An der Leiche von Irina Meinert werden DNA-Spuren ihres Ex-Mannes Holger Drake gefunden. Doch der sitzt im Knast. In der Justizvollzugsanstalt Zuffenhausen, die als die beste und sicherste im Land Baden-Württemberg gilt. Drake hatte seiner Frau beim Prozess gedroht, aber zum Tatzeitpunkt hatte er gar keinen Freigang. Ein Mörder mit wasserdichtem Alibi, wie kann das sein? Um den Strukturen und Seilschaften in der JVA auf die Spur zu kommen, wird Lannert als verdeckt ermittelnder Schließer eingeschleust. Im 14. Fall des SWR-Teams geht es auch ein wenig zurück zu den Anfängen, denn zu Lannerts Filmlegende gehört, dass er vor seinem Wechsel nach Stuttgart in Hamburg undercover gearbeitet hat.
Die Krimi-erfahrenen Martin Eigler (Buch/Regie) und Sönke Lars Neuwöhner (Buch) bieten im „Tatort – Freigang“ alles andere als Routine. Statt der Mördersuche in einem klassischen Whodunit rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie das System hinter den Mauern dieser JVA funktioniert. Wer gehört zur Familie? Wer hat das Sagen? Bemerkenswert auch, dass hier einige der üblichen Klischees eines Knast-Krimis – Drogenhandel und Gewalt zwischen rivalisierenden Häftlingsbanden – weitgehend vermieden werden. Das Wachpersonal steht im Fokus. Und die „familiären“ Strukturen, mit einem Oberhaupt an der Spitze, das sich bis ins Privatleben drängt. Herbert Knaup spielt diesen „King“ genannten Knast-Patriarchen Andreas Franke, den Sicherheitschef der JVA, breitbeinig und laut, autoritär und auch ordinär. Eine starke Besetzung und eine gewohnt starke Partie von Knaup. Ein Elvis-Double auf der Bühne und gelegentliche musikalische Reminiszenzen an den „King of Rock’n’Roll“ sind eher Spielerei und stehen nicht unbedingt schlüssig mit Frankes Figur in Verbindung. Man soll sich wohl erinnern: Elvis Presley feierte als Häftling in „Jailhouse Rock“ einen großen Leinwand-Erfolg. Die schwäbische Note in diesem Krimi, in dem Stuttgart und das Umland weitgehend unsichtbar sind, wird einer einzigen Figur übertragen. Das wirkt etwas aufgesetzt, doch Valerie Koch macht das als Schwäbisch schwätzende Barbara Scheffler überzeugend.
Sowohl Schefflers Ehemann Carsten als auch ihr Vater arbeiten im Knast als Schließer. Besonders Carsten scheint unter Druck zu stehen. Lannert bemüht sich darum, Vertrauen aufzubauen, doch bevor er Näheres in Erfahrung bringt, wird Scheffler tot im Keller des Gefängnisses gefunden. Familienstress hat auch Lannerts Kollege Bootz. Nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, reicht sie nun die Scheidung ein. Und das Gezerre um die Kinder hat schon begonnen. Bootz ist gereizt und unglücklich, was auch zu Spannungen mit Lannert führt, mit dem er sich heimlich zu Absprachen in einem Bordell trifft. Bootz‘ Privatleben spielt eine nachvollziehbare Rolle und fügt sich gut in die Handlung ein.
Neuwöhner und Eigler kommen zügig zur Sache, beginnen mit der Knast-Erzählung acht Wochen nach Lannerts Arbeitsbeginn als verdeckt ermittelnder Schließer Peter Seiler. Der Zeitsprung ist eine kluge dramaturgische Entscheidung, denn Lannert alias Seiler hat sich nun bereits eingearbeitet und einen Überblick verschafft. Der großartige, zurückhaltend agierende Richy Müller bewegt sich langsam und bedächtig durch Gänge und Zellen. Die Spannung beruht über weite Strecken nicht auf Tempo und Dynamik, sondern auf genauer Beobachtung und einem geschickt inszenierten Beziehungsgeflecht innerhalb und außerhalb des Gefängnis-Universums. Und spannend wird es umso mehr, da der „King“ dem Neuen auf den Zahn fühlt. Seiler muss sich bewähren, wenn er in die „Familie“ aufgenommen werden will. Und im dann doch actionreichen Finale warten Eigler und Neuwöhner noch mit einer überraschenden Wendung auf. Ein kluger, unterhaltsamer „Tatort“ aus Stuttgart. (Text-Stand: 14.5.2014)