Tatort – Flash

Wachtveitl, Nemec, Franke, Schily, Jung, Andreas Kleinert. Ein Ermittlungsexperiment

Foto: BR / Hendrik Heiden
Foto Rainer Tittelbach

Ein dementer Psychotherapeut soll in einem Mordfall mit historischen Wurzeln den Münchner Kommissaren endlich zu einem Ermittlungsdurchbruch verhelfen. Doch Leitmayr ist mit dem psychologischen „Gespräch“ auf der Basis der sogenannten „Reminiszenz-Therapie“ zunächst überfordert. Außerdem spielen er und Batic offenbar nicht mit offenen Karten… Die Idee zum „Tatort – Flash“ (BR / Tellux) nimmt nicht nur Bezug auf ein aufregendes neurologisches Experiment, sie erschließt auch neue dramaturgische Möglichkeiten. Die immergleichen Befragungen und Vernehmungen werden durch differenziertere Gespräche ersetzt – nur, bringt das die Ermittlungen weiter? Das, was in dem bestechend inszenierten Film von Andreas Kleinert nachhallt, das sind die Interaktionen, die nostalgischen Momente und es ist „Whole lotta Love“, das sich wie ein Urschrei über die Mordszene legt. Räume als Orte der Identitäts-Suche. Design als Lustobjekt. Kommunikation als toxisches Spiel. Nur was die Dramaturgie angeht, bleibt nach dem vermeintlich cleveren Final-Twist ein bitterer Nachgeschmack.

Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) sind am Ende ihres Ermittler-Lateins. Kopfzerbrechen bereitet ihnen ein Fall, der über dreißig Jahre zurückliegt. 1987 wurde ein Mann, Alois Meininger (Martin Leutgeb), des Mordes an einer jungen Frau überführt: Geschlechtsverkehr nach der Disco und anschließende Tötung in den Isarauen. Vor einem Jahr wurde der Mann entlassen, und er hat offenbar wieder einen Mord begangen. Vor der Tat war Meininger damals bei dem renommierten Psychotherapeuten Norbert Prinz (Peter Franke) in Behandlung. Sitzungsprotokolle lassen erkennen, dass der Therapeut ein besonderes Interesse an dem jungen Mann gehabt zu haben scheint; ja, er hat sich sogar in dessen privates Refugium, seinen „Bunker“, begeben. Ist es womöglich der Ort, an dem sich Meininger heute versteckt hält? „Absolut unprofessionell“, bewerten der Neuropsychologe Prof. Vonderheiden (André Jung) und seine Mitarbeiterin Laura Lechner (Anna Grisebach) das Verhalten des Kollegen. Dennoch wollen sie mit ihrem Pilotprojekt helfen, Prinzens Langzeiterinnerungen zu reaktivieren. Das ist alles andere als leicht: Denn der Mann ist demenzkrank. Ein vertrautes Setting soll dem Probanden das Eintauchen in die Vergangenheit erleichtern. Der Raum seiner Praxis wurde nachgebaut. Prinz fühlt sich hier auch sofort heimisch. Doch Leitmayr ist mit dem psychologischen „Gespräch“ überfordert. Kommissar bleibt eben doch Kommissar.

Tatort – FlashFoto: BR / Hendrik Heiden
„Jetzt geht es direkt ins Bett.“ Umkehrung der Verhältnisse durch die Demenz des Vaters (Peter Franke). Die Tochter (Jenny Schily) gibt sich Mühe, ist häufig der Verzweiflung nahe. Das Thema wird hier keineswegs für den Krimi missbraucht.

Die Ausgangsidee zum „Tatort – Flash“ nimmt nicht nur Bezug auf ein aufregendes neurologisches Experiment, sie erschließt im Rahmen eines Krimis auch neue dramaturgische Möglichkeiten. Die immergleichen Befragungen und Vernehmungen werden durch zugewandte, differenziertere Gespräche ersetzt. So hat man jedenfalls anfangs den Eindruck. Die Kommissare wollen etwas von ihrem Gegenüber: Sie wollen, dass das Forschungsinstitut mitspielt, sie wollen, dass die von der häuslichen Betreuung gestresste Nele Prinz (Jenny Schily) die Zustimmung gibt, ihren dementen Vater befragen zu dürfen, sie wollen, dass sich dieser Mann erinnert. Obwohl die Kommissare offenbar unter hohem Druck stehen, nehmen sie sich Zeit und hören zu; aber ist ein Satz wie „Das hab‘ ich schon einmal gehört“ tatsächlich ein kriminalistischer Durchbruch? Interessant jedenfalls ist es, dieser „Reminiszenz-Therapie“ in der Praxis zuzuschauen. Zu Beginn finden sich demente Probanden im Institut zum wöchentlichen Gesellschaftstanz ein: Sie schwelgen in Erinnerungen, nehmen ein sinnliches Bad in der Vergangenheit – was durchaus heilsam sein kann (wie es einem der Wohlfühlfilm „Für dich dreh ich die Zeit zurück“ tragikomisch vorgeführt hat). Der Effekt für Prinz scheint sich als weniger heilsam herauszustellen – zumal sich für den Zuschauer alsbald die Frage stellt, ob das Interesse an ihm nicht möglicherweise in eine ganz andere Richtung zielt: Der Psychologe kannte nicht nur Meininger und dessen Haarfetisch, sondern auch das Opfer.

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„Whole lotta Love“: Mörderisch laut war die Musik in der Rock-Disco „Flash“. Nicht nur die Frauen bewegten sich wie „Marionetten“. Sandra Kühn (Patricia Ivanauskas)

Auch wenn dieser Aspekt den Fall etwas komplexer macht, so sind es weniger Krimi-Finalität und Spannung, sondern mehr die zwischenmenschlichen Momente in „Flash“, die in Erinnerung bleiben werden. Gesunde Beziehungen scheinen die Ausnahme zu sein in diesem „Tatort“. Eine Tochter, die mit ihrem dementen Vater unter einem Dach lebt, im selben Bett schläft und von ihm wie ein Teenager behandelt wird. Ein Professor, der eine seltsame Affäre mit seiner Kollegin und offensichtlich einen Riesenrespekt vor deren Sohn hat. Und Meininger mit seinem ausgewachsenen Langhaarfetisch ist ohnehin ein klinischer Fall. Dass er im Schlussdrittel die Nähe zu Prinzens Tochter sucht, ist eher ein vordergründiges Zugeständnis an das Thriller-Genre. Das, was in diesem Film nachhallt, das sind die Interaktionen, die nostalgischen Momente und es ist Led Zeppelins „Whole lotta Love“, das sich wie eine musikalische Reminiszenz, ein Urschrei, über die Mordszene legt – und damit dem Bild von „Puppen, die an Fäden hängen“, von jungen Frauen, die im Rhythmus der Rockmusik vor sich hin zappeln, wie es Meininger beschreibt, nahekommt. Die Rock-Disco „Flash“ wird auf der Zielgeraden noch einmal in der Phantasie des Täters zum Leben erweckt. Der Raum, der Geruch, die Musik, das flackernde Licht – Bild gewordene Reminiszenz-Therapie. Das Heute wird mit dem Gestern verschnitten. Räume als Orte der Identitätssuche. Kommunikation als toxisches Spiel. Für solche Stoffe und Ermittlungsmethoden ist Regisseur Andreas Kleinert („Lieber Thomas“ / „Monsoon Baby“ / „Sag mir nichts“) immer zu haben. So soll er bei diesem Drehbuch von Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser nicht lange gezögert haben. Und das filmische Ergebnis fällt entsprechend überzeugend aus: bestechend das Vintage-Design, ebenso affektiv wie effektiv die elegante Montage. Räume als Erinnerungsanker.

Dramaturgisch ist dieser BR-„Tatort“ nicht ganz unproblematisch. Wir haben es zwar nicht mit einer gelogenen Rückblende (wie etwa in „Die rote Lola“) zu tun, die für Hitchcock den Tod einer jeden Krimi-Logistik bedeutete. Allerdings kann man sich auf die Informationen, die dem Zuschauer gegeben werden, nicht hundertprozentig verlassen. Und so mischt sich in den Film mit seiner aufregenden, faszinierenden Lösungsmethode gleichsam ein bitterer Beigeschmack. Irgendwas stimmt da nicht. Die Kommissare führen „ermittlungstechnische Gründe“ an – und belassen alles (bewusst) im Vagen. „Das ist schon so eine Art Missbrauch, was wir da machen“, stellt Leitmayr während der Ermittlungen fest. Dem Film kann man diesen Missbrauchsvorwurf nicht machen – wird doch die ganze Tragik, die ein solches Demenz-Schicksal in der Familie birgt, im Spiel von Peter Franke und Jenny Schily ohne Krimi-like Verharmlosung nachdrücklich miterzählt. Der demente Prinz wird demnach nicht zur Laborratte. Und der Zuschauer? Der kann sich schon ein bisschen am Gängelband gezogen fühlen von den Autoren, die das Mehrwissen der Kommissare für sich behalten. Es gibt allerdings sicherlich auch Zuschauer, die einen überraschenden Twist wie den finalen in „Flash“ als coolen Bruch mit den Sehgewohnheiten sehen und für besonders clever halten.

Tatort – FlashFoto: BR / Hendrik Heiden
Im 60er-Jahre-Partyraum versuchen die älteren, sehr vergesslichen Herrschaften etwas vom Glück ihrer Jugend zu erinnern. Der Professor (Jung) erklärt, wie es funktioniert: Es gehe um „die Beeinflussung der Sinne durch Möbel, durch Musik, durch Kleidung, Gerüche oder durch ein Ambiente aus einer Zeit, in der die Person sehr aktiv war und sehr viele emotionale Erlebnisse gespeichert hat“. Wachtveitl, Nemec & Griesebach

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Reihe

BR

Mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Peter Franke, Jenny Schily, André Jung, Martin Leutgeb, Anna Grisebach, Kilian Klösters, Patricia Ivanauskas

Kamera: Johann Feindt

Szenenbild: Franziska Ganzer

Kostüm: Mo Vorwerck

Schnitt: Gudrun Steinbrück-Plenert

Musik: Daniel Michael Kaiser

Redaktion: Cornelius Conrad

Produktionsfirma: Tellux Film

Produktion: Martin Choroba, Ferdinand Freising

Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner, Sven S. Poser

Regie: Andreas Kleinert

Quote: 6,85 Mio. Zuschauer (25,5% MA)

EA: 19.06.2022 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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