Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) sind am Ende ihres Ermittler-Lateins. Kopfzerbrechen bereitet ihnen ein Fall, der über dreißig Jahre zurückliegt. 1987 wurde ein Mann, Alois Meininger (Martin Leutgeb), des Mordes an einer jungen Frau überführt: Geschlechtsverkehr nach der Disco und anschließende Tötung in den Isarauen. Vor einem Jahr wurde der Mann entlassen, und er hat offenbar wieder einen Mord begangen. Vor der Tat war Meininger damals bei dem renommierten Psychotherapeuten Norbert Prinz (Peter Franke) in Behandlung. Sitzungsprotokolle lassen erkennen, dass der Therapeut ein besonderes Interesse an dem jungen Mann gehabt zu haben scheint; ja, er hat sich sogar in dessen privates Refugium, seinen „Bunker“, begeben. Ist es womöglich der Ort, an dem sich Meininger heute versteckt hält? „Absolut unprofessionell“, bewerten der Neuropsychologe Prof. Vonderheiden (André Jung) und seine Mitarbeiterin Laura Lechner (Anna Grisebach) das Verhalten des Kollegen. Dennoch wollen sie mit ihrem Pilotprojekt helfen, Prinzens Langzeiterinnerungen zu reaktivieren. Das ist alles andere als leicht: Denn der Mann ist demenzkrank. Ein vertrautes Setting soll dem Probanden das Eintauchen in die Vergangenheit erleichtern. Der Raum seiner Praxis wurde nachgebaut. Prinz fühlt sich hier auch sofort heimisch. Doch Leitmayr ist mit dem psychologischen „Gespräch“ überfordert. Kommissar bleibt eben doch Kommissar.
Die Ausgangsidee zum „Tatort – Flash“ nimmt nicht nur Bezug auf ein aufregendes neurologisches Experiment, sie erschließt im Rahmen eines Krimis auch neue dramaturgische Möglichkeiten. Die immergleichen Befragungen und Vernehmungen werden durch zugewandte, differenziertere Gespräche ersetzt. So hat man jedenfalls anfangs den Eindruck. Die Kommissare wollen etwas von ihrem Gegenüber: Sie wollen, dass das Forschungsinstitut mitspielt, sie wollen, dass die von der häuslichen Betreuung gestresste Nele Prinz (Jenny Schily) die Zustimmung gibt, ihren dementen Vater befragen zu dürfen, sie wollen, dass sich dieser Mann erinnert. Obwohl die Kommissare offenbar unter hohem Druck stehen, nehmen sie sich Zeit und hören zu; aber ist ein Satz wie „Das hab‘ ich schon einmal gehört“ tatsächlich ein kriminalistischer Durchbruch? Interessant jedenfalls ist es, dieser „Reminiszenz-Therapie“ in der Praxis zuzuschauen. Zu Beginn finden sich demente Probanden im Institut zum wöchentlichen Gesellschaftstanz ein: Sie schwelgen in Erinnerungen, nehmen ein sinnliches Bad in der Vergangenheit – was durchaus heilsam sein kann (wie es einem der Wohlfühlfilm „Für dich dreh ich die Zeit zurück“ tragikomisch vorgeführt hat). Der Effekt für Prinz scheint sich als weniger heilsam herauszustellen – zumal sich für den Zuschauer alsbald die Frage stellt, ob das Interesse an ihm nicht möglicherweise in eine ganz andere Richtung zielt: Der Psychologe kannte nicht nur Meininger und dessen Haarfetisch, sondern auch das Opfer.
Auch wenn dieser Aspekt den Fall etwas komplexer macht, so sind es weniger Krimi-Finalität und Spannung, sondern mehr die zwischenmenschlichen Momente in „Flash“, die in Erinnerung bleiben werden. Gesunde Beziehungen scheinen die Ausnahme zu sein in diesem „Tatort“. Eine Tochter, die mit ihrem dementen Vater unter einem Dach lebt, im selben Bett schläft und von ihm wie ein Teenager behandelt wird. Ein Professor, der eine seltsame Affäre mit seiner Kollegin und offensichtlich einen Riesenrespekt vor deren Sohn hat. Und Meininger mit seinem ausgewachsenen Langhaarfetisch ist ohnehin ein klinischer Fall. Dass er im Schlussdrittel die Nähe zu Prinzens Tochter sucht, ist eher ein vordergründiges Zugeständnis an das Thriller-Genre. Das, was in diesem Film nachhallt, das sind die Interaktionen, die nostalgischen Momente und es ist Led Zeppelins „Whole lotta Love“, das sich wie eine musikalische Reminiszenz, ein Urschrei, über die Mordszene legt – und damit dem Bild von „Puppen, die an Fäden hängen“, von jungen Frauen, die im Rhythmus der Rockmusik vor sich hin zappeln, wie es Meininger beschreibt, nahekommt. Die Rock-Disco „Flash“ wird auf der Zielgeraden noch einmal in der Phantasie des Täters zum Leben erweckt. Der Raum, der Geruch, die Musik, das flackernde Licht – Bild gewordene Reminiszenz-Therapie. Das Heute wird mit dem Gestern verschnitten. Räume als Orte der Identitätssuche. Kommunikation als toxisches Spiel. Für solche Stoffe und Ermittlungsmethoden ist Regisseur Andreas Kleinert („Lieber Thomas“ / „Monsoon Baby“ / „Sag mir nichts“) immer zu haben. So soll er bei diesem Drehbuch von Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser nicht lange gezögert haben. Und das filmische Ergebnis fällt entsprechend überzeugend aus: bestechend das Vintage-Design, ebenso affektiv wie effektiv die elegante Montage. Räume als Erinnerungsanker.
Dramaturgisch ist dieser BR-„Tatort“ nicht ganz unproblematisch. Wir haben es zwar nicht mit einer gelogenen Rückblende (wie etwa in „Die rote Lola“) zu tun, die für Hitchcock den Tod einer jeden Krimi-Logistik bedeutete. Allerdings kann man sich auf die Informationen, die dem Zuschauer gegeben werden, nicht hundertprozentig verlassen. Und so mischt sich in den Film mit seiner aufregenden, faszinierenden Lösungsmethode gleichsam ein bitterer Beigeschmack. Irgendwas stimmt da nicht. Die Kommissare führen „ermittlungstechnische Gründe“ an – und belassen alles (bewusst) im Vagen. „Das ist schon so eine Art Missbrauch, was wir da machen“, stellt Leitmayr während der Ermittlungen fest. Dem Film kann man diesen Missbrauchsvorwurf nicht machen – wird doch die ganze Tragik, die ein solches Demenz-Schicksal in der Familie birgt, im Spiel von Peter Franke und Jenny Schily ohne Krimi-like Verharmlosung nachdrücklich miterzählt. Der demente Prinz wird demnach nicht zur Laborratte. Und der Zuschauer? Der kann sich schon ein bisschen am Gängelband gezogen fühlen von den Autoren, die das Mehrwissen der Kommissare für sich behalten. Es gibt allerdings sicherlich auch Zuschauer, die einen überraschenden Twist wie den finalen in „Flash“ als coolen Bruch mit den Sehgewohnheiten sehen und für besonders clever halten.