Am Silvesterabend haben es Mey und Steier krachen lassen. Der Kommissar mit dem Näheproblem hat der Kommissarin ohne Näheproblem das Du angeboten. Am nächsten Morgen, mit einer Toten an den Hacken, nimmt der übel gelaunte Hauptkommissar das Du zurück – dann schmeißen sich beide in den Fall. Bei der Ermordeten handelt es sich um Agnes, im Kiez bekannt wie ein bunter Hund, eine Alkoholikerin mit ebenso versoffenem Partner und wechselnden Intimbekanntschaften. Fünf Tage war sie von Zuhause fort. Systematisch rekonstruieren die Kommissare die letzten Tage dieser einsamen Frau, von der ihr Sohn sagt: „Sie war nicht sehr schön und auch nicht sehr schlau, aber sie war der liebste Mensch.“ Die Ermittlungen ergeben, dass der Pater der Gemeinde und ein Stammkunde in einer Bar in der Silvesternacht gemeinsam mit dem Mordopfer gefeiert haben. Der Pater reagiert ausweichend und verstrickt sich in Lügen. Der andere Verdächtige gilt als „korrekt, höflich, pünktlich, akkurat“ – und er ist gläubig. Aber oft sind das ja die Schlimmsten.
Foto: HR / Johannes Krieg
„Haben Sie was mit Ihren Haaren gemacht“ – dieser augenzwinkernde Verweis auf den dritten Kunzendorf-Król-„Tatort – Es ist böse“, in dem Steier sich von seinem Freund die Haare hat schneiden lassen, war zu erwarten – schließlich gab Nina Kunzendorf, die sich im realen Leben einen pfiffigen Kurzhaarschnitt zugelegt hat, dazu die Steilvorlage. Außer einem Küsschen zu Beginn und leichten Entzugsproblemen bei Steier („mir geht es nicht gut“), der mit ein paar Aussetzern Conny Meys gewohnt gute Laune noch weiter hebt, gibt es wenig Persönliches in „Im Namen des Vaters“. Auch sonst halten sich die beiden Kommissare eher zurück. Das „Miljöh“ gibt den Ton an; die Trinker, Sünder und einsamen Herzen nehmen die Handlung in die Hand. Lars Kraume hat einen Whodunit geschrieben, der bei genauem Hinsehen, Kombinieren und dramaturgischem Vergleichen bald keiner mehr ist, aber dennoch nie an Spannung verliert, da neben der Frage, ist der Hauptverdächtige der Täter, sich bald ein neues Spannungsfeld eröffnet. Entsprechend müssen Król und Kunzendorf wenig Aktionismus an den Tag legen. Bei Mey hängt der Colt zwar dieses Mal besonders auffällig an den Hüften, bleibt aber im Halfter – ist also nicht mehr als ein schöner Schauwert. Und das Finale wird nicht als klassischer actionhaltiger Last-Minute-Rescue aufgelöst, sondern „realistisch“ und psychologisch spannend mit Handy und Worten.
Schade, dass Nina Kunzendorf bereits nach dem fünften Fall ihre Cowboystiefel auszieht. Auch „Im Namen des Vaters“ ist ein ausgezeichneter, weil genrebewusster, stilsicherer Krimi, aber er zeigt – trotz der Zurückhaltung der Ermittler – auch ein ziemlich perfektes Kripo-Doppel, das wunderbar beiläufig seine Duftmarken hinterlässt. Meys Styling kann noch so prollig sein, Kunzendorf gelingt es, ohne die Lebensart ihrer Heldin zu verraten, Sekunden später wieder ernsthaft und leise zu agieren. „Ich bin zur Polizei gegangen, weil ich glaube, dass man die Welt verbessern kann“, sagt ihre Figur. Doch die Welt verbessern ist langwierig: Ermitteln ist Sisyphusarbeit – vor allem, wenn der Mörder kein Mensch ist, den man im Polizeicomputer findet. Im Frankfurter „Tatort“ ist es häufig der kleine Mann von nebenan, der durchdreht, der sich benachteiligt fühlt, der sich vergessen glaubt von der Gesellschaft und der sich doch nur ein kleines bisschen Glück ersehnt und zur falschen Zeit am falschen Ort ist und dem in diesem Moment die falschen Gedanken durch den Kopf schießen. Nur wenige Sekunden lang nimmt er für die Demütigungen, die ihm angetan wurden, Rache. Und plötzlich ist er ein Mörder… (Text-Stand: 22.11.2012)