Tatort – Fährmann

Zuercher, Schuler, Braunschweig, Brunner, Langenegger, Schaerer. Einsamkeit macht Mörder

Foto: SRF / Sava Hlavacek
Foto Martina Kalweit

Stefan Brunner und Lorenz Langenegger haben das Ermittlerinnen-Duo Grandjean/Ott 2020 für den Schauplatz Zürich kreiert. In „Tatort – Fährmann“ (SRF / Zodiac Pictures) variieren die Autoren ihre Figuren. Auf der Suche nach einem Serientäter driftet das Team voneinander fort und trifft sich unter veränderten Umständen wieder. Von jetzt an sagt man vielleicht du zueinander. Das Motiv ist in diesem Fall zweitrangig. Es geht um Befindlichkeiten und Schwächen, die andere zu nutzen wissen.Trotz der neuen Nähe feiert der „Tatort“ Zürich Weihnachten ohne Zuckerguss. Das allein ist schon viel wert.

Eine anonyme Botschaft mit GPS-Koordinaten und einem Aphorismus lotst Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) hinunter an den Fluss. Am nächtlichen Ufer findet die Zürcher Kommissarin die Leiche eines mit Schierling vergifteten Mannes. Im Mund des Opfers steckt eine antike Münze. Der Mythologie nach ist der „Charonspfennig“ ein Obolus für die Fährfahrt in das Totenreich des Hades. „Ein Wichtigtuer“, bringt Staatsanwältin Wegenast (Rachel Braunschweig) die Täterprognose nüchtern auf den Punkt. Und nur Grandjean ahnt, warum ausgerechnet sie das Opfer finden sollte. Mit einen Schierlingsmord begann ihre Karriere bei der Kripo.

Ganz anders als wichtigtuerisch wirkt Marek (Lucas Gregorowicz) aus Warschau. Grandjean, ein wenig einsam im Advent, begegnet ihm am Glühweinstand. Marek trifft den richtigen Ton und ist überaus charmant. Später, an einem anderen Schauplatz wird aus Marek der Unternehmensberater Kowalski. Einer, den viele fürchten. In der Bank wissen sie schon Bescheid: Kowalski macht die Ansagen und dann fliegen Leute raus. Auf dem Flur geht man dem Mann besser aus dem Weg. Allein im Besprechungsraum spielt Kowalski den Schicksalsgott. Er liebt es, den Zufall über die Statistik siegen zu lassen. Marek Kowalski ist ein Teufel in feinem Zwirn. Aber: auch er steht längst am Ufer. Ein bösartiger Hirntumor zwingt ihn in die Knie.

Tatort – FährmannFoto: SRF / Sava Hlavacek
Am Glühweinstand war er noch ein ganz anderer Mensch: dieser Marek (Lucas Gregorowicz) aus Warschau. Doch dann wird aus ihm der Unternehmensberater Kowalski. Einer, den viele fürchten. Er macht die Ansagen und dann fliegen die Leute raus…

Von Anfang an wissen wir mehr über Kowalski als die Kommissarinnen. Den Täter umgibt ein Rätsel, das zwar nicht als zwingend schlüssiges Mordmotiv durchgeht, die Figur aber interessant macht. Das Motiv ist in diesem Fall zweitrangig. Es geht um Befindlichkeiten und Schwächen, die andere zu nutzen wissen. Die Autoren Stefan Brunner und Lorenz Langenegger haben das Duo Grandjean/Ott 2020 für den Schauplatz Zürich kreiert. In „Tatort: Fährmann“ variieren sie ihre Figuren. Regisseur Michael Schaerer („Tatort: Von Affen und Menschen“, 2024) nimmt vor allem Grandjean unter die Lupe. Wie auf dem Seziertisch folgen wir ihr durch ein trauriges Solo. Ihre Einsamkeit und ihre Zweifel, in einem früheren Fall versagt und damit einen Menschen in den Freitod getrieben zu haben, machen sie angreifbar. Ungeschminkt und erfreulich unkitschig tauschen die Kommissarinnen die Rollen. Die sonst kontrollierte Grandjean gerät aus der Bahn, die üblicherweise impulsive Tessa Ott (Carol Schuler) behält den Überblick. Als sie nicht mehr zu ihrer Kollegin durchdringt, erkennt sie die Gefahr.

Ott ist es auch, die die „normalen“ Ermittlungsschritte abarbeitet. Während das Geschehen rund um Grandjean eher den Genre-Regeln eines Psychothrillers folgt, geht Ott ganz klassisch der Fährte des Opfers nach, findet Beweismittel und recherchiert mit Datenanalyst Noah (Aaron Arens darf wie immer wenig mehr als vor Monitoren sitzen) ähnliche Fälle aus der Vergangenheit. Die verteilen sich auf mehrere Standorte. Was die Opfer eint, ist der Verlust ihrer Arbeit kurz bevor sie vergiftet wurden. „Globalisierte Wirtschaft, globalisierte Serientäter“ – nicht einer der besten Dialogsätze, aber einer von der Tessa Ott, die man kennt.

Die Vorweihnachtszeit übersetzt „Tatort – Fährmann“ nicht in rieselnden Schnee, sondern in Schneeregen, der Menschen mit langem Haar traurig aussehen lässt. Dazu blinken Lichterketten und verschwimmen Farbakzente im Hintergrund. Die Bilder sind nicht so spektakulär wie in Schaerers letztem Zürich-Fall. Sie setzen auf Realismus. Im Kontrast zu den Farbspielen hinter Nahaufnahme oder Dialogszene bewegen sich die Ermittlerinnen oft durchs Dunkel. Besonders überzeugen die Gegensätze zwischen warm und kalt beim zweiten Wiedersehen von Grandjean und Marek. Nachdem sie langsam den Zusammenhang ihrer „Zufallsbegegnung“ erkennt, verlässt er die Szene und alle Lichter gehen aus. In der nächsten Einstellung fährt die Kamera dann an der kalten Betonfassade des Polizeipräsidiums entlang. So sieht die Welt wirklich aus. Sparsam geht dieser „Tatort“ mit den titelgebenden Verweisen aus der griechischen Mythologie um. Das Bild des Fährmanns schwebt wiederholt im Nebel vorüber. Während sich eine Frau vom Ufer ins Licht zurückkämpft, wartet am Ende ein Mann vergeblich auf die Passage. Anna Piri Zuercher überzeugt in dramatischen Finale und Carol Schuler ist doch noch ein guter Spruch gegönnt. „Ich stürm jetzt dann gleich ne Großbank, geil – oder?“ ruft sie Grandjean zu. Da haben sich die beiden längst wieder gefunden.

Tatort – FährmannFoto: SRF / Sava Hlavacek
Einsam an Weihnachten: Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher). Befindlichkeiten ja, Zuckerguss nein.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ARD Degeto, SRF

Mit Anna Pieri Zuercher, Carol Schuler, Rachel Braunschweig, Lucas Gregorowicz, Aaron Arens, Peter Jecklin, Igor Kovac, Dominique Bourquin

Kamera: Gabriel Sandru

Szenenbild: Marie-Claude Lang Brenguir

Schnitt: Wolfgang Weigl

Musik: Mirjam Skal

Redaktion: Fabienne Andreoli, Gabriella de Gara, Tamara Mattle (SRF), Birgit Titze (ARD Degeto)

Produktionsfirma: Zodiac Pictures

Produktion: Sarah Bossard, Reto Schaerli, Lukas Hobi

Drehbuch: Stefan Brunner, Lorenz Langenegger

Regie: Michel Schaerer

Quote: 7,02 Mio. Zuschauer (24,3% MA)

EA: 22.12.2024 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach