Richy Müller und Felix Klare treten kein schweres Erbe an. Umso überraschender sind die Frische und die Power, mit der das neue Stuttgart-Team von Beginn an zu Werke geht. „Hart an der Grenze“ ist ein gelungener „Tatort“-Einstand. Und das liegt nicht nur an zwei starken Schauspielern, sondern auch am Konzept, das biografische Fragen nur anreißt und die Neuen stattdessen gleich in ihren ersten Fall katapultiert. „Sie sind gezwungen, sofort zu handeln und erzählen uns dabei aber auch immer etwas über sich“, so Autor Holger Karsten Schmidt.
Über das Physische lenken Schmidt und Regisseur Elmar Fischer den Zuschauer zur Psychologie der Charaktere. Bei dem erzählten Fall ist das nicht anders. Ein totes Kind wird aus dem Neckar geborgen. In der Geschichte, die das Thema Kinderhandel nicht als pure Räuberpistole missbraucht, sondern auch unangenehme Fragen stellt, bleibt es keine x-beliebige Krimileiche. Im Verlauf der Handlung bekommt dieses Kind ein Gesicht, das Opfer drückt dem Krimi seinen Stempel auf. In einer komplizierten Welt sind auch komplizierte Krimi-Lösungen nötig – diesen Grundgedanken vieler moderner TV-Krimis scheint auch Schmidt zu beherzigen. Der Autor, dessen Repertoire vom klugen Problemfilm „In Sachen Kaminski“ bis zum knalligen Event-Movie „Die Sturmflut“ reicht, achtet stets auf die Balance zwischen komplexem Fall, klarer Kennung der Charaktere und stringenter Handlungsführung.
Mit dem Themenfeld Kinderhandel und illegale Adoption setzt der SWR-„Tatort“ ein deutliches Zeichen. Man will offenbar „hart an die Grenze“ gehen und das neue Team nicht auf Buddy-Geplänkel einschwören. „Das Thema schweißt die beiden beruflich recht schnell zusammen“, umschreibt Schmidt die dramaturgische Überlegung, „persönliche Befindlichkeiten treten in den Hintergrund.“ Dennoch ist jeder der beiden, ebenso wie die Staatsanwältin (sexy: Carolina Vera) und die Kriminaltechnikerin (Miranda Leonhardt), ein Typ für sich. Richy Müllers Thorsten Lannert ist ein bodenständiger Kommissar, der auf Erfahrung setzt und den nur selten etwas aus der Ruhe bringt. Richy Müller spielt ihn mit viel Witz wunderbar nach innen. Felix Klares Sebastian Bootz ist ein Ordnungsliebhaber. Er sammelt Fakten und analysiert gern. Mit 31 Jahren ist er bereits Hauptkommissar. Bei Klare ist er aber kein Bilderbuchkarrierist. Ohne sich anzubiedern, genießen die beiden von der ersten Minute an die volle Sympathie des Zuschauers. Und man hat Lust auf den zweiten Fall.
Modern, urban, multikulturell – so kommt der neue SWR-„Tatort“ daher. Stuttgart wird zur Metropole. Und auch filmisch lässt es Elmar Fischer krachen. Zeitgemäße Bildsprache trifft auf „Die Straßen von San Francisco“. Trotz Action und hohen Schnittfolgen ist „Hart an der Grenze“ kein klassisch cooler Krimi. Und das soll auch so bleiben. „Wir wollen ein Team, das Lebensfreude ausstrahlt“, betont Fischer. Lässige Grundhaltung und dennoch in die Tiefe gehen: diese Gratwanderung hat der SWR mit Lannert/Bootz im Auge. (Text-Stand: 9.3.2008)