Das Lachen der anderen kann er nicht gut aushalten. Johannes Bonifaz Hackl (Burghart Klaußner) ist ein polizeibekannter Querulant. Sein Wutpotenzial ist berüchtigt. Sogar Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) hat noch ein bleibendes Andenken an den Beißer vom Hasenbergl. Hier, im nächtlichen Schatten der Hochhausschluchten, ist ein junger Mann mit seinem Motorrad tödlich verunglückt. Ein sicherer Fahrer, kein Alkohol im Blut: Der Unfall war also gar kein Unfall. Ganz offensichtlich war ein Laserpointer im Spiel. Der ist zwar unauffindbar, aber in Hackls Gartenlaube findet sich anderes belastendes Material. Auch das Waffenarsenal auf seinem Balkon ist für einen Rentner beachtlich. Für den Wiederholungstäter bedeutet das U-Haft, der er sich allerdings gewaltsam entzieht. Kommissar Batic (Miroslav Nemec) macht dabei keine gute Figur. Trotz Großfahndung geht der schlaue Fuchs der Polizei zunächst nicht ins Netz. Für die Kommissare, die in dem sozialen Brennpunkt am Stadtrand Münchens ihre Zelte aufgeschlagen haben, bedeutet das: Sie haben Zeit, auch in andere Richtungen zu ermitteln. Ein Bruderzwist könnte ein weiteres mögliches Motiv sein. Der minderjährige Alex Moser (Aaron Reitberger) hatte Wut auf seinen erfolgsverwöhnten Bruder. Und der 15jährige Jonas Mittermeier (Lorenzo Germeno), blickte neidisch auf das Leben des Mittzwanzigers, auf dessen Freundin (Irina Kurbanova) er ein Auge geworfen hat.
Die „Blick“-Metaphern sind nicht zufällig gewählt. Während alle anderen im Hasenbergl in gleichförmigen Schließfachhochhauswohnungen leben, bewohnen die Mosers einen kleinen Bungalow mit Gärtchen inmitten dieser grauen Betonwüste. Von den Balkonen der Verdächtigen hat man die soziale Ungleichheit tagtäglich im Blick. Neben dem Wut- spielt also auch der Neidfaktor eine zentrale Rolle in dem BR-„Tatort – Hackl“. Dem einen steigt der Grant in den Kopf, den anderen treiben die Hormone an den Rand der Psychiatrie. Diese Welt ist bedrückend. Das färbt auch auf die Kommissare ab. Auf die Neckereien der Silberlocken wird verzichtet, das würde in diesem Mikrokosmos nur deplatziert wirken. Allerdings fliegen ein Mal so richtig die Fetzen zwischen Batic und Leitmayr, der seinem Kollegen vorwirft, sich beim Haftprüfungs-Termin vom Hackl hat austricksen lassen. Zwar gibt es weiterhin Differenzen, doch werden diese vornehmlich mit Blicken ausagiert. Überhaupt findet Regisseurin Katharina Bischof („Ein Schritt zu viel“, „Tatort: Luna frisst oder stirbt“) für den realistischen Stoff, der am Alltag der Charaktere und weniger am Genrehaften ausgerichtet ist, die passende Inszenierung. Zwar sieht man immer wieder den humpelnden Hackl auf der Flucht vor der Polizei, aber neben dem Whodunit stellt sich hier noch mehr die Frage: Wie lässt es sich in einem solchen sozialen Umfeld aushalten, ja, wie überlebt man hier?
Der 92. „Tatort“ mit Batic/Leitmayr nimmt sich gleich mehrerer gesellschaftlicher Themen an, die die Drehbuchautorin Dagmar Gabler („Tatort: Der Fall Reinhardt“, „Tatort: Wir – Ihr – Sie“) allein über die Geschichten, also ohne eine explizite dialogische Aufarbeitung, ins Spiel bringt. Was macht es mit den Menschen, die auf so engem Raum zusammenleben und die ständig den „Nebengeräuschen“ der Großstadt ausgeliefert sind: dem Motor(rad)lärm, den lauten Nachbarn, der Spanner-Drohne, die in die Intimsphäre eindringt, dieser Gleichförmigkeit, jeden Tag und wohin man schaut. „Hackl“ aber erzählt noch mehr: von begehrlichen und missgünstigen Blicken, vom Haben und Nichthaben, von der Einsamkeit, in der sich nicht nur der Alte mit den Jüngeren, den offenbar Zufriedeneren, neidisch vergleicht. Und doch gibt es auch solche, die sich eingerichtet haben in diesem Leben wie die beiden Freundinnen Ulli Weber (Hanna Scheibe) und Sandra Mittermeier (Carolin Conrad), die allerdings mit ihrem pubertierenden, übergriffigen Sohn deutlich überfordert ist.
Wer Thriller-Spannung bevorzugt, der kommt bei diesem unspektakulären, nachdenklich stimmenden Münchener „Tatort“ nicht auf seine Kosten. Im Zentrum – sogar als Titelgeber – steht ein Wutbürger, weniger aus politischer Überzeugung als aus tiefster Seele, ein Rentner, Mitte 70, der die heutige Zeit nicht mehr versteht: Das lenkt den Krimi in Richtung Drama. Burghart Klaußner, 1949 in Berlin geboren, überrascht als Urbayer mit Sepplhut. Weniger überrascht es, dass einer der renommiertesten Schauspieler seiner Generation diesen brüllenden, fluchenden und beißenden jähzornigen Zeitgenossen absolut glaubwürdig verkörpert. Ohnehin hat er nur drei, vier Sätze („Ihr könnt’s mia gar nix“). Ansonsten reichen ihm Schimpfwörter („Du, Saukrüppel, Du!“) oder Schläge, um seiner menschlichen „Zeitbombe“ ein Gesicht zu geben. Dass Hackls Wut, bei denen, die es mit ihm zu tun bekommen, eine ähnliche Wut erzeugt, betont die toxische Wirkung dieses Gefühls, das sich gnadenlos hochschaukeln kann und sogar auf das Verhalten der befreundeten Kommissare abfärbt. Diese sozialpsychologischen Zwischentöne sind stimmig und beiläufig in die Narration eingewoben. Nur einer kann sich dem schlechten Karma entziehen: Kollege Kalli (Ferdinand Hofer). Der recherchiert fleißig und findet dennoch immer wieder Zeit für seine Fitness, tatkräfig angeleitet vom Influencer Kenny, eine Gast-Rolle für Joshua Kimmich, der wie alle Fußballgrößen im „Tatort“ vor ihm (Vogts, Bierhoff, Löw, Steffi Jones) dafür ganz bestimmt keinen Grimme-Preis gewinnen wird. (Text-Stand: 4.2.2023)