Fußgängerzone; nun zeigt sich auch, warum die Mitwirkung von Titus (Casper Gold), seines Zeichens Großneffe von Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) und jugendlicher Handball-Star, durchaus ihre Berechtigung hat.

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Reihe

WDR

Mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers, ChrisTine Urspruch, Björn Meyer, Golo Euler, Agnes Decker, Monika Oschek, Mechthild Großmann, Claus-Dieter Clausnitzer, Laura Louisa Garde, Yvonne Pferrer, Aviran Edri, Casper Gold

Kamera: Felix Novo de Oliveira

Szenenbild: Michaela Schumann

Kostüm: Martina Jeddicke

Schnitt: Nicola Undritz

Musik: Christian Biegai & Kerim König

Soundtrack: Shivaree („Goodnight Moon”)

Redaktion: Sophie Seitz

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Jan Kruse

Drehbuch: Regine Bielefeldt

Regie: Michaela Kezele

Quote: 13,46 Mio. Zuschauer (40,7% MA)

EA: 05.03.2023 20:15 Uhr | ARD

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