Tatort – Kleine Herzen

Janina Stopper, Filippos Tsitos und die psychologische Spannung eines Top-"Tatorts"

Foto: BR / Christian A. Rieger
Foto Rainer Tittelbach

„Kleine Herzen“ erzählt vom Alltag einer überforderten jungen Mutter. Termin-Managment in der Sommerhitze – bis ihr der vierjährige Sohn zu viel wird. Sie schließt ihn weg, vergisst ihn und träumt sich in das unbeschwerte Leben eines Teenagers. Ein „Tatort“ ohne Whodunit-Spannung, der dennoch fesselt durch seinen Wettlauf mit der Zeit. Die Kommissare halten sich angenehm zurück. Ein Ausnahme-„Tatort“ mit Ausnahme-Talent Janina Stopper!

Anne Kempf ist 18. Mit 14 bekam sie ihren Sohn Tim. Das Girlie, das in einem Supermarkt arbeitet und noch mehrere Nebenjobs macht, ist den ganzen Tag damit beschäftigt, ihre Termine zu managen. Meistens geht es um Tim. Vater Marc kennt Verantwortung nur für seinen Fußballverein. Bislang kümmerte sich Marcs ältere Schwester Katrin viel um den Jungen. Sie geht den beiden Eltern aber oft mächtig auf die Nerven mit ihrer „Besserwisserei“ und ihrer ständigen Kritik an deren Erziehungsmethoden: Der Junge sei viel zu viel allein, werde vernachlässigt. Über dieses Thema kommt es eines Tages zum Streit, bei dem die junge Mutter in einem Stadtpark Katrin genervt über ein Geländer schubst. Die junge Frau fällt unglücklich und kommt zu Tode. Anne bekommt es nicht einmal richtig mit. Sie hat Termine.

Tatort – Kleine HerzenFoto: BR / Christian A. Rieger
Die Kommissare (Wachtveitl & Nemec) wissen nicht, was sie von Anne halten sollen. … und dann plötzlich driftet Anne (Janina Stopper) ab in eine Traumwelt und blendet ihren Sohn aus.

„Kleine Herzen“ ist ein Ausnahme-„Tatort“. Nicht die Ermittlung der Kommissare, der Alltag der jungen Mutter steht im Vordergrund. Statt Buddy-Rituale jugendliche Überlebensstrategien in der Münchner Sommerhitze. Solange, bis die Hauptfigur nicht mehr kann. Sie will nicht immer nur müssen. Sie ist jung, sie will leben, sie will Spaß haben. Umschlagpunkt ist eine bedrückende Szene: Mutter und Sohn streiten sich, Tim rennt auf die Straße, Anne verharrt auf der Stelle und schließt die Augen. Der Zuschauer kann Annes Gedanken lesen. Brutale Gedanken. Ein eiskaltes Bild. Anne nimmt ihren Jungen nun nicht mehr wahr. Sie schließt ihn weg, vergisst ihn und träumt sich ins unbeschwerte Leben eines Teenagers. Der Vierjährige ist clever. Aber er kennt nicht den Ort, an dem er sich befindet. Es wird ein quälender Wettlauf mit der Zeit. Der Junge ist am Verdursten und die Mutter handelt wie in Trance.„Sie ist nicht leicht zu durchschauen. Sie sagt Dinge, die klingen vollkommen plausibel und trotzdem hat man danach das Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmt“, charakterisiert Leitmayr die junge Mutter. Janina Stopper spielt Anne, selbstbewusst, schlagfertig, ein Teenager, dem das Lügen zur zweiten Natur geworden ist. Das ewige Funktionieren müssen hat sie von ihren Gefühlen abgeschnitten. Und so wirkt sie im Spiel von Stopper leer, ohne Sinn für echte Empfindungen, geschweige denn für eine moralische Grundhaltung. Dem Mädchen ist einfach nur alles zu viel. Es fühlt keine Verantwortung, alles wird Zwang, Druck – bis sie aussteigt. Stoppers zartes Gesicht mit dem Porzellan-Teint ihres rotblonden Typs ist die perfekte Projektionsfläche. Die Schauspielerin legt keine Bedeutung auf ihre Wangen. Der Zuschauer sieht durch sie hindurch – in ihre verkapselte Seele. (Text-Stand: 16.12.2007)

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Reihe

BR

Mit Janina Stopper, Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Max Mauff, Felix von Opel, Eisi Gulp, Gerd Lohmeyer

Kamera: Ralph Netzer

Schnitt: Dirk Göhler

Musik: Josepha van der Schoot

Produktionsfirma: Avista Film

Drehbuch: Stefanie Kremser

Regie: Filippos Tsitos

Quote: 7,65 Mio. Zuschauer (21,1% MA); ARD-Wh.: 3,48 Mio. (16% MA)

EA: 16.12.2007 20:15 Uhr | ARD

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