Tatort – Es ist böse

Kunzendorf, Kròl, Kraume & Kornatz. Der Trieb geht um am Frankfurter "Tatort"!

Foto: HR / Johannes Krieg
Foto Rainer Tittelbach

Conny Mey reißt einen brutalen Prostituiertenmordfall, der nach Serie riecht, an sich. Geht ein Fetischmörder, der keine Spuren hinterlässt, in Frankfurt um? Diese Ekel-Szenarien mit Kehlkopfschnitten dürften nicht jedermanns Sache sein. Konsequent aber ist die Wertung: Gewalt wird hier weder ästhetisiert, noch vordergründig mit Angst-Lust goutierbar gemacht. In „Es ist böse“ ist Gewalt das, was sie ist: hässlich und abstoßend. Und diese Gewalt muss Folgen haben – für die Figuren. Ein harter Brocken, dieser Film. Frankfurt ganz unten. Frankfurt ziemlich krank. Nicht einmal die Filmsprache kann da für Entlastung sorgen!

„Es ist böse“, begrüßt Steier seine Kollegin am Tatort. Eine Prostituierte ist brutal ermordet worden. Keine Sperma-Spuren. Es könnte ein Raubmord sein. Aber weshalb dann dieses Blutbad, dieses sinnlose Gemetzel mit Schnittwunden am ganzen Körper und einem postmortalen Kehlkopfschnitt? Conny Mey soll von diesem „unschönen“ Fall, der nach Serie riecht, abgezogen werden. Sie ist empört – darüber, dass der korrupte Kollege Seidel eine zweite Chance bekommt, und vor allem darüber, dass er den Prostituiertenmord übernehmen soll. „Ich hab vor nichts Angst“, tönt sie und reißt den Fall wieder an sich. Nun muss sie gemeinsam mit ihrem Lieblingsfeind Seidel ermitteln, während Steier im Hintergrund die Anatomie des Mordes analysiert. „Weshalb sind Sie von diesem Fall so besessen?“, fragt er seine Kollegin. Die gibt keine Antwort – kümmert sich lieber um andere Besessener: um einen Polizeireporter, einen vermeintlichen „Frauenschlitzer“ und um den Ex der Prostituierten, einen „Nutten“-Lover. Und dann findet die Spurensicherung Zellophan unter den Fingernägeln des Opfers. Hat es Frankfurt mit einem Fetischmörder zu tun, der keine Spuren hinterlässt?

Tatort – Es ist böseFoto: HR / Johannes Krieg
Die Kollegen Steier (Joachim Król) und Seidel (Peter Kurth) beißen sich an einem Verdächtigen die Zähne aus.

Braucht es einen weiteren Prostituierten-Serienmörder im deutschen Fernsehen? Braucht es Kehlkopfschnitte in einem „Tatort“-Drehbuch? Bedarf es akribischer Beschreibungen blutiger Tathergänge („das Blut ist senkrecht ausgeflossen“)? Solche Fragen kann man sich schon stellen – auch als Fan des neuen Frankfurter Ermittler-Teams… „Es ist böse“ ist ein harter Brocken. Darin ist der Film konsequent. Auf die Gefahr hin, Zuschauer zu verlieren, brutalisieren Kornatz & Co „realistisch“, nicht ästhetisierend und mit Angst-Lust spielend wie der letzte so perfide Saar-„Tatort“. Der dritte „Tatort“ des neuen Hessen-Duos Kunzendorf/Król macht das einzig Richtige, was man bei einem solchen Ekel-Fall machen kann: Autor Lars Kraume vermittelt zum einen eine Ahnung von dem „Milieu“, in dem diese Gewalttat geboren ist, und zum anderen zeigt er, wie sich die Kommissarin von diesem Fall, ihrer Wut und Ohnmacht wider Erwarten auffressen lässt. Die Wendungen der letzten halben Stunde sind Krimi-dramaturgisch – sprich: täter- & ermittlertechnisch – so außergewöhnlich, dass die anfangs gestellten Fragen am Ende vergessen sind. Zeigten die ersten Bilder die Auswirkungen krankhafter Gewalt, konfrontiert einen der Schlussakt mit der Tatsache, wozu Menschen fähig sind, im Kopf. Man blickt in die kranke Seele eines Menschen. Es ist Schmerz, Verstörung, Aussichtslosigkeit – und die Grenzen der Kripo-Arbeit werden deutlich. Gewalt hat etwas Abstoßendes, Verunsicherndes, auch in diesem Film.

Was die Inszenierung angeht, treibt Regisseur Stefan Kornatz die Tonlage weiter, die Lars Kraume mit seiner Geschichte „nach einer wahren Begebenheit“ vorgegeben hat. Die Figuren wirken oft ruppig, sind schnell genervt und stehen unter Dauerstrom. Kein Wunder, bei dem Fall. Die Einstellungen sind anfangs hart gegeneinander gesetzt, die Kamera ist nah an den Figuren – da schmerzt ein bisschen auch der Schnitt. Selbst die Totalen versöhnen nicht: die Farbe ist aus Frankfurt wie heraus gewaschen. In „Es ist böse“ bindet der hypnotische Soundtrack von Stefan Will das Geschehen stärker als die Montage, die wie die Geschichte etwas Zerrissenes besitzt. Kein Ermitteln in Jogging-Kluft dieses Mal. Erst am zweiten Tag gibt es das erste Lächeln zwischen den Kommissaren – und Mey singt ihr „Mooorgeen“.

Tatort – Es ist böseFoto: HR / Johannes Krieg
Beim Kriminaldauerdienst angeheuert, bekommt es Mey (Nina Kunzendorf) mit einer besonders brutalen Form von häuslicher Gewalt zu tun.

Soundtrack: PJ Harvey („Dear Darkness“), Blue Six („Music & Wine“), James Blake („Why don’t you call me“)

Der Kunzendorf-Figur wird in dieser Episode ein bisschen der Prolo-Style genommen. Die Story atmet schon genug Unterschicht-Aroma und als dann auch noch Steier auf Meys Herkunft anspielt, muss sich die Figur beim Griff in die unterste Modeschublade dieses Mal ein bisschen zurücknehmen. Lisa Wagner darf dafür umso prolligere Ansagen machen. Allein die Anspielungen auf die „neue“ Frisur von Kommissar Steier sorgen für ein wenig Entlastung im Frankfurter Schreckenskabinett. Hinter dieser Frisur steckt „ein Freund“ von Steier (oder besser wohl „der“ Freund), einst Friseur, vom Kommissar mit dem latenten Alkoholproblem einst zu Unrecht verdächtigt, zwar freigesprochen, aber dennoch ruiniert. Da kann Mey ihrem Kollegen die Hand reichen: Auch ihr ist gerade so etwas passiert. Deshalb lässt sie sich freiwillig zum KDD abkommandieren. Der Frisur-Gag könnte zum Bumerang werden. „Und mal ganz ehrlich, Herr Steier, das mit den Haaren geht gar nicht“, ist Meys letzter Satz im Film. Da Kunzendorf die Haare abgeschnitten hat, sind wir gespannt auf die Retourkutsche.

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Reihe

HR

Mit Nina Kunzendorf, Joachim Król, Peter Kurth, Marc Bischoff, Lisa Wagner, Martin Kiefer, Uwe Bohm, Gerd Wameling, David Scheller

Kamera: Armin Alker

Szenenbild: Frank Prümmer

Musik: Stefan Will

Produktionsfirma: Hessischer Rundfunk

Drehbuch: Lars Kraume

Regie: Stefan Kornatz

Quote: 9,50 Mio. Zuschauer (25,8% MA); Wh.: 6,94 Mio. (21,4% MA)

EA: 22.04.2012 20:15 Uhr | ARD

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