Ein trostloser Ort, ein brutaler Mord. Im Gelände eines alten Hochofens wird der Kopf der Dortmunder Neonazi-Szene, Kai Fischer, tot aufgefunden. Ein Racheakt? Eine Verzweiflungstat? Ein kühl geplanter Mord eines Gesinnungsgenossen? Verdächtigt wird zunächst ein brauner „Kamerad“ des Toten, dem es nicht gepasst hat, dass dieser den Schulterschluss ihrer „Nationalen Soziale“ mit den Skinheads gesucht hat. Das stärkere Motiv hat die Leiterin einer Beratungsstelle gegen rechte Gewalt: Sie beschuldigte Fischer des Mordes an ihrem Ehemann, sie selbst verlor bei dem Anschlag ihr ungeborenes Kind; die Ermittlungen zogen sich hin, Zeugen wollten nichts gesehen haben. Der Fall geht den Kommissaren an die Nieren; die jungen sind auch persönlich involviert. Daniel sieht sich auf einmal mit seinem Bruder, der in der rechten Szene ein zu Hause gefunden hat, konfrontiert und wird selber in die rechte Ecke gerückt. Nora wird Opfer eines Anschlags. Faber indes provoziert mal wieder die Kollegen und macht bei den Neonazis auf „guter Bulle“. Bönisch hat viel zu schlichten – bis sich herausstellt, dass es eine undichte Stelle im Präsidium gibt.
Foto: WDR / Thomas Kost
„Es hat mir nicht gereicht, dich zu erschießen, ich musste auch noch zuschlagen.“ Faber ergeht sich auch in „Hydra“, dem fünften „Tatort“ aus Dortmund, in seiner typischen Art und Weise, den Leichenfund zu lesen und sich in die Befindlichkeit des Täters hineinzuversetzen. „Ein gezielter Schuss und danach verlier ich die Kontrolle.“ Schwer zu sagen, für welchen Täter das spricht. Zunächst aber haben die Kommissare ohnehin mehr mit sich selbst zu tun, als dass sie im Fall wirklich vorankämen. Nora und Daniel müssen ihre Trennung und die Abtreibung verkraften, ermitteln deshalb auch nicht mehr gemeinsam. Die neuen Duos bringen neue Konflikte: Faber macht auf Neonazi-Versteher und maßregelt bewusst schon mal seine türkische Kollegin, um die Rechten gesprächig zu machen. Nora weiß damit zwar umzugehen, dafür trifft sie der brutale Neonazi-Anschlag dort, wo es doppelt wehtut: ausgerechnet auf dem Teil ihres Körpers, in dem vor Monaten noch ihr Embryo heranwuchs, prangt jetzt ein riesiges Hakenkreuz. Bönisch hat – von ein paar Irritationen über Daniels schroffe Ermittlungsmethoden bei der deutsch-israelischen Tatverdächtigen abgesehen – am Arbeistplatz die geringsten Probleme; dafür gibt sie sich nächtens einsam an der Hotelbar ihren Gedanken oder auch schon mal einem Hotelgast hin, wenn nicht gerade Faber stört…
„Wir binden das Private stets in die Fälle mit ein, dadurch erhöhen wir das Tempo der Geschichte und geben dem gesamten Team seine ganz eigene Dynamik. Wer kennt das nicht, man hat private Probleme, bringt sie mit in die Firma, ist mit den Gedanken nicht immer bei der Sache, macht Fehler, reagiert gereizt, ungerecht, trifft falsche Entscheidungen.“ (Autor Jürgen Werner)
Foto: WDR / Thomas Kost
Wie zuletzt in „Auf ewig Dein“ ist das Dortmunder „Tatort“-Quartett auch in „Hydra“ wieder in Top-Form. Autor Jürgen Werner, der bisher für alle fünf Episoden das Buch schrieb, hat die privaten Linien (psycho)logisch weitergesponnen und mit dem Fall und dem Thema rechte Gewalt (und ihre Erscheinungsformen) klug verzahnt. Darüber hinaus ist „Hydra“ ein starker Krimi, der auf ein Schaulaufen der Verdächtigen verzichtet und mit dem Maulwurf-Motiv ein spannendes Fass aufmacht. So ist ständig Druck im Kessel; da kann man auch schon mal handgreiflich werden. Es ist eine ideale Geschichte für Schauspieler, die ihre Rollen (pscho)physisch interpretieren. Neben Hartmann, Schudt, Tezel und Konarske haben auch Robert Stadlober und Robert Schupp starke Auftritte, aber auch Sascha Alexander Gersak und Felix Goeser machen sich gut als die harten Jungs im Präsidium, mit denen Faber im Dauerclinch liegt. Klein ihre Rollen, aber nachhaltig der Eindruck auch von Valerie Koch, Natalia Rudziewicz und Emily Cox, die vor allem ihre Gesichter sprechen lassen.
Passend zu diesem „Tatort“ ohne Gast-Stars ist der augenfällige Realismus, der in die Bilder dieses „Tatort“ eingeschrieben ist. Als ob Regisseurin Nicole Weegmann eine filmästhetische Entsprechung zum Parka von Kommissar Faber gesucht, ihn quasi bildgestalterisch hochgerechnet hätte – und so zusammen mit Kameramann Michael Wiesweg („Die geliebten Schwestern“) zu diesem glasklaren, fast Kino-like cadrierten Schmuddellook gekommen ist. Aus Dortmund-Dorstfeld, einer der Hochburgen der deutschen Neonazi-Szene, lässt sich wahrlich wenig Cooles zaubern und auch aus stillgelegten Hochofen lassen sich keine blühenden Landschaften machen. Das Team Dortmund ist weiter auf dem Weg in Richtung „Tatort“-Champions-League; damit entwickeln sich Faber, Bönisch & Co derzeit ganz anders als der BVB, der in „Hydra“ mal wieder etwas stärker in den Fokus rückte – als gefeierter, siegreicher Verein mit breiter rechtsextremer Fangemeinde. (Text-Stand: 13.12.2014)