Beim neuen „Tatort“ aus Frankfurt mit Melika Foroutan und Edin Hasanovic folgt nach der „Dunkelheit“-Premiere um unaufgeklärte Serienmorde eine zweite Episode, die mit „Licht“ betitelt ist. Klingt nach Antithese oder deutlicher Akzentverschiebung, aber im Kern geht es in den hessischen „Cold Case“-Krimis um ein und dasselbe: Gewissheit zu erlangen über ein lange Zeit zurückliegendes Rätsel, das insbesondere die Angehörigen von mutmaßlichen Verbrechensopfern quält. Maren Eggert, die an der Seite von Axel Milberg als Polizeipsychologin Frieda Jung eine reiche Kieler „Tatort“-Vergangenheit hat, spielt in „Licht“ die Episoden-Hauptrolle der Anna Reiter, die die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrer vor sechs Jahren verschwundenen Tochter Viktoria nicht aufgegeben hat. Zwar stand der Verdacht eines erweiterten Suizids im Raum, weil Viktoria, damals drei Jahre alt, von ihrem zeitweise depressiven Vater Julian (Christoph Pütthoff) für ein gemeinsames Wochenende abgeholt worden war und Julians Auto später verlassen an der Main-Staustufe Griesheim gefunden wurde. Aber da weder die Leichen auftauchten noch weitere Hinweise eingingen, hatte die Polizei nach einem Jahr die Akte geschlossen.
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Nur Kommissarin Maryam Azadi (Melika Foroutan) hat den Fall noch nicht aus den Augen verloren. Und weil sie als einzige Polizistin Kontakt hält zu Anna Reiter, ist sie auch ihre einzige Hoffnung – was zu einer verhängnisvollen Kette von Ereignissen führt: Nachdem die verzweifelte Mutter in einem im Netz verbreiteten Video verkündete, dass sie eine Belohnung von 5000 Euro für Hinweise auf Viktorias Verbleib aussetzt, meldet sich ein Unbekannter, der behauptet zu wissen, dass das Mädchen lebt. Anna Reiter überredet Azadi, sich mit dem Mann in einem leer stehenden Gebäude zu treffen. Offenbar handelt es sich um einen Obdachlosen, der „nur die Kohle haben“ will und sofort Reißaus vor der Polizistin nimmt. Die Kommissarin ist nun erst recht überzeugt, dass es sich um einen Trittbrettfahrer handelt, aber Anna Reiter will die mögliche Chance nicht voreilig aufgeben und einen neuen Versuch starten. Wenig später ist sie verschwunden, während der Obdachlose in dem leer stehenden Gebäude tot aufgefunden wird. Eine Zeugin bestätigt, Anna Reiter (und einen Tag zuvor Azadi) gesehen zu haben. Offenbar hat die verzweifelte Mutter den Mann über das Treppengeländer gestoßen. Wenig später stürmt sie mit einer Waffe in der Hand einen Kindergeburtstag.
Selbstredend spielt die Lichtgestaltung in jedem Film, auch wenn er nicht den Titel „Licht“ trägt, eine immense Rolle. Die Puristen der Dogma-Bewegung um Lars von Trier und Thomas Vinterberg gaben dagegen vor 30 Jahren in ihrem Manifest die Losung aus: „Es wird ausschließlich natürliches Licht verwendet.“ Nun ist der Frankfurter „Licht-Tatort“ sicher kein Dogma-Film (Beleuchter: Lukas Hauf), aber Regisseur Ostermann und Kameramann Philipp Sichler setzen mit natürlichem Sonnenlicht erkennbar starke Akzente. Mal fällt es stimmungsvoll durch die Fenster des leer stehenden Gebäudes, mal wird eine Szene im Freien beinahe überbelichtet in gleißendes Licht getaucht. Die kurz angespielte „Here comes the sun“-Coverversion von Nina Simone legt sich über helle Frankfurter Großstadtbilder, kurz nachdem Anna Reiter ihr Video voller Überzeugung mit dem Satz beendet hat: „Viktoria lebt, ich weiß das.“ Und die das Sonnenlicht reflektierenden Spiegel, die das Zeltlager des toten Obdachlosen Otto Gerald Buchmann (Meinhard Neumann) schmücken, bringen Azadi und Kulina auf die Spur einer Sekte namens „Licht der Welt“. Für deren Mitglieder ist das Sonnenlicht nicht nur ein Symbol der Hoffnung, sondern auch buchstäblich Nahrung und Medizin. Kinder, die gegen die Regeln verstoßen, werden in den „Mondraum“ gesperrt, wo sie ihre Gedanken in totaler Finsternis an die Wand malen sollen. Hier passt wirklich mal ein Klassiker-Zitat: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.“ Das legte vor 250 Jahren schon Johann Wolfgang Goethe seinem Götz von Berlichingen in den Mund.
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Neben der Licht-Symbolik fällt Ostermanns Inszenierung noch durch weitere maßvolle Kunstgriffe auf: Wenn sich Kulina bei einer Anhörung an den früheren Einsatz erinnert, bei dem sein damaliger Partner lebensgefährlich verletzt wurde, werden die Ereignisse nicht durch Rückblenden-Bilder, sondern nur durch die Tonspur wach gerufen. Dafür werden die möglichen Abläufe des Verschwindens von Julian und Viktoria an der Staustufe ins Bild gesetzt, während Azadi und Kulina selbst Teil der Szene sind und so die eigenen Rekonstruktionen vor Augen haben. Abgesehen von dieser Verschränkung von Realität und Fantasie bleibt „Licht“ ein wirklichkeitsnahes Krimidrama mit präzise erzählter, wenn auch ungewöhnlicher Polizeiarbeit. Der neue Frankfurter „Tatort“ ist stark auf das Ermittlerduo fokussiert, das weitgehend isoliert in einem schwach beleuchteten Kellerraum Akten sichtet und in Dialogen die Aufklärung vorantreibt. Das unterscheidet die Reihe bisher deutlich von anderen „Tatort“-Formaten, in denen neben den Hauptfiguren noch einige Sidekicks regelmäßig präsent sind. In „Licht“ tritt zwar auch mal eine Rechtsmedizinerin (Mieke Schymura) in Erscheinung, dafür bekommt Sandra Schatz (Judith Engel), die Vorgesetzte von Azadi und Kulina, diesmal nur eine einzige Szene. Autor Senad Halilbašić, der bereits am ersten Drehbuch für das neue Frankfurter Team beteiligt war, schreibt dennoch die persönlichen Geschichten von Maryam Azadi und Hamza Kulina nur behutsam fort. Auch über die aus dem Iran stammende Azadi, die hier stärker als im ersten Film in den Mittelpunkt rückt, erfährt man nicht viel mehr, als dass sie zu Alleingängen neigt, der Frage nach dem eigenen Glauben lieber ausweicht – und einen Sohn hat, mit dem sie hin und wieder telefoniert. Kulinas Anhörung setzt den Kommissar unter Druck, bleibt aber Nebensache. Die Basis in Frankfurt ist mit einem zweiten starken Krimidrama gelegt.

