Ein Straßenbahnfahrer ist erstochen worden, kaltblütig und vorsätzlich, „eine Hinrichtung“, so Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger). Nach den Bildern der Überwachungs-Kamera zu schließen, müssen sich Opfer und Täter gekannt haben. Merkwürdig, dass der Messerstecher sein Gesicht offensiv in die Kamera hält; dabei macht er eine Geste, die die Polizei offenbar dazu auffordern soll, genau hinzuschauen. Zum Hinschauen hat Herzog eine Kollegin (Sar Adina Scheer) um Unterstützung gebeten, die die besondere Fähigkeit besitzt, Gesichter wiederzuerkennen. Tagelang sitzt sie vor den Bildern, die ihr die Dortmunder Überwachungs-Kameras anbieten, um den Täter möglicherweise irgendwo zu entdecken. Derweil versuchen Faber (Jörg Hartmann) und Pawlak (Rick Okon) mehr über das Opfer zu erfahren. Aber erst als es einen zweiten Toten gibt, kommt Bewegung in den Fall. Beide Opfer gingen zusammen zur Schule. Möglicherweise gab es eine Clique, zu der gehörten auch Tanja Zietmann (Johanna Polley) und Tom Heinrich (Robert Capasso), der seit längerem im Wachkoma lieg. Involviert in den Fall ist auch Toms Mutter (Silke Geertz), die mehr zu wissen scheint, als sie preisgibt. Irgendwann kennen die Kommissare die Identität des Täters (Mike Majewski), doch bevor sie an ihn rankommen, muss erst eine weitere Person in Lebensgefahr schweben.
Foto: WDR / Martin Rottenkolber
Eine alte Schuld soll mit dem Leben bezahlt werden. Die Tötungsszenarien legen bald nahe, dass es sich beim „Tatort – Love is Pain“ um eine Rachegeschichte handeln muss. Das Autorenduo Bob Konrad & Hanno Hackfort („4 Blocks“, Grimme Preis für „Kleo“) etabliert in seinem ersten klassischen Ermittlerkrimi eine dramaturgisch interessante Form der Mörder-Suche. Der Zuschauer kennt – wie die Kommissare – den Täter, er weiß wie er aussieht, aber er weiß lange Zeit so gut wie nichts über seine Identität. Erst die Ermittlungen im Opfer-Milieu geben dem Gesicht eine Geschichte; nach und nach werden die Motive für die Morde offengelegt, wird das Drama hinter dem Krimi sichtbar. Trotzdem bleibt der Film von Sabine Bernardi („Auf dünnem Eis“, „Ku’damm 63“) bis zum Schluss spannend, weil die Bedrohung durch den Racheengel weiterhin besteht. Und so kommt es zu einem Showdown, bei dem die notwendige Erklärung der Tatumstände als eine Sekunden-Beichte stark in den physischen Fluss der Ereignisse integriert wird, bevor eine atmosphärische Sequenz die zahlreichen Dramen dieser „Tatort“-Episode abschließend zusammenfasst. Denn wie immer in Dortmund haben auch die Kommissare ihre Nöte: Pawlak will das Sorgerecht für seine Tochter (Jana Giesel) behalten; Herzog muss entscheiden, ob sie ihrer von der Polizei gesuchten kranken Mutter, Ex-RAF-Mitglied, helfen will; und Faber trauert noch immer still um Bönisch. Hinzu kommt, dass Rosa Herzog kommissarisch die Leitung der Mordkommission übernommen hat.
Foto: WDR / Martin Rottenkolber
„Love is Pain“ ist also mehr als nur ein Filmtitel. Es ist das Thema, das alle Geschichten bestimmt und leitmotivisch über den 90 Minuten liegt. Keine Liebe ohne Schmerz. Dieses Gefühl passt zum „Tatort“ Dortmund. Ungewohnt dagegen ist die Art, wie die Beteiligten damit umgehen. So nachdenklich und wenig aggressiv haben sie ihre Befindlichkeiten bisher selten geäußert. Vor allem Faber, der mit Verdächtigen nach wie vor gern Tacheles redet, agiert innerhalb des Teams wie ausgewechselt. Allenfalls Jan Pawlak sieht kurzzeitig rot. Insgesamt aber scheinen Ruhe und Vernunft bei dem Trio eingekehrt zu sein. Da schwingt sicherlich noch Bönischs Tod mit. Der Schreibtisch steht noch im Raum. Der Platz an ihm ist leer. So ein bisschen mag das auch dem Zuschauer so gehen. Die Lücke, die jene dicht erzählte Figur und die Ausnahme-Schauspielerin Anna Schudt hinterlassen haben, wird auch weiterhin schwer zu schließen sein. Dieses Gefühl der Trauer und der Melancholie zur Grundstimmung des zweiten Post-Bönisch-„Tatort“ zu machen, ist auf jeden Fall schon mal eine gute Entscheidung. Auch wenn etliche Zuschauer sicher gern zur Krimi-Tagesordnung übergehen würden, so wie es viele Menschen unter dem Motto „Das Leben geht weiter“ ja auch in der Realität tun: Für das „Tatort“-Team Dortmund würde diese pragmatische Haltung nicht funktionieren, es wäre ein deutlicher narrativer Bruch mit dessen zehnjähriger Geschichte.
Liebe macht verletzlich, Liebe tut weh. Der Film erzählt davon – im Krimi-Hauptplot ebenso wie in vielen kleinen, angenehm beiläufigen Momenten. Der Schmerz fließt förmlich durch die Bilder. Da die Szenen im Film aber rasch wechseln, bleibt für den Betrachter keine Zeit, um in Traurigkeit zu versinken. Mit dazu bei trägt auch die Flut der Bilder, die in diesem „Tatort“ durch die Überwachungskameras noch gesteigert wird. Achtsame Befragung der Opfer, Verfolgungsjagd bei Tag, mögliche Bedrohungslage am Abend, Tatortbegehung bei Nacht, Krankenhausbesuche, der Treffpunkt Kommissariat, MEK-Einsatz usw. – auf der Handlungs- und Bildebene ist reichlich was los und doch ist „Love is Pain“ schlüssig und flüssig erzählt. Regisseurin Bernardi hat ein gutes Gespür für Rhythmus; gewohnt eindrucksvoll ist auch die Bildgestaltung von Grimme-Preisträger Philipp Sichler („Das weiße Kaninchen“, „Im Schmerz geboren“), hier Dortmund-like realistisch, von düster & trüb bis klar & sonnig. Auch wenn nicht immer viele Menschen zu sehen sind, so ist dieser „Tatort“ doch ein echter Großstadtfilm. „Jeder stirbt für sich allein“, sagt Faber einmal beiläufig. Das verweist auf DAS Großstadtthema: Einsamkeit. Die Drei sind auf einem guten Weg, ihre Isolation aufzugeben. Zuletzt in „Du bleibst hier“ haben sie einen ersten Schritt getan: zusammen getrunken und getanzt. Jetzt sprechen sie sogar miteinander: interessiert, zugewandt und trotz Fabers Degradierung unaufgeregt. Auch ohne Bönisch/Schudt darf man also weiterhin gespannt sein, was dieses Trio uns noch alles erzählen wird.