Die Schnapsleichen türmen sich an einem jener Herrenabende in Münster. Die Honoratioren feiern bis zum Abwinken und mittendrin in den feuchtfröhlichen Reihen Staatsanwältin Klemm. Auch eine echte Leiche gibt es in dieser Nacht: Arno Berger, ein Geschäftsfreund aus dem Netzwerk um „Kartoffelkönig“ Hans Lüdinghaus. Die Gäste jener kleinen Einladung sind nicht gerade auskunftsfreudig – außerdem tauchte Berger bei dem Herrenabend auf, als alle schon ein bisschen „tirili“ waren. Klemm pfeift Terrier Thiel zurück. Und dann die nächste Außerordentlichkeit: am Tatort werden Fingerabdrücke sichergestellt, die dem Spitzenpolitiker Klarbach gehören. Der wurde vor eineinhalb Jahren für tot erklärt – von Prof. Börne! Während dieser übereifrig an seiner Rehabilitierung arbeitet, tappt Thiel weiter im Dunkeln. Mit diesem ganzen Herrenabend ist etwas oberfaul. Der wegen Korruption untergetauchte Klarbach ist wieder in Münster, wo er Kontakt mit seiner Familie aufnimmt: seine Frau ist selbstmordgefährdet, seine Tochter steckt voller Wut, sein Schwiegervater verachtet ihn.
Foto: WDR / Willi Weber
Familientristesse mit tragischem Tiefgang vs. Korruptionssumpf um „herzensgute Kapitalisten“, die gerne Weihnachtsmann spielen – zwischen diesen Polen bewegt sich das gewohnt launige „Tatort“-Team, das leichtfüßig durch Münster swingt, obwohl die Landschaft winterlich Trauer trägt und eine verbissene sexy-Dame vom Finanzamt Börne auf den Zahn fühlt. Selten flossen die unterschiedlichen Tonlagen beim Münsteraner „Tatort“ so reibungslos ineinander wie in „Herrenabend“ von Magnus Vattrodt (Buch) und Matthias Tiefenbacher (Regie). Tempo, Gag-Dichte und ein guter Erzählrhythmus lassen wenig Zeit, um mögliche „Unstimmigkeiten“ zwischen Witz und Tragik zu erkennen oder um sich andere kritische Gedanken zum Film zu machen. Was hängen bleibt, ist die Qualität vieler Szenen.
Gute Filme besitzen in der Regel zwei, drei Situationen, Bilder, an die man sich im Nachhinein erinnert. „Herrenabend“ besitzt weit mehr davon. Der zynische Kapitalist, der im Restaurant residiert; der Glaskäfig, in dem die Familie zu Grabe getragen wird; der einsame Politiker im schäbigen Kämmerchen, der via Webcam am Leben seiner Familie teilhat; das Treffen von Vater und Tochter im westfälischen Schneeland; die emotionalen Ausbrüche im Hause Klarbach; die erotischen Traum-Phantasien des kleinen Mannes, Kommissar Thiel, der Steuerprüferin Krassnik sagen hört: „Ich würde jetzt gerne nackt mit Ihnen zu Abend essen und Sie anschließend heiraten“… Die Besetzung ist großartig – und was die Schauspieler, allen voran Victoria Trauttmansdorff, Henriette Confurius, Ulrike Tscharre, Stephan Schad und Michael Wittenborn, daraus machen, ist sehenswert. (Text-Stand: 1.5.2011)